Koalitionsbildung in Israel - „Ich habe es geschafft“

Aus acht Parteien setzt sich die Koalition unter Oppositionsführer Yair Lapid zusammen. Parteien, die in ihrem Weltbild, ihren Zielen und Wählerprofilen verschiedener kaum sein könnten. Noch muss die neue Koalition sich vom Parlament bestätigen lassen. Das könnte denkbar knapp ausgehen.

Oppositionsführer Yair Lapid bei einer Pressekonferenz im Jahr 2019 Foto: Ilia Yefimovich/dpa
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Autoreninfo

Mareike Enghusen berichtet als freie Journalistin über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Nahen Osten, vornehmlich aus Israel, Jordanien und den Palästinensergebieten. Sie hat Politik- und Nahostwissenschaften studiert und ihre journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule absolviert.

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Zwei Worte kurz vor Mitternacht verkündeten den Durchbruch, mit dem kaum noch jemand gerechnet hatte. „Ala be-yadi“, schrieb Israels Oppositionsführer Yair Lapid auf Twitter „Ich habe es geschafft“. Es sind diese zwei Worte, mit denen israelische Politiker gemäß der Tradition dem Präsidenten mitteilen, dass sie eine Koalition gebildet haben. Eine Übung, die in parlamentarischen Demokratien zum politischen Alltag gehört. Doch in wenigen Ländern ist sie so schwer zu meistern wie in Israel. Und selten in Israels Geschichte war es so schwer wie derzeit.

Warum, das zeigt ein Blick auf die frisch gebildete Koalition: Aus acht Parteien setzt sie sich zusammen, die in ihrem Weltbild, ihren Zielen und ihren Wählerprofilen verschiedener kaum sein könnten. Naftali Bennett gehört dazu, Vorsitzender der rechten Yemina-Partei, die vor allem von sogenannten Nationalreligiösen gewählt wird, den umstrittenen Siedlungsbau im Westjordanland vorantreiben will und einen Palästinenserstaat ablehnt. Deren Vertreter sollen von nun an mit den Linksliberalen von Meretz zusammenarbeiten, die sich für eine Zweistaatenlösung mit den Palästinensern und mehr Rechte für Homosexuelle einsetzten. Mit letzterem Anliegen befindet Meretz sich auf Konfrontationskurs mit den arabischen Islamisten von der Ra’am-Partei, ebenfalls Teil der Koalition: Deren Vorsitzender Mansour Abbas und seine Mitstreiter folgen einer konservativen Auslegung des Islams und haben schon im Vorfeld angekündigt, dass die Ausweitung von LGBT-Rechten mit ihnen nicht zu machen ist.

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Diffizile Zusammensetzung

Außerdem beteiligt an dem Bündnis sind die beiden zentristisch orientierten Kräfte Yesh Atid (Es gibt eine Zukunft) und Blau-Weiß, die linke Arbeitspartei sowie zwei weitere rechte Parteien, Neue Hoffnung und das unter russischstämmigen Einwandern beliebte Israel Beitenu (Unser Heim Israel). Dessen Vorsitzender Avigdor Lieberman hat sich in der Vergangenheit wiederholt mit aggressiver Rhetorik gegenüber Israels arabischer Minderheit hervorgetan.

Als wäre die Zusammensetzung dieser Koalition nicht diffizil genug, haben die acht Parteien sich zudem auf eine äußerst komplexe Ämterverteilung geeinigt: Mehrere ihrer Mitglieder sollen in den kommenden vier Jahren im Amt rotieren. Ayelet Shaked von der Yemina-Partei soll beispielsweise in den ersten zwei Jahren das Innenministerium führen und anschließend in ihre frühere Rolle der Justizministerin wechseln. Gideon Saar wiederum, Vorsitzender der Neuen Hoffnung, soll erst als Justiz-, dann als Außenminister dienen. Selbst das Amt des Ministerpräsidenten ist aufgeteilt: Die ersten zwei Jahre soll Naftali Bennett die Regierung führen, erst danach kommt Yair Lapid zum Zuge. Dabei ist dessen Yesh-Atid-Partei aus den Wahlen im März mit 17 Mandaten als zweistärkste Kraft hervorgegangen, während Bennetts Yemina lediglich sieben Mandate hält. Doch ohne dieses Zugeständnis hätte Lapid nun wohl keine Koalition. Bis vor Kurzem hatte Bennett erklärt, eine rechts-religiöse Koalition unter der Führung des amtierenden Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahus einem bunten Bündnis unter Lapid vorzuziehen.

Unter Druck

Bennett und seine Parteifreundin Shaked stehen nun unter enormem Druck. Netanjahu-Anhänger protestieren seit Tagen vor ihren Häusern gegen den angeblichen „Verrat“ an der Rechten. Die beiden erhalten Todesdrohungen, die Israels Inlandsgeheimdienst Shin Bet so ernst nimmt, dass er ihre Schutzstufe erhöht hat. Auch Netanjahu greift Bennett und Ayelet hart an, bezichtigt sie der Lüge und wirft ihnen vor, sich einer „gefährlichen linken Regierung“ anzuschließen, die „von Unterstützern des Terrors“ mitgetragen werde. Auf wen er sich dabei bezieht, bleibt unerwähnt, vielleicht geht es um die linke Meretzpartei. Den arabischen Politiker Mansour Abbas kann er kaum meinen: Mit dem verhandelte er vor Kurzem selbst noch über eine politische Zusammenarbeit. Es waren Netanjahus eigene Bündnispartner aus dem extremrechten Spektrum, die jede Kooperation mit der Ra’am-Partei verweigerten und auf diese Weise den Weg zur Mehrheit blockierten.

Noch muss die neue Koalition sich im Laufe der kommenden anderthalb Wochen vom Parlament bestätigen lassen. Das könnte denkbar knapp ausgehen. Ein Yemina-Abgeordneter hat bereits angekündigt, gegen die Koalition zu stimmen. Damit bleiben Lapid und Bennett noch 61 Mandate von 120. Doch ein weiterer Yemina-Vertreter scheint ebenfalls zu wackeln. Kippt er, verfehlt das Bündnis die Mehrheit.

Drohende Gefahren

In diesem Fall würde das Mandat zur Regierungsbildung an die Knesset übergehen, an das israelische Parlament. Jeder Abgeordnete könnte dann versuchen, eine mehrheitsfähige Koalition zu bilden. Sollte auch dieser Versuch scheitern, müssten Wahlen angesetzt werden, die fünften innerhalb von zweieinhalb Jahren.

Doch selbst wenn das Bündnis tatsächlich zur nächsten Regierung aufsteigt, drohen Gefahren. Ironischerweise könnte gerade sein Erfolg zu seinem Zusammenbruch führen. Sollte sich nämlich Netanjahu infolge seines Amtsverlustes aus der Politik zurückziehen, verlöre die Koalition die Grundlage seiner Existenz: die gemeinsame Abneigung des Amtsinhabers. „Sobald Netanjahu nicht mehr da ist, könnte ihre Einigkeit sich auflösen“, sagt Yonatan Freeman, Politikwissenschaftler an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Bekäme die Likudpartei einen neuen Vorsitzenden, gäbe es keinen Grund mehr für die drei rechten Parteichefs Bennett, Saar und Lieberman, mit Linken und Arabern zu koalieren. Alle drei begannen ihre Politkarriere in Netanjahus Likudpartei, noch heute stehen sie ihr ideologisch nahe. Und im Parlament haben rechte Kräfte eine klare Mehrheit. Dass sich stattdessen diese unbequeme und historisch beispiellose Koalition aus Linken, Rechten und Arabern zusammengefunden hat, liegt einzig an Netanjahu selbst.

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