Konflikt zwischen Israel und Gaza - Es geht ums Überleben

Israel wird von Gaza aus mit Raketen beschossen – und reagiert entsprechend mit militärischer Gewalt. Aber die übliche Unterstützung der Palästinenser aus der arabischen Welt bleibt aus. Eine Eskalation des Konflikts wäre für die israelische Seite dennoch mit großen Risiken verbunden.

Bei einem Luftangriff in Gaza schlagen in der Nacht auf Donnerstag zwei Raketen in einem Hochhaus ein / dpa
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Autoreninfo

George Friedman, 74, ist einer der bekanntesten geopolitischen Analysten der Vereinigten Staaten. Er leitet die von ihm gegründete Denkfabrik   Geopolitical Futures  und ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien „Der Sturm vor der Ruhe: Amerikas Spaltung, die heraufziehende Krise und der folgende Triumph“ im Plassen-Verlag.

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Die Ursprünge des modernen arabisch-israelischen Konflikts sind ziemlich gut bekannt. Gaza, der schmale Landstreifen, der an die Sinai-Halbinsel grenzt, war ursprünglich Teil des palästinensischen Mandats, ein von Großbritannien verwaltetes Gebiet. Nach der Gründung Israels brach ein Krieg mit den benachbarten arabischen Ländern aus. Ägypten unternahm einen Angriff in die Negev-Wüste, der von den Israelis zurückgeschlagen wurde – mit Ausnahme des Vorstoßes entlang der Küste in Richtung Tel Aviv. Dieser wurde schließlich von Israel abgeblockt, aber die Ägypter wurden nicht zurückgedrängt. Daraus entstand Gaza.

Gaza wurde zu einem Sammelpunkt für die Araber im Nahen Osten, die zusammen mit der Sowjetunion die palästinensische Sache unterstützten. Aber nachdem die Sowjetunion zerfallen war, verlor Moskau das Interesse – und die Unterstützung für die palästinensische Sache nahm ab, als Gaza zu einer einzigartigen palästinensischen Entität wurde, die ein palästinensisches Territorium hielt und verwaltete.

Heute ist der Gazastreifen ein dicht besiedeltes und extrem armes Gebiet. Es wird von zwei politischen Fraktionen dominiert, der Hamas und dem Islamischen Dschihad, die zusammenarbeiten. Aus der Sicht des Gazastreifens handelt es sich um den letzten organisierten, territorialen Widerstand gegen Israel.

Iran hat die Lücke gefüllt

Gaza verfügt nicht über ein konventionelles Militär, das in der Lage wäre, israelische Truppen am Boden anzugreifen, dafür aber über Einrichtungen zur Lagerung vieler Kurzstreckenraketen, die ein begrenztes Gebiet an seinen Grenzen treffen können. Außerdem verfügt es über eine Reihe von Langstreckenraketen, die Tel Aviv und Jerusalem erreichen können. Diese Raketen, zusammen mit dem Knowhow zum Bau von Raketen, wurden vom Iran zur Verfügung gestellt. Denn als die arabische Unterstützung für die Palästinenser abnahm, füllte Iran diese Lücke.

In diesem Zusammenhang kontrolliert der Iran eine große Anzahl von Raketen und Flugkörpern in Syrien sowie eine sehr große Einrichtung im Bekaa-Tal im Libanon – all das ist Teil des iranischen Einflussbereichs im Mittelmeerraum.

Israel ist in einen Kampf verwickelt, um die iranische Bedrohung in Syrien zu beseitigen, hat aber nicht versucht, die Bedrohung im Libanon zu eliminieren; die Größe und Entfernung und die mögliche Vergeltungsmacht stellen eine zu große Herausforderung dar. Es hat sich auch geweigert, entschlossen gegen den Gazastreifen vorzugehen, der nicht einfach als iranische Marionette, sondern als unabhängiger Akteur betrachtet werden sollte.

Abgesehen vom Iran ist Israel also aus zwei Gründen besorgt wegen Gaza. Der erste Grund ist die Möglichkeit einer ausgedehnten Raketenoffensive gegen Israels Kernland: das Dreieck von Tel Aviv, Jerusalem und Haifa. Zweitens ist es besorgt wegen der Guerilla-Angriffe, die von Gaza aus gestartet werden könnten. Daher unternimmt Israel regelmäßig Angriffe auf den Gazastreifen, die eher darauf abzielen, dessen militärische Fähigkeiten zu unterminieren, als den Streifen selbst zu besetzen.

Letztes Bollwerk der Palästinenser

In Gaza, dem letzten Bollwerk der Palästinenser, geht es in erster Linie ums Überleben. Nur so kann es Israel zu einer Art von Entgegenkommen gegenüber den Palästinensern und der Hamas bewegen. Und eine Möglichkeit, Israel in diese Richtung zu bringen, besteht eben darin, eine erhebliche Bedrohung darzustellen. Daher die Raketen. Das schafft ein politisch-militärisches Dilemma für Gaza. Er muss überleben, aber das bloße Überleben gibt ihm keinerlei Einfluss.

Israel hat kein Interesse daran, Gaza entgegenzukommen, da solch ein Entgegenkommen Gaza in die Lage versetzen würde, Raketen zu erwerben und damit Israels Kernland zu bedrohen. Israel ist deshalb mit dem Status quo soweit zufrieden. Aber wenn es wirklich die Wahl hätte, würde es vorziehen, Gaza zu besetzen und seine Bürger zu vertreiben.

Einen solchen Großangriff durchzuführen, ist eine militärische Herausforderung. Vom Standpunkt einer Panzer- beziehungsweise Infanterie-Operation aus gesehen ist Gaza nämlich nicht einfach. Das Gebiet ist extrem urban und dicht besiedelt. Feindliche Kräfte können weiträumig in Gebäuden platziert werden und, da sie mit der Gegend vertraut sind, können relativ leicht angreifen, sich zurückziehen und umgruppieren. Die Bewohner des Gazastreifens verfügen über hochentwickelte Panzerabwehrwaffen, die neben der Infanterie auch Panzer in Gefahr bringen.

Die ganze Zeit über könnten die Gazaner außerdem Raketen auf das israelische Kernland abfeuern. Obwohl Israel die Gazaner wahrscheinlich besiegen würde, könnte der Preis weit höher sein, als Israel zu zahlen bereit ist. Deshalb tendieren die Gazaner dazu, mit relativ kurzreichweitigen Raketen anzugreifen – und Israel umgekehrt mit Raketen, die von Flugzeugen aus abgefeuert werden, gekoppelt mit kleinen Spezialoperationen, die auf bestimmte Ziele abzielen (Führung, Waffen, Fabriken) mit schnellem Ein- und Ausmarsch der Truppen.

Keine Unterstützung aus der arabischen Welt

Im Vergleich zu früheren Konflikten gibt es allerdings einen bemerkenswerten Unterschied bei den Kämpfen in dieser Woche. Normalerweise geben andere arabische Länder feindselige Erklärungen gegenüber Israel ab, aber bis jetzt blieben sie relativ ruhig. Im Gegenteil, der saudische Botschafter bei den Vereinten Nationen verurteilte den Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen auf israelische Bürger. An anderer Stelle twitterte ein bekannter Prediger in den Vereinigten Arabischen Emiraten namens Waseem Yousef, dass er Israels Aktionen uneingeschränkt unterstützt.

Viele Menschen in der arabischen Welt waren natürlich mit beiden Äußerungen nicht einverstanden, aber die Tatsache, dass sie von den jeweiligen Regierungen gebilligt wurden, deutet auf einen bedeutenden Stimmungsumschwung in der arabischen Welt gegenüber den Ereignissen in Gaza hin.

Im Moment ist Gaza militärisch isoliert, und die rhetorische Unterstützung, die es früher von der arabischen Welt erhielt, ist nicht mehr vorhanden. Das wirft psychologische Fragen auf, und Psychologie ist wesentlich für die Kriegsführung. 

Die Israelis drohen damit, die Führung des Gazastreifens zu eliminieren und die Realität des Gebiets zu verändern. Letztendlich erfordert dies eine Besetzung – sonst funktioniert es nicht. Die israelische Antwort muss unverhältnismäßig erscheinen, und der Mangel an automatischer Unterstützung Gazas aus der arabischen Welt entmutigend.

Israel fürchtet hohe Opferzahlen

Die Drohung Israels, eine größere Bodenoffensive zu starten, zwingt die arabischen Regierungen wahrscheinlich dazu, ihre Positionen zu überdenken.
Die Gazaner können nirgendwo hin. Israel wiederum hat Angst vor einer Einigung, die Gaza autonom macht – und Gaza hat immer noch Unterstützung vom Iran, der selbst unter Druck steht.

Die Israelis hätten eine hohe Opferzahl zu befürchten, zumal beim Kampf in den Städten. Ein massiver Luftangriff würde selbst mit den präzisesten Raketen immer noch zu sehr vielen zivilen Opfern führen. Israel würde wegen des Gazastreifens zwar etwas schlechte Presse in Kauf nehmen – aber nicht so viel.

Wenn der Konflikt eskaliert, gibt es zwei Dinge, auf die man achten muss: Raketen, die auf Tel Aviv zielen – und israelische Infanterie und Panzer, die in den Gazastreifen einrücken. Der Schutz von Tel Aviv bedeutet für Israel erhöhte Dringlichkeit, und zwar mit mehr militärischen Fähigkeiten. Die Hamas weiß das.

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