Strategische Kooperationen in der Golfregion - „Eine gewisse politische Borniertheit“

Nach dem Rückzug des Westens aus Afghanistan könnte von diesem Land wieder eine islamistisch-terroristische Bedrohung ausgehen. Auch droht es zum Schauplatz für einen kalten Krieg zwischen China, Russland und dem Westen zu werden. Das erfordert eine taktisch offenere Politik in der Region, die auf neue Partner setzt.

Ein Mitglied der Taliban betet während des Freitagsgebets in einer Moschee / dpa
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Autoreninfo

Dr. Peter Ramsauer (Foto dpa), MdB, Bundesminister a.D., ist Vorsitzender des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Deutschen Bundestag. Er gehört der CSU an.

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Der 20 Jahre dauernde militärische, humanitäre und diplomatische Einsatz des Westens in Afghanistan ist gescheitert. Doch das ist nicht alles: Der überstürzte Abzug vom Hindukusch und die dramatischen Bilder des Evakuierungseinsatzes aus Kabul haben nicht nur gezeigt, dass der Westen Afghanistan verloren hat, sondern auch, wie schnell das Machtvakuum durch andere gefüllt wird. Peking hat der neuen afghanischen Regierung bereits humanitäre Nothilfe und Impfstoffe im Wert von 200 Millionen Yuan zugesagt, umgerechnet rund 26 Millionen Euro, und will sich umfassend am Wiederaufbau beteiligen. Dass Peking grundsätzlich bereit ist, eine Taliban-Regierung zu unterstützen, hatte sich bereits bei einem Treffen mit hochrangigen Taliban-Vertretern im Juli in der ostchinesischen Hafenstadt Tianjin angedeutet.

Während der Westen in Afghanistan eine moderne, freie Gesellschaft aufbauen wollte, sind die Interessen Chinas in Afghanistan vor allem geoökonomischer Natur. Peking wird weder die Ideologie oder die repressiven Methoden der Taliban in Frage stellen noch sich für Menschenrechte oder speziell die Rechte der Frauen einsetzen. Dies bedeutet einen weiteren dramatischen Verlust an Boden für den Westen, die USA und für die Werte, an die wir glauben.

Die Rolle der Uiguren

Tatsächlich haben die Taliban den Chinesen einiges zu bieten, von Sicherheitsgarantien bis zu Bodenschätzen. Dazu gehören neben klassischen Ressourcen wie Erdöl auch die kritischen Rohstoffe Lithium und Kobalt, die in immer größeren Mengen für die aufstrebende Digitalwirtschaft und elektrische Mobilitätsindustrie benötigt werden.

Mindestens ebenso wichtig wie die Sicherung von Rohstoffvorkommen sind für Peking die Stabilität innerhalb Afghanistans sowie die Sicherheit an der Grenze zwischen beiden Staaten. Dort sollen die auf chinesischer Seite ansässigen und zunehmender Repression unterworfenen, muslimischen Uiguren unter Kontrolle gebracht werden, um aus Sicht Pekings separatistische und extremistische Bestrebungen zu verhindern. Für Peking hat es oberste Priorität, dass die Taliban den Uiguren keinerlei diplomatische Unterstützung oder gar Zuflucht auf afghanischem Territorium gewähren.

Ein Paradigmenwechsel

Auch Russland, das sich hinter China zwar zurückhaltender zeigt, verfolgt mit seinem Engagement in Afghanistan wirtschaftliche, aber vor allem auch geopolitische Interessen. Nämlich eine Schwächung des Westens und der USA in dieser Region und damit in der ganzen Welt. Ein Afghanistan, das von China und Russland dominiert wird, bedeutet nicht nur verlorenen Boden für den Westen.

Es ist auch ein Ort, von dem wieder eine islamistisch-terroristische Sicherheitsbedrohung ausgehen kann. Außerdem droht es zum Schauplatz für einen erneuten Kalten Krieg zwischen China, Russland und dem Westen zu werden. Für Deutschland, Europa, den Westen insgesamt bedarf dieses neue geopolitische Lagebild eines Paradigmenwechsels, um aus einer aktuellen Situation der Schwäche wieder zu neuer Stärke zu gelangen. Es erfordert künftig eine strategisch kluge und taktisch offenere Politik in der gesamten Region, die auf neue Partner setzt, um eine weitere Erosion des Westens und seiner Werte auf dem Schachbrett der Geopolitik zu verhindern.

Neue Akteure

Der Fall Afghanistan zeigt, dass neue Akteure wie die Golfstaaten längst das Spielfeld der internationalen Diplomatie betreten haben und im globalen Kontext zunehmend einen wichtigen strategischen Schnittpunkt zwischen Europa, Asien und Afrika einnehmen. Sie sind ein neuer Partner auf Augenhöhe und sollten vom Westen auch als solcher behandelt werden. Katar zum Beispiel hat sich auf dem Höhepunkt der jüngsten Afghanistan-Krise für den Westen als glaubwürdiger Vermittler und treuer Verbündeter erwiesen.

Das kleine Emirat am Golf, das zwei Nato-Militärbasen beherbergt, hat bei den Evakuierungsoperationen zahlreicher Nato-Länder in Afghanistan eine entscheidende Rolle gespielt und tausende von Schutzbedürftigen aus Afghanistan in Sicherheit gebracht, sie versorgt und vielen von ihnen in den eigens für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 errichteten Fan- und Mannschaftsunterkünften ein vorläufiges Zuhause gegeben. Dies sollte vor allem den Kritikern der WM 2022 zu denken geben. Angesichts des jüngsten Engagements Katars in der Afghanistan-Krise wirken ihre Boykottaufrufe deplatziert und ehrabschneidend für eine ganze Region, die mit großem Stolz auf dieses sportliche Großereignis blickt.

Unliebsame Tatsachen

Wie im Falle Afghanistans kann der Westen von der moderierenden Rolle Katars profitieren, die übrigens auf Bitten der USA zustande kam und die nicht nur darauf hinwirkt, den Taliban eine moderatere Geisteshaltung zu verpassen, sondern sich auch auf die bislang ungelösten Konflikte im Jemen, Libyen oder Syrien positiv auswirken kann. Die deutsche Außenpolitik, ebenso Europa und die USA sollten eine langfristige strategische Kooperation mit Partnern in der Golfregion, die bereits auf ausgeprägten Handelsbeziehungen beruht, weiter festigen und ausbauen. Denn ohne eine aktivere Außenpolitik droht dem Westen in der Golfregion eine zunehmende politische Bedeutungslosigkeit.

Diese neuen realpolitischen Tatsachen, die nicht jedem gefallen mögen, die aber auch durch eine gewisse politische Borniertheit des Westens begünstigt wurden, sollten Anlass genug geben, um die eigene Haltung gegenüber neuen aufstrebenden Mächten wie Katar und möglichen weiteren Staaten zu überdenken. Sie sind für den Westen ein neuer Partner, um zu verhindern, dass Länder wie China und Russland, deren demokratische Ambitionen gering sind, die weder die Rechte von Frauen und Kindern noch das Leben von Minderheiten verteidigen werden, die vorherrschenden Akteure auf der geopolitisch wie geostrategisch so wichtigen Bühne werden.

Neutrale Plattform

Die USA haben das erkannt und frühzeitig auf Katar als neutrale diplomatische Plattform gesetzt, was sich in der jüngsten Afghanistan-Krise als strategisch klug erwiesen hat. Dieser Realpolitik, die auch die Golfstaaten als gleichberechtigte Partner mit einbezieht, müssen wir uns endlich ehrlich stellen, wenn Deutschland und Europa auch künftig eine weltpolitische Gestaltungsrolle einnehmen und nicht als Zaungast der Weltpolitik enden wollen.

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