Libanesischer Richter - Der Unbestechliche

Er bezeichnet seine Aufgabe als „heilig“: Der libanesische Richter Tarek Bitar soll die verheerende Explosion am Beiruter Hafen aufklären – und macht sich dabei viele Feinde. Wie lange kann Bitar durchhalten?

Tarek Bitar / Marco Wagner
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Autoreninfo

Mareike Enghusen berichtet als freie Journalistin über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Nahen Osten, vornehmlich aus Israel, Jordanien und den Palästinensergebieten. Sie hat Politik- und Nahostwissenschaften studiert und ihre journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule absolviert.

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Vielleicht ist es der dramatische Fall Afghanistans, vielleicht auch nur eine allgemeine Müdigkeit gegenüber Krisenmeldungen aus Nahost, die erklärt, warum der Niedergang des libanesischen Staates hierzulande so wenig Widerhall findet. Nur einmal, im vergangenen Sommer, schaute die ganze Welt nach Beirut: Am 4. August 2020 tötete eine gewaltige Explosion am dortigen Hafen mindestens 218 Menschen und verwüstete große Teile der Stadt. 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat, ein hochexplosiver Stoff, war über Jahre hinweg nachlässig am Hafen gelagert worden. Es hatte Warnungen gegeben, aber keine Reaktion darauf. Für die vermeidbare Katastrophe wurde bis heute niemand zur Verantwortung gezogen.


Tarek Bitar will das ändern. Der 46-jährige Richter leitet seit Februar die Ermittlungen zu der Hafenexplosion. Es ist eine wichtige, symbolträchtige und zugleich höchst undankbare Aufgabe.

 Tadelloser Ruf

Bitar wurde in Aidamoun geboren, einem Dorf weit im Norden des Landes. Er ist mit einer Apothekerin verheiratet, mit der er zwei Kinder hat, und leitet seit 2017 das Beiruter Strafgericht, wo er sich einen tadellosen Ruf erworben hat: Er gilt als talentiert, mutig, parteilos und unbestechlich. Die Mission, die Beiruter Explosion aufzuklären, sei „heilig“, sagte er bei seinem Amtsantritt. „Von nun an bin ich der Garant dieser Mission.“

Schon da konnte er ahnen, wie schwierig sie sich gestalten würde. Sein Vorgänger, Fadi Sawwan, musste abtreten, nachdem er zwei frühere Minister wegen krimineller Fahrlässigkeit angeklagt hatte. Das zuständige Kassationsgericht entfernte ihn aus dem Amt wegen angeblicher Befangenheit, viele Beobachter jedoch glauben: Sawwan hatte sich zu weit vorgewagt.

Grenzen überschritten?

Sollte Bitar sich vor einem ähnlichen Schicksal fürchten, lässt er sich dies nicht anmerken. Im Juli bestellte er den Interims-Ministerpräsidenten Hassan Diab zur Befragung ein. Diab verweigerte sich und erhielt dabei Rückendeckung von mehreren seiner Amtsvorgänger. Der sunnitische Großmufti des Landes, Abdel-Latif Derian, ließ verlauten, Bitar untergrabe mit seinem „verwerflichen“ Vorgehen das Amt des Premiers. Und der Generalsekretär des Parlaments behauptete gar, der Richter habe die Grenzen seiner Autorität überschritten, und rief die Staatsanwaltschaft auf, „angemessene Schritte“ gegen ihn zu ergreifen.


Es ist nicht das erste Mal, dass Libanons Führungsclique dem Ermittler Steine in den Weg legt. Zuvor hatte Bitar das Parlament aufgefordert, die Immunität mehrerer Abgeordneter und früherer Minister aufzuheben. Das Parlament reagierte nicht. Als Bitar den Generalsekretär eines Geheimdiensts zur Anhörung einbestellte, wies der zuständige Innenminister die Anfrage zurück. Tony Saliba wiederum, Chef eines anderen Sicherheitsdiensts, den Bitar ebenfalls befragen wollte, erhielt Rückendeckung vom Hohen Verteidigungsrat, dem Staatspräsident Michel Aoun vorsitzt. 

Der Druck wächst

Doch Bitar lässt sich nicht beirren. Im September erließ er Haftbefehle gegen den ehemaligen Einsatzleiter des Hafens sowie ein früheres Mitglied des Obersten Zollrats. Zudem lud er weitere führende Persönlichkeiten aus Sicherheitsdiensten und Politik vor, darunter den früheren Direktor des Militärgeheimdiensts, den früheren Kommandanten der Streitkräfte und den früheren Minister für öffentliche Bauten und Verkehr. Auch den Premier lässt Bitar nicht vom Haken: Ebenfalls im September veröffentlichte er eine vollstreckbare Vorladung gegen Diab. Sollte dieser sich erneut weigern zu erscheinen, könnten Sicherheitskräfte ihn dazu zwingen.
Bitars furchtloses Vorgehen bringt ihm viel Zuspruch ein. „Ich hasse es, Steuern zu zahlen“, schrieb kürzlich ein libanesischer Journalist auf Twitter, „abgesehen von jenem Anteil, der in das Gehalt des Richters Tarek Bitar fließt.“


Zugleich wächst die Zahl seiner Feinde. In den Jubel seiner Bewunderer drängt sich die besorgte Frage, wie lange er durchhalten kann gegen den wachsenden Druck. Bitar selbst zeigt sich entschlossen. „Ich werde gehen, wohin Recht und Gesetz mich führen“, sagte er der libanesischen Zeitung L’Orient-Le Jour. „Nichts wird mich aufhalten.“ 

Kampf gegen das Establishment

Viele Libanesen hoffen, dass er recht behalten wird. Schließlich spiegelt Bitars Kampf gegen das Establishment auch die Tragik seines Landes wider: Der Libanon, einst als Schweiz des Nahen Ostens gefeiert, bevor Kriege, Korruption und Vetternwirtschaft ihn in den Abgrund rissen, hat noch immer viele gut ausgebildete Bürger, die um ihr Land kämpfen, anstatt sich der großen libanesischen Diaspora im westlichen Ausland anzuschließen. Doch solange Politiker und Generäle vom bestehenden System profitieren, ist die Aussicht auf Wandel bedrückend schlecht.

 

Dieser Text stammt aus der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

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