Gesundheit im US-Wahlkampf - Die Gerüchte sind angerichtet

Wilde Spekulationen, haltloser Flurfunk, gezielte Falschinformationen: Am Ende geht es beim Nebelstochern im US-Wahlkampf wie so oft nur um eins, nämlich ob die Kandidaten fit fürs Amt sind – körperlich, geistig und moralisch.

Joe Biden spricht auf dem Michigan State Fairgrounds / dpa
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Autoreninfo

Daniel C. Schmidt ist freier Reporter. Er studierte in Manchester und London (BA Politics & Economics, MSc Asian Politics) und lebt zur Zeit in Washington, D.C.. Schmidt schreibt über Pop, Kultur und Politik.

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Wenn man in dieser Woche etwas durch Netz stöberte, konnte man auf zwei Artikel treffen, die eine Frage zum Thema machten, in ihrer inhaltlichen Leere aber so voll von Informationen waren, dass sie schon wieder eine ganze Menge Hinweise lieferten.

Im Boston Herald hatte Howie Carr, ein konservativer Radiomoderator und altbekannter Trump-Spezi, eine Kolumne verfasst. Der Titel über dem Text war ein cleveres Wortspiel: „Don’t forget, Biden can’t remember“ – nicht vergessen, Biden kann sich nicht erinnern.

Darin nimmt Howie Carr den Leser mit auf eine kleine Reise: Joe Bidens jüngste Versprecher, Gedankensprünge, Wortverwechselungen und zusammenstürzende Satzbausteine. Carr zählt auf, dass er sich vor Publikum als Joe Biden vorstellt, der sich für ein Amt „im Senat“ bewirb statt über die Präsidentschaft zu reden, der nicht weiß, wann er in Ohio ist und wann nicht, der Donald Trump Donald Hump nennt und und und.

Kurzum: Carr will sagen, Vorsicht, Joe Biden ist nicht mehr ganz klar im Kopf! „Dementia Joe“ nennt er ihn in der Kolumne, ohne medizinisch genau belegen zu können, warum der ehemalige Vizepräsident sich verspricht, verhaspelt und durcheinander kommt.

Das seien keine normalen Versprecher

Aber dafür ist der zweite Artikel da, der ein paar Tage später in der New York Post erschienen ist. Darin geht es um Ronny Jackson. Ronny Jackson, Ronny Jackson? Klingt bekannt? Der Mann war einst Leibarzt im Weißen Haus, von 2013 bis 2019, also unter Präsident Barack Obama und Präsident Donald Trump. In dem Artikel geht es um ein Pressegespräch am Telefon zwischen Jackson und Medienvertretern, in dem der Arzt sagt, er sei „überzeugt“, dass Biden nicht fit genug sei, um das Amt des Präsidenten auszuüben.

„Ich bin relativ vertraut mit den Anforderungen, die man körperlich und mental braucht, um den Job zu erledigen und was die Anforderungen sind“, sagte Jackson. „Ich habe Joe Biden im Wahlkampf beobachtet und ich mache mir Sorgen und bin überzeugt, dass der nicht die mentale Aufnahmefähigkeit besitzt, als Commander-in-Chief und Staatsoberhaupt zu dienen.“

Als Arzt könne er sagen, dass das keine normalen Versprecher seien. Immer wieder verliere Biden den Faden und wisse dann nicht mehr, wo sein Gedanke angefangen habe. „Er hat in der Tat zurzeit ziemliche Probleme, Wörter zu artikulieren.“

Wie soll man das jetzt einordnen? Und dann war das Wetter auch nicht so gut, als Trump im Rosengarten – Moment. Wo waren wir? Okay, kleiner Scherz.

Biden müsste ein ernstes Problem gestehen

Muss man das ernst nehmen, wenn ein Trump-Kumpel eine Kolumne schreibt und ein von Trump hochgepriesener, ehemaliger Arzt im Weißen Haus, der sich jetzt als Republikaner für einen Sitz im Kongress bewirbt, in einer Telefonschalte, die Trumps Wahlkampfteam organisiert hat, so äußert?

Nein, nicht wirklich. Verspricht Biden sich häufig? Vielleicht. Womöglich ist er nervös, aufgeregt, vergesslich. Wer weiß. Ronny Jackson, Howie Carr und ich wissen es nicht mit Gewissheit. Wenn Biden ein ernstes Problem haben sollte, von dem er wüsste, dass es dazu führen könnte, dass er das Amt nicht ausüben kann, müsste er es gestehen. Genauso wie Trump sagen muss, dass er positiv auf Covid getestet wurde. Das Volk und die entsprechenden Instanzen müssen so etwas wissen.

Unzulängliche Ferndiagnosen

Egal, wer Präsident ist oder wird, wenn es sich abzeichnet, dass er nicht mehr amtsfähig ist, kann er, laut Zusatzartikel 25 der amerikanischen Verfassung, selbst kundtun, dass er seine Rolle nicht mehr ausfüllen kann, oder aber der Vizepräsident mit dem Kabinett übernimmt diesen Schritt.

Bis dahin sind sämtliche Ferndiagnosen, ob Trump verrückt oder Biden dement ist, erst einmal unzulänglich.

Diese Spielchen über die Presse, die Tauglichkeit des Kandidaten oder Amtsinhabers infrage zu stellen, das Stochern im Spekulationsnebel, das gezielte Setzen von Falschinformationen über gesundheitliche Zustände, alles das ist zu diesem Zeitpunkt im Wahlkampf ja nicht viel mehr als das, was wir Amerikanern immer wieder gern vorwerfen: großes Theater und mangelnde Auseinandersetzung mit politischen Inhalten.

Zur vergangenen Kolumne von Daniel C. Schmidt

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