Krawalle in Schweden - Von der „humanitären Supermacht“ zum Problemfall

Am Osterwochenende haben in mehreren Städten Schwedens vorwiegend Migranten randaliert, Polizisten angegriffen und Autos angezündet. Auch eine Schule ging in Flammen auf. Die Vorfälle reihen sich nahtlos ein in die jüngere Geschichte eines Landes, das mit seiner liberalen Einwanderungspolitik lange Vorbild war für den Traum vom bunten Miteinander. Und es heute nicht mehr ist.

Am Osterwochenende ist es unter anderem in Malmö zu schweren Krawallen gekommen / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Rechte Demo genehmigt: Krawalle in schwedischen Städten“, war bei tagesschau.de zu lesen. Zeit Online schrieb fast wortgleich: „Krawalle nach Genehmigung rechter Kundgebungen in Schweden“. Und ZDF heute verbreitete über die sozialen Netzwerke: „Malmö: Ausschreitungen bei rechten Demos in Schweden“. Die Nachricht war so nicht ganz falsch, vermittelte allerdings einen ziemlich falschen ersten Eindruck.

Anders als derlei Schlagzeilen am Wochenende suggerierten, waren es nicht etwa Rechte, die in Schweden randalierten, Polizisten mit Steinen angriffen sowie Mülltonnen und Autos anzündeten, sondern Gegendemonstranten. Und auch das wäre – das große Ganze betrachtend – nur die halbe Wahrheit, weil die Krawallmacher nicht irgendwelche Protestler waren, sondern vor allem Männer mit Migrationshintergrund, die in Malmö, Norrköpping, Linköping und Stockholm randalierten. Sogar eine Schule ging dabei in Flammen auf. Gleichwohl sind deutsche Schlagzeilen wirklich das geringste Problem bei der Sache. 

Das Ende eines Traums

Denn die Krawalle am Wochenende sind nur die jüngsten Beispiele eines großen Missverständnisses, um es vorsichtig zu formulieren. Über Jahre praktizierte Schweden die liberalste Einwanderungspolitik Europas, nahm pro Kopf mehr Asylbewerber auf als jedes andere Land in der EU. „Humanitäre Supermacht“ war so ein Begriff, der in Zusammenhang mit Schweden früher häufiger zu hören und zu lesen war. Der schwedische Traum von einem kunterbunten Bullerbü, in dem sich alle Menschen – egal welcher Hautfarbe, Religion und Abstammung – friedlich die Hände reichen und gemeinsam in ein glückliches Morgen tanzen, war gleichwohl auch der Traum vieler Progressiver in Deutschland und anderswo in der Europäischen Union.

In Sachen „Diversity“, so würde man es heute wohl nennen, war Schweden also lange Zeit ein Vorbild vor allem für jene, die souveräne Nationalstaaten für längst nicht mehr zeitgemäß halten und kontrollierte Einwanderung quasi für ein rassistisches Prinzip. Doch dann kam die Flüchtlingskrise 2015/16 – und Schweden musste zeigen, ob sein liberaler Ansatz in der Migrationspolitik auch dem absoluten Härtetest gewachsen war. Mit dem Ergebnis, dass ausgerechnet eine links-grüne Regierung einen Kurswechsel bei der Einwanderungspolitik einläutete. 

Denn der große Zustrom von Menschen aus dem arabischen und afrikanischen Raum legte in Schweden damals deutlicher denn je offen: Über die Jahre ist die liberale Einwanderungspolitik des Landes in erster Linie zum Problem für das Land geworden. Parallelgesellschaften sind entstanden, und die große Abhängigkeit vieler Migranten vom Staat setzt das schwedische Sozialsystem massiv unter Druck. Etwa ein Viertel aller Zuwanderer aus Afrika etwa ist bis heute auf Sozialleistungen angewiesen. Zum Vergleich: Unter jenen Menschen, die in Schweden geboren sind, liegt die Arbeitslosenquote unter fünf Prozent. 

Im Fitnessstudio erschossen

Dabei geht es in Schweden längst nicht mehr nur um kulturelle und ökonomische Konflikte, sondern immer häufiger auch um Gewaltexzesse, die die Bevölkerung zunehmend verunsichern und immer wieder Menschenleben kosten. Eine Studie von Schwedens nationaler Behörde für Verbrechensvorbeugung Brå kam im Frühling 2021 unter anderem zu dem Ergebnis, dass in Schweden die Zahl tödlicher Schießereien seit dem Jahrtausendwechsel signifikant angestiegen ist. Anders als in anderen europäischen Ländern übrigens. Der Grund sind vor allem Bandenkriege, die heute auf den Straßen Schwedens ausgetragen werden.

Die traurige Bilanz seit Jahreswechsel 2021/22: Bereits 18 Menschen wurden in Schweden von Januar bis März dieses Jahres erschossen, berichtet der öffentlich-rechtliche Rundfunksender SVT unter Berufung auf Polizeistatistiken und eigene Zusammenstellungen. Im Vorjahr hatte es von Januar bis März nur fünf solcher Todesfälle gegeben, in den Jahren zuvor zwölf (2020), zehn (2019) und acht (2018). Ende März etwa starb ein Mann Ende 50, nachdem am hellichten Tag in einem Fitnessstudio in Stockholm auf ihn geschossen wurde. 

Politiker wollte Korane verbrennen

Die Bandenkriminalität in dem Zehn-Millionen-Einwohnerland beschränkt sich allerdings nicht mehr nur auf die Großstädte, sondern trifft auch kleinere Städte und Orte, wo es immer wieder zu Schießereien und vorsätzlich herbeigeführten Explosionen kommt. Und nun also die Krawalle in Malmö, Norrköpping, Linköping und Stockholm, die einmal mehr zeigen, dass Schweden ein gewaltiges Problem bei der Integration hat – während Rechtsextreme zusätzlich Öl ins Feuer gießen.

Der Grund des Gegenprotests am Wochenende, der schließlich in Gewalt mündete, war die Ankündigung des rechtsextremen Politikers Rasmus Paludan, bei einer geplanten Kundgebung Ausgaben des Koran verbrennen zu wollen. Die schwedischen Behörden hatten die Kundgebung dennoch nicht verboten. Auch deshalb, weil die Meinungsfreiheit in Schweden besonders groß ist. Malmös Polizeichefin Petra Stenkula sagte nach den Vorfällen am Wochenende daher folgerichtig, es sei traurig, dass Meinungsfreiheit zum „Freifahrtschein“ für solche Krawalle geworden sei.

Auch der schwedische Justizminister Morgan Johansson verurteilte die Ausschreitungen. In Schweden gelte Meinungsfreiheit, so Johannson. Wer dies nicht akzeptiere, sondern gewalttätig werde, müsse sich auch darauf einstellen, Gewalt zu begegnen. Die Gewalttäter müssten bestraft und nun geprüft werden, wo und wie die Einsatzkräfte verstärkt werden müssten. Unterdessen forderte ausgerechnet der Irak die Regierung in Stockholm dazu auf, Handlungen zu unterlassen, die die Gesellschaft spalten oder religiöse Gefühle verletzen könnten.

Wahlen an einem historischen Datum

Der Traum vom kunterbunten Bullerbü scheint in Schweden also endgültig ausgeträumt. Wie es künftig weitergeht im Land, werden daher auch die in diesem Jahr anstehenden Wahlen zum Schwedischen Reichstag zeigen, die ausgerechnet auf das historische Datum 11. September datiert sind. Für die bürgerlichen Parteien ebenso wie für jene vom rechten Rand dürften die Integrationsprobleme im Land dabei das große Thema sein. Denn den regierenden Sozialdemokraten unter Magdalena Andersson wird vorgeworfen, ihr Versprechen, Schweden wieder sicherer zu machen, nicht gehalten zu haben. Nicht nur das vergangene Osterwochenende zeigt, dass an dem Vorwurf einiges dran zu sein scheint. 

(mit dpa)

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