Iran - Rohani und die Grenzen seiner Macht

Amtsinhaber Hassan Rohani hat sich bei den Präsidentschaftswahlen im Iran gegen seinen ultrakonservativen Herausforderer durchgesetzt. Doch Rohanis Macht sind enge Grenzen gesetzt. Die Gründe liegen im Herrschaftssystem des Iran ebenso wie bei Donald Trump

Hassan Rohani will das System von innen heraus humanisieren / picture alliance
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Autoreninfo

Wilfried Buchta ist promovierter Islamwissenschaftler. Von 2005 bis 2011 arbeitete er in Bagdad als politischer Analyst (Senior Political Affairs Officer) für die UNO-Mission im Irak. Als Zeitzeuge hat der ausgewiesene Kenner der Region und ihrer Geschichte die politischen Ereignisse, die zum Erstarken des »Islamischen Staates« geführt haben, täglich hautnah miterlebt. Sein neuestes Buch heißt „Die Strenggläubigen. Fundamentalismus und die Zukunft der islamischen Welt“ (Hanser Berlin).

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Die Nachricht über das Ergebnis der am 19. Mai abgehaltenen iranischen Präsidentenwahlen wurde in Berlin und Brüssel mit Erleichterung aufgenommen. Amtsinhaber Hassan Rohani, Symbolfigur und Führer der iranischen Moderaten, konnte mit 57 Prozent der abgegebenen Stimmen seinen stärksten Rivalen, den vom Revolutionsführer Ali Khamenei favorisierten, radikal-konservativen Hardliner Ebrahim Raisi, der nur 38 Prozent erhielt, überraschend deutlich schlagen. Die Erleichterung der EU-Staaten, die sofort Rohani gratulierten, ist berechtigt: Bedeutet doch der Sieg Rohanis, dass im ewigen inneriranischen Lagerkampf zwischen den Radikal-Konservativen, den Moderaten und den Reformern die miteinander koalierenden Kräfte der Moderaten und Reformer einen Etappenerfolg errungen hatten.

Wirtschaftlicher Aufschwung blieb aus

Rohani verdankt seine Wiederwahl insbesondere der Wählergunst einer mehrheitlich revolutionsmüde gewordenen Bevölkerung, die vor allem drei Dinge will: mehr gesellschaftliche Freiheit und ein Leben in Normalität, ein Ende der ideologischen Feindschaft zum Westen und – am allerdringlichsten – eine rasche Sanierung der chronisch kranken Wirtschaft, die bei den 80 Millionen Iranern für eine wachsende Arbeitslosigkeit, steigende Armut und ein zunehmend spannungsreicheres Gesellschaftsklima sorgt. Für alle diese Ziele stand und steht Rohani, zumal er sich zugutehält, in seiner ersten Amtszeit das internationale Atomabkommen mit den fünf UN-Sicherheitsmächten und Deutschland ausgehandelt zu haben.

Dieses von der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) in Wien kontrollierte Abkommen hält Teheran bislang ein, was die EU 2016 zur Aufhebung ihrer Sanktionen bewegte. Auch die USA annullierten den Teil ihrer Sanktionen, der den Iran für seine mutmaßlichen Aktivitäten zum Bau von Atomwaffen bestrafen sollte. Zugleich aber hielt Washington jenen Teil seiner Handels- und Finanzsanktionen aufrecht, der die Menschenrechtsverletzungen des iranischen Regimes und seine Rolle als regionaler Sponsor von international geächteten Terrororganisationen, wie der libanesischen Hisbollah und der palästinensischen Hamas, betrifft.

Und es sind gerade jene Sanktionen, die die Mehrzahl westlicher Unternehmen bislang vor einem verstärkten Engagement und Investitionen im Iran abschrecken, weil sie fürchten, Opfer juristischer und finanzieller Strafmaßnahmen der USA zu werden. Das Ergebnis: Der von Rohani versprochene Aufschwung der iranischen Wirtschaft, für den westliche Investitionen unabdingbar sind, blieb aus oder materialisierte sich weitaus langsamer als erhofft.

Einzigartiges Hybridsystem

Der Jubel der Rohani-Anhänger im Iran und die Zufriedenheit der EU ob Rohanis Sieg sollte über eine Tatsache nicht hinwegtäuschen: Innerhalb des 1979 in der Iranischen Revolution entstanden Herrschaftssystems und seiner Verfassung sind dem Bewegungsspielraum des Präsidenten enge Grenzen gesetzt. Zwar ist der Präsident qua Kompetenzen zweitmächtigster Mann im System, kann aber dessen Grenzen gegen den Widerstand der übrigen Systemakteure, insbesondere dem des Revolutionsführers, nicht verschieben oder aufheben.

Irans 1979 verabschiedete Verfassung schuf ein weltweit einzigartiges Hybridsystem, in dem sich republikanisch-demokratische und theokratisch-autoritäre Elemente verschränken. Die wesentlichen demokratischen Organe sind das Amt des Präsidenten, der die Alltagsgeschäfte der Regierung führt, und das gesetzgebende Parlament. Beide Organe werden alle vier Jahre vom Volk gewählt, wobei zu den Wahlen nur Kandidaten zugelassen werden, die verfassungstreu und dem System gegenüber loyal sind. Im Zentrum der Verfassung steht das theokratische Konzept der Rechtsgelehrtenherrschaft, das einen einzelnen schiitischen Theologen mit absoluten Machtbefugnissen ausstattet.

Der Revolutionsführer hat das letzte Wort

Zwar hatte der Staatsgründer Ayatollah Khomeini Konzessionen an die moderne und global ausgerichtete Außenwelt gemacht, indem er pro forma Institutionen einer parlamentarischen Demokratie akzeptierte. Doch zugleich schuf er ein auf ihn zugeschnittenes Amt, das über allen gewählten Organen stand und somit das republikanische Element der Verfassung neutralisierte: das Amt des Revolutionsführers (rahbar). Dieser Revolutionsführer legte nicht nur die Richtlinien der Politik fest, sondern kontrollierte auch die Justiz, die Revolutionswächterarmee und die reguläre Armee, die Polizei und Geheimdienste, Justiz und staatliche Medien sowie die revolutionären Stiftungen, die zusammen mit den Revolutionswächtern den Großteil der nationalen Wirtschaft verwalteten.

Letztlich entstand im Iran ein kompliziertes, durch Kontrollinstanzen und Gegengewichte charakterisiertes politisches System, das mit pseudodemokratischen Dekorationen und Kulissen glänzte. In diesem System vermag das Volk, obschon es Präsident und Parlament wählen kann, nichts an dessen Grundlagen und den wesentlichen personellen Konstellationen zu ändern. Denn am Ende hat stets der Revolutionsführer, der über Exekutive, Legislative und Judikative steht, das letzte Machtwort.

Trumps Interesse im Iran

Ausgestattet mit einem starken Wählermandat, strebt Rohani, wie seine jüngsten Ankündigungen nach der Wahl verdeutlichten, nun danach, seine Politik der umfassenden Normalisierung der Beziehungen zum Westen noch zu forcieren. Doch nüchtern und realistisch betrachtet, bleiben seine Erfolgschancen gering. Zwei Haupthindernisse, das eine außenpolitischer und das andere innenpolitisch-systemischer Natur, dürften sich als schwer überwindbar herausstellen.

Das erste ist die Veränderung der weltpolitischen Großwetterlage, bewirkt durch die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, der das von seinem Vorgänger ausgehandelte Atomabkommen ablehnt. Gleichwohl sind die USA unter Trump ohne einen nachweisbaren iranischen Regelbruch gezwungen, am Abkommen festzuhalten, da sich Washington ansonsten durch eine unilaterale Aufkündigung ins Unrecht setzen und international isolieren würde.

Das hindert Trump aber nicht, den Iran weiter politisch einzudämmen. Sei es, indem er die politische und militärische Partnerschaft mit Saudi-Arabien, Irans Erzrivalen um die Rolle der Hegemonialmacht in Nahost, erneuert. Sei es durch neue Handelssanktionen. Mit diesen Sanktionen, die Washington mit Teherans Menschenrechtsverletzungen und seiner Rolle als internationaler Terrorsponsor begründet, bezweckt Trump zweierlei. Erstens will er den Iran an der Überwindung seiner Wirtschaftskrise hindern und so innerlich schwächen. Zweitens will er dem Regime die Mittel rauben und seinen Einfluss im Nahen Osten zurückdrängen, den es nach der US-Invasion im Irak 2003 und dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs 2011 in Irak und Syrien massiv hat erweitern können.

Angst vor dem Systemkollaps 

Das zweite Hindernis für Rohani sind die innenpolitischen Machtverhältnisse zugunsten der Radikal-Konservativen, zu denen auch Revolutionsführer Ali Khamenei gehört. Die von ihnen dominierte Justiz hat auch in der ersten Amtszeit Rohanis Regimekritiker mit aller Härte verfolgt und die Versprechen Rohanis, mehr soziale Freiheiten und Reformen durchzusetzen, wirksam durchkreuzt. Rohani blieb dagegen machtlos, eine bittere Erfahrung, die auch schon sein reformorientierter Vorgänger im Präsidentenamt, Mohammad Khatami (1997-2005) hat machen müssen.

Aber ebenso wie Khatami ist Rohani kein Systemumstürzler, der durch Mobilisierung seiner Anhänger einen Volksaufstand anzetteln würde. Zu groß ist die Furcht, eine Lawine loszutreten, die in einem gewaltsamen chaotischen Systemkollaps münden könnte. Denn aller Kritik an den Missständen des Regimes zum Trotz sind Rohani und sein Vorgänger Khatami Produkte und loyale Anhänger des Systems. Eines Systems, das sie seit 1979 aufbauen halfen, dem sie alles verdanken und das sie nicht umstürzen, sondern durch Reformen von innen humanisieren wollen.

Angesichts dieser Konstellation muss man fragen: Was bleibt? Allein die Hoffnung, dass der Nachfolger des jetzigen 77-jährigen Revolutionsführers, Khamenei, welcher bereits seit längerer Zeit krank ist, eine größere Bereitschaft hat, eine Öffnung des Systems nach innen und außen zu unterstützen. Doch bis es zu diesem Amtswechsel kommt, kann der Westen nur die um Rohani gescharten und im Volk populären Moderaten unterstützen, die einer von ihren antiwestlichen Gegnern betriebenen Abschottung und Radikalisierung des Systems entgegenarbeiten.

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