Lockdown-Lockerung in Luxemburg - „Den Bürgern wieder Hoffnung geben“

Halb Europa macht dicht, Luxemburg lockert: Seit dieser Woche haben im Großherzogtum Schulen, Geschäfte sowie Kultur- und Sportstätten wieder geöffnet. Die Infektionszahlen und die Situation in den Krankenhäusern lassen Lockerungen kurzfristig durchaus zu. Doch es gibt auch Kritik.

Der kleine Staat Luxemburg mit dem großen Finanzplatz testet pro Kopf mehr als irgendein anderes Land auf der Welt / dpa
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Christoph Bumb ist Journalist und Gründer des in Luxemburg erscheinenden digitalen Magazins Reporter.lu

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„Ich halte das ehrlich gesagt für verantwortungslos, bei solch hohen Virus-Inzidenzzahlen zu lockern“: Die Kritik von Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans kam prompt und fiel ungewöhnlich deutlich aus. Einen Tag zuvor hatte die Regierung des Nachbarlandes Luxemburg einen neuen Maßnahmenkatalog zur Beendigung des erst seit den Feiertagen anhaltenden Lockdowns vorgestellt. Seit dem 11. Januar dürfen Schulen, Einzelhandel, Theater, Kinos und Sporteinrichtungen in Luxemburg unter Auflagen wieder öffnen. Gaststätten bleiben weiter geschlossen und es gilt eine landesweite Ausgangssperre von 23 bis 6 Uhr.

Nicht nur dem saarländischen Regierungschef sind die jüngsten Lockerungen der Corona-Einschränkungen ein Dorn im Auge. Auch im eigenen Land nimmt die Kritik am Luxemburger Krisenmanagement zu. Opposition und Teile der Medien bemängeln vor allem die fehlende Antizipation der Regierungspolitik und die dünne Faktenlage, die den einzelnen Entscheidungen zugrunde liegt. „Sie wissen, dass es noch nicht an der Zeit für Lockerungen ist, Sie sagen es auch und machen es trotzdem“, konfrontierte der Abgeordnete und frühere Spitzenkandidat der konservativen Oppositionspartei CSV, Claude Wiseler, die Regierung im Parlament mit dem Kern der Kritik.

Sonderweg in der Pandemie

Schon seit Wochen verfolgt Luxemburg einen Sonderweg in der Pandemie. Später als viele europäische Staaten hatte die Regierung erst Ende November einen „Teil-Lockdown“ beschlossen. Auch der jüngste Lockdown nach Weihnachten wurde mit Verzögerung auf den Weg gebracht, obwohl die Kennzahlen der Pandemie in Luxemburg lange nicht besser waren als im benachbarten Ausland. Zudem hat auch das Großherzogtum in dieser Phase der Pandemie weitaus mehr Todesopfer zu beklagen als in der ersten Welle. Man habe es mit einer wesentlichen Übersterblichkeit zu tun und die Covid-19-Sterblichkeitsrate sei höher als in den Nachbarstaaten, musste die Regierung schon Mitte Dezember einräumen.

Dennoch beharrt die Regierung auf ihrem eigenen, „Luxemburger Weg“ durch die Krise. Es bringe nichts, „blind das Ausland zu kopieren“, hatte Gesundheitsministerin Paulette Lenert schon im November ihren eigenwilligen Kurs auf den Punkt gebracht. Die Sozialdemokratin avancierte in dieser Pandemie von der Quereinsteigerin zur beliebtesten Politikerin des Landes. Dabei überholte Lenert sogar ihren Parteifreund, Außenminister Jean Asselborn, den bisher dahin unangefochtenen Liebling der Umfragen. 

Die Sorgen der Nachbarn

Während Bundeskanzlerin Angela Merkel Deutschland auf einen wochenlangen Lockdown einstimmt, macht Luxemburgs Regierung den eigenen Bürgern demnach Hoffnung auf dauerhafte Lockerungen. Im Ausland kann man den Kurs der Koalition aus Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen aber immer weniger nachvollziehen. Die Entscheidung der luxemburgischen Regierung sei eine „Belastung für die Großregion“, brachte Tobias Hans die Sorgen der Nachbarn im Saarländischen Rundfunk auf den Punkt. Der Geschäftsverband der grenznahen Stadt Trier warnte rezent vor „Shopping-Tourismus in Luxemburg“.

In der Tat wirken sich die Entscheidungen des 600.000-Einwohner-Staates unmittelbar auf die angrenzenden Regionen aus. Die wirtschaftlichen Verflechtungen sind eng, rund 200.000 Grenzgänger aus Lothringen, Saarland, Rheinland-Pfalz und Wallonien pendeln täglich ins Großherzogtum – viele von ihnen könnten nun von den gelockerten Regeln im Nachbarland profitieren, so die Sorge der Partner aus der Großregion im Herzen Europas. Gleichzeitig ist Luxemburg in dieser Krise in hohem Maße auf die offenen Grenzen zum Ausland angewiesen, denn fast zwei Drittel des Personals im Gesundheits- und Pflegesektor sind Berufspendler.

Entspannung der Infektionslage

Die Grenzgänger sind allerdings auch ein Grund, warum die offiziellen Kennzahlen der Coronavirus-Pandemie in Luxemburg mit Vorsicht zu genießen sind. Denn auch wenn sie einen wesentlichen Teil der arbeitenden Bevölkerung ausmachen, werden die Nicht-Gebietsansässigen aus den offiziellen Corona-Statistiken herausgerechnet. Dabei testet der kleine Staat mit dem großen Finanzplatz pro Kopf mehr als irgendein anderes Land auf der Welt. Damit ließen sich Infektionsherde theoretisch schneller, und auch über die eigenen Landesgrenzen hinaus, identifizieren. In der Praxis ist die grenzüberschreitende Kooperation in dieser Krise aber bescheiden. Und auch in Luxemburg waren die Behörden bei der Kontaktverfolgung schnell überfordert. 

Die neuesten Zahlen deuten dennoch auf eine Entspannung der Infektionslage hin. Die täglichen Neuinfektionen sinken und auch die Auslastung der Krankenhäuser ist aktuell so niedrig wie seit Oktober nicht mehr. Die 7-Tage-Inzidenz liegt aktuell bei 165 pro 100.000 Einwohner, also leicht über den bundesweiten Werten in Deutschland. 

Widersprüche innerhalb des Krisenmanagements

Bei der jüngsten Entscheidung zur Lockerung der Corona-Restriktionen wurden allerdings Widersprüche innerhalb des Krisenmanagements deutlich. „Auch wenn sich in Luxemburg bescheidene Anzeichen für eine Verbesserung zeigen, lässt die allgemeine und internationale Lage sicher keine Erleichterung der Maßnahmen zu“, hieß es noch am 4. Januar in einem internen Regierungsbericht, über den das luxemburgische Online-Magazin Reporter.lu ausführlich berichtete. Im Gegenteil sei „eine Verschärfung der Maßnahmen angebracht, um eine neue, noch bedeutendere Infektionswelle Anfang 2021 zu verhindern“, schrieben die Beamten des Luxemburger Gesundheitsministeriums – und das einen Tag bevor das Kabinett weitgehende Lockerungen der bis dahin geltenden Regeln beschloss.

Den offensichtlichen Widerspruch erklärte die Regierung mit dem Hinweis, dass sie eine Balance aus epidemiologischen, wirtschaftlichen und sozialen Entscheidungsfaktoren anstrebe. Erstmals begründete die Politik die Lockerungen auch ausdrücklich mit den zunehmenden psychischen Folgen der Pandemiebewältigung. „Auch die mentale Gesundheit der Menschen leidet in dieser Krise, das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren“, sagte Premierminister Xavier Bettel bei der Vorstellung der neuen Maßnahmen am 5. Januar. Man müsse den Bürgern auch „wieder etwas Hoffnung geben“.

Der liberale Regierungschef betonte allerdings auch, dass die Regierung zur Not schnell handeln werde, falls sich die Lage in den Krankenhäusern in den kommenden Tagen wieder verschärfen sollte.

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