Jamal Khashoggi - Empörung ist keine Politik

Der Journalist Jamal Khashoggi ist im Konsulat von Saudi-Arabien in der Türkei mutmaßlich auf grausame Art ermordet worden. Rufe nach Bestrafungen des autoritären Königreichs werden laut. Gleichzeitig ist es ein wichtiger politischer und geschäftlicher Partner. Was für Optionen hat der Westen?

Jamal Khashoggi, 2012 / picture alliance
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Autoreninfo

Rudolf Adam war von 2001 bis 2004 Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes. Von 2004 bis 2008 leitete er als Präsident die Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Er ist Senior Advisor bei Berlin Global Advisors. Foto: Bundesakademie für Sicherheitspolitik

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Am 2. Oktober 2018 betritt Jamal Khashoggi, ein saudischer Journalist der Washington Post, das Generalkonsulat Saudi-Arabiens in Istanbul. Er will amtliche Unterlagen für eine zweite Eheschließung abholen. Was danach passiert, wird vielleicht nie vollständig aufgeklärt werden. Doch es sorgt für diplomatische Spannungen in der Türkei, in den USA und auch in Deutschland. Klar ist nur: Khashoggi ist verschwunden und aller Voraussicht nach tot. Alles deutet darauf hin, dass er im Büro des Generalkonsuls befragt, gefoltert und schließlich ermordet und zerstückelt wurde. Der Fall droht zu einer schweren Belastungsprobe, vielleicht sogar zu einem Wendepunkt in den Beziehungen Saudi-Arabiens zur westlichen Welt zu werden. Und es könnte das Image des als Reformers angetretenen saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (kurz: MBS) nachhaltig beschädigen. 

Mitten hinein in den Nahost-Konflikt 

Der Ort des mutmaßlichen Mordes, Istanbul, ist dafür entscheidend. Die Türkei und Saudi-Arabien finden sich in Fragen der Nahostpolitik auf gegnerischen Seiten wieder: In Syrien will Saudi-Arabien den Machthaber Baschar al Assad und den schiitischen Einfluss des Iran zurückdrängen. Die Türkei kann sich mit Assad arrangieren, sofern es in den Kurdengebieten ruhig bleibt. Die Türkei und Israel sind zerfallen, Saudi-Arabien rückt näher an die Seite von Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und soll in den Plänen von US-Präsident Donald Trump eine Schlüsselrolle im Palästinakonflikt spielen. Saudi-Arabien hat das Emirat Katar isoliert und blockiert, die Türkei hilft mit einer Luftbrücke und unterhält dort einen Militärstützpunkt. 

Andererseits befindet sich die Türkei in einer tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise. Investitionen oder Kredite aus der arabischen Welt wären ein Rettungsanker. Die Türkei bezieht zwar nur knapp 10 Prozent ihrer Rohöleinfuhren (insgesamt 25 Millionen Tonnen) aus Saudi-Arabien, aber fast ein Drittel aus dem Iran. Wenn die USA mit verschärften Iran-Sanktionen Ernst machen, könnten diese Lieferungen gefährdet sein. Und für diese Ausfälle könnte am ehesten Saudi-Arabien Ersatz beschaffen. Gegenüber den USA hat die Türkei gerade den umstrittenen evangelikalen Pastor Andrew Brunson frei gelassen. Im Gegenzug wollen die USA Strafzölle auf Stahl und Aluminium wieder aufheben. Wenn die Türkei weiterhin hauptsächlich aus dem Iran importiert, obwohl das Land von den USA sanktioniert wird, dürften neue, wesentlich schärfere US-Strafsanktionen fällig werden. Die Türkei steckt in einem Dilemma: Konfrontiert sie Saudi-Arabien zu hart, könnte sie die eigene Notlage verschärfen. 

Die Verstrickungen von Donald Trump

Ähnliches gilt für die USA, denn schließlich arbeitete Jamal Khashoggi für eine der angesehensten Zeitungen des Landes. Der Mord hat Empörung in Washington ausgelöst. Trump selbst hat Strafen angedroht, wenige Tage später aber die Unschuldsvermutung für das saudische Königshaus gefordert. Der Bericht von Außenminister Mike  Pompeo, der vor wenigen Tagen in Riad war, steht noch aus. Trumps private Geschäftsbeziehungen zu Saudi-Arabien geraten in den Fokus. Zum ersten Mal treibt diese Affäre einen Keil zwischen ihn und die republikanische Partei. Parteigrößen wie Lindsey Graham, Marco Rubio und Bob Corker kritisieren den Präsidenten öffentlich für dessen zu weiche Reaktionen. Und das drei Wochen vor den entscheidenden Midterm-Wahlen.

Für Trump steht viel auf dem Spiel. Er will Saudi-Arabien zu einem Eckstein seiner Nahostpolitik machen und sieht in dem Kronprinzen Mohammed bin Salman einen seiner engsten Verbündeten. Trumps erste Auslandsbesuch galt Riad. Zusätzlich hat Trump sich mit Rüstungsaufträgen in Höhe von 110 Milliarden US-Dollar gebrüstet. Saudi-Arabien kontrolliert als größter Ölexporteur den Weltmarktpreis für Rohöl. Wenn Saudi-Arabien die Förderung drosselt, könnte der Preis wieder in dreistellige Höhen schießen, zumal Trump sämtliche Lieferungen aus dem Iran blockieren will. Das aber wäre Gift für die Wirtschaftskonjunktur und damit für Trumps Anspruch, die US-Wirtschaft in Gang gebracht zu haben. Vor allem so kurz vor dem Wahltermin käme dies ungelegen.

Wer war Jamal Khashoggi?

Mit was für einem Land sich der US-Präsident sich einlässt, wird deutlich, wenn man den Fall Khashoggi näher betrachtet. Khashoggi war Journalist, der eine namhafte Tageszeitung in Saudi-Arabien geleitet hatte: Al Watan galt als regierungsnah, aber religionskritisch. Er wurde seines Postens enthoben, nachdem er salafistische Autoritäten kritisiert hatte. Der Großmufti und die Religionspolizei fochten einen erbitterten Streit gegen seine Zeitung. Es gab Aufrufe zum Mord. Die Zeitung zu kaufen galt als Sünde. 

Khashoggi wurde 2003 als Chefredakteur abgesetzt und erhielt Berufsverbot. 2007 erhielt er seine alte Position zurück und übte sie bis 2010 aus. 2017 ging Khashoggi freiwillig ins Exil in die USA.

Er hatte als Journalist mehrfach Osama bin Laden interviewt. Er kannte den islamistischen Terrorismus, seine Wurzeln und seine Gönner. Zwischen 2003 und 2007 diente Khashoggi als Berater des saudischen Botschafters in Washington, Prinz Turki al Faisal. Dieser war zuvor fast 30 Jahre lang Chef des allmächtigen und ominösen saudischen Geheimdienstes (Muchabarat) gewesen. 

Jamal Khashoggi ist ein Neffe des berüchtigten Adnan Khashoggi, eines der mächtigsten und reichsten Waffenhändlers. Zwischen 1960 und 1990 galt dieser als der reichste Mann der Welt. Ein gemeinsamer Vorfahr war Leibarzt von Abdulaziz ibn Saud, dem Gründer der heutigen saudischen Dynastie. Er war also bestens vernetzt und hatte Zugang zu den innersten Zirkeln der Macht.

Khashoggi übte deutliche Kritik nicht nur am Islamismus, sondern auch an den Herrschaftsmethoden des saudischen Königsclans. Seit 2017 schrieb er für die Washington Post.

Was passierte im Konsulat?

Regierungsnahe türkische Medien berichten gräuliche Details der letzten Minuten in Khashoggis Leben. Sie werden von staatlichen Stellen mit diesen Informationen versorgt. Danach gibt es Audio- und Videobeweise, wie Khashoggi gefoltert und bei lebendigem Leib zerstückelt worden sei. Sie berichten, dass am 2. Oktober zwei Sondermaschinen aus Riad einflogen. 15 Personen begaben sich direkt ins Generalkonsulat. Unter ihnen konnten vier Personen als Leibwächter des Kronprinzen Mohammed bin Salman identifiziert werden. Zudem sei der Chefpathologe des Innenministeriums, Dr. Salah al-Tubaigi, mit eingeflogen. Er habe eine Knochensäge bei sich gehabt. Alle 15 haben das Generalkonsulat wenige Stunden vor Khashoggi betreten, kurz darauf wieder verlassen und sind am gleichen Tag zurückgeflogen. So wird diese Mordgeschichte in immer schauerlicheren Einzelheiten bekannt, ohne dass sich die türkische Regierung offiziell äußert. Nur Präsident Recep Tayyip  Erdogan sagte, man habe Spuren von Gift im Generalkonsulat gefunden.

Am 16. Oktober wurden die Räume des Generalkonsulates von türkischen und saudischen Ermittlern gemeinsam durchsucht. Es stellte sich heraus, dass sämtliche Räume gründlich gereinigt und in mehreren Zimmern die Wände frisch gestrichen waren.

Zunächst behauptete die saudische Regierung, Khashoggi habe das Gebäude gesund und mit den gewünschten Dokumenten verlassen. Erst als klar wurde, dass diese Version völlig unglaubhaft ist, verbreitete Riad eine neue Version: Man habe Khashoggi verhören wollen, das Verhör sei außer Kontrolle geraten und Khashoggi unabsichtlich zu Tode gekommen. Kein Angehöriger des Königshauses habe etwas davon geahnt.

Was war das Motiv?

Was bis heute vor allem Rätsel aufgibt, ist das Motiv der mutmaßlichen Täter. Khashoggi mag den Autoritäten in Riad lästig gewesen sein. Er vermochte aber nicht die offizielle Politik in Washington zu beeinflussen. Seine Beiträge in der Washington Post fanden bei arabischen Lesern kaum Widerhall, sie konnten die politische Stabilität Saudi-Arabiens nicht bedrohen. Oder wusste er zu viele über Korruption, Verschwendung, Repression und lasterhaftes Treiben in der politischen Elite, über verdeckte Beziehungen zu Salafisten, Islamisten, Terroristen? Weshalb aber bringt man ihn dann so spektakuklär um, an einem Ort, wo sich die Spuren nicht verbergen lassen? Wer ihn töten wollte, hätte dies geschickter tun können: ein Raubmord, ein vorgetäuschter Verkehrsunfall, Gift, ein einsamer Auftragskiller. Weshalb diese barbarische Methode, deren Spuren sich vor forensischen Experten niemals verwischen lassen? Weshalb in einem Gebäude, das rings von Videokameras umgeben ist und das vermutlich auch im Inneren Überwachungseinrichtungen enthält? Alles deutet darauf hin, dass man in der Türkei sehr genau wusste, was innerhalb des saudischen Generalkonsulats vor sich ging. Man kann diese Erkenntnisse allerdings nicht öffentlich verwerten, weil sie auf illegale Weise erworben wurden. Deshalb der Ansatz, die Medien zu informieren, sich selbst aber bedeckt zu halten.

Bisherige Erkenntnisse lassen nur drei Hypothesen zu: Entweder Saudi-Arabiens Kronprinz bin Salman hat diesen Mord in dieser Form befohlen. Oder er hat Worte gesagt wie „Schafft mir diesen Kerl vom Halse!“ und übereifrige Mitarbeiter haben dies als Befehl aufgefasst. Oder hochrangige Kleriker haben Mitarbeiter des Kronprinzen für sich gewonnen und diese Tat vollbringen lassen, um den als reformfreudig und religionsfern geltenden Kronprinzen irreparabel zu beschädigen. Alle drei Hypothesen werfen ein beängstigendes Licht auf das Regierungssystem des Landes. 

Sind dem Westen die Hände gebunden?

Kein Wunder, dass die politischen Wellen hochschlagen. Rufe nach Sanktionen, nach Bestrafung werden laut. Das Problem ist: Saudi-Arabien ist nicht nur ein hochgerüsteter, sondern vor allem ein unvorstellbar reicher Staat. Auf dieses Geld schielen viele. Kronprinz bin Salman plant Investitionen von mehr als 500 Milliarden US-Dollar im eigenen Land, er investiert in viele Unternehmen, die ohne sein Geld nicht expandieren könnten, zu denen pikanterweise auch welche aus Trumps Immobilienimperium gehören. Man muss nicht so kaltschnäuzig wie Joe Kaeser von Siemens auftreten, der sagte, wenn er Kontakt mit Ländern vermeiden wolle, in denen Menschen verschwinden, müsse er zuhause bleiben. Kaeser war schon vorher aufgefallen durch ausgeprägte Liebedienerei gegenüber Männern wie Trump oder auch Russlands Präsident Wladimir Putin. 

Aber er hat in einem Punkt Recht: Es macht wenig Sinn, sich rhetorisch aufzuplustern, aber Krallen und Schnabel einzuziehen. Empörung ist keine Politik. Ein deutscher Satiriker hat nicht Unrecht: Weshalb sich über einen barbarischen Mord im Ausland aufregen, wenn öffentliche Enthauptungen, das Abhacken von Händen oder Auspeitschungen innerhalb Saudi-Arabiens an der Tagesordnung sind? Wie weit sind wir bereit, unsere Empörung in handfeste Entscheidungen zu übersetzen, die auch uns selbst weh tun können? Und was bewirken wir damit in der saudischen Gesellschaft? Wird diese sich nicht dann eher hinter den traditionellen Strukturen scharen? Dissidenten verschwinden in China und der britische Geschäftsmann Neil Haywood.  Russland lässt Gegner in Großbritannien mit Polonium und Novitschok vergiften. Der Westen hat nach dem Attentat auf Sergej Skripal russische Diplomaten ausgewiesen, sonst aber weitgehend auf business as usual gesetzt. Warum? Weil Russland ein Akteur ist, den man weder ignorieren noch isolieren kann. 

Die Politik des Möglichen

Was für Optionen hat der Westen Saudi-Arabien gegenüber? Auch hier könnten Diplomaten ausgewiesen werden. In jedem Fall dürfen Räume, in denen ein solches Verbrechen vermutet wird, keine diplomatische Unverletzlichkeit beanspruchen. Sollten die türkischen Ermittler Spuren gefunden haben, müsste das gesamte Generalkonsulat akribisch durchsucht werden. Saudische religiöse Propaganda lässt sich nicht von politischer Propaganda trennen. Sie sollte stärker eingedämmt und schärfer kontrolliert werden. Waffenverkäufe an Saudi-Arabien sollten überprüft werden – allerdings mit der realpolitischen Einsicht, dass Saudi-Arabien die Waffensysteme, die es im Westen nicht erhält, leicht in Russland kaufen kann. Kronprinz bin Salman war als erstes Mitglied der saudischen Königsfamilie mehrfach in Moskau. 

Saudi-Arabien war immer schon ein unpassender Partner für einen Westen, der auf liberale Werte und demokratische Strukturen setzt. Politik, vor allem Außenpolitik, muss einen Balanceakt vollbringen zwischen dem Wünschbaren und dem Möglichen. Es geht in der Politik, vor allem in der Sicherheitspolitik, weniger darum, das Bessere zu fördern, als das Schlimmere zu verhindern. Das strategische Ziel muss sein, Saudi-Arabien auf einen Reformkurs zu bringen ohne die innere Stabilität zu gefährden. Nach den Erfahrungen in Afghanistan, im Irak und in Libyen sollte jeder wissen, dass die Alternative zu einer Despotie nicht zwingend Demokratie ist. Ein Staatszerfall und Chaos in Riad und Jedda wäre noch fürchterlicher als das gegenwärtige Regime.

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