Impf-Offensive - Frankreichs „Generalmobilmachung gegen das Virus“

Frankreich macht vor, wie es laufen kann. Nicht verbrauchte AstraZeneca-Dosen werden seit dem Wochenende von niedergelassenen Ärzten in ihren Praxen verimpft. 220.000 waren es allein am Samstag. Bis Mitte April soll es zehn Millionen Erstimpfungen geben. 

Impfzentrum in der Sportarena von Lyon / dpa
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Kay Walter arbeitet als freier Journalist in Frankreich

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„Solange sich in den Kühlschränken die Impfdosen stapeln, solange wird es auch keinen erneuten Lockdown geben“, sprach der Präsident. Der Ankündigung vorausgegangen war dem Vernehmen nach ein Wutausbruch von Emmanuel Macron im Kabinett. Grund: die schlechte Impfquote im Land, derzeit sogar noch (etwas) schlechter als in Deutschland.

Genau das aber dürfte sich jetzt ändern. Und zwar sehr, sehr schnell. Denn seit dem Wochenende können in Frankreich die Hausärzte ihre Patienten impfen. Ab dem kommenden Wochenende dann auch die Apotheker, Hebammen und Krankenschwestern. Eben alle, die auch sonst Grippeimpfungen oder Ähnliches vornehmen. Premier Jean Castex spricht von einer „Generalmobilmachung gegen das Virus“. 

Über 400.000 Impfungen an einem Wochenende

Piqué – gepikst werden alle, die es wünschen, über 50 Jahre alt sind und obendrein unter Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Krebs, Allergien oder Asthma leiden. Darüber hinaus können sich Lehrer und Feuerwehrleute impfen lassen, bei Krankenpflegern wird intensiv darum geworben. Und auch an Angehörige von Risikopatienten richtet sich das Impfangebot.  

Während in Deutschland – jedenfalls in den allermeisten Bundesländern – 70-jährige Schwerst-Diabetiker oder 40-jährige krebskranke Familienväter vergeblich darum betteln müssen, endlich eine der Millionen Dosen verabreicht zu bekommen, die unterdessen die Kühlschränke verstopfen, wurden in Frankreich jetzt an nur einem Wochenende weit über 400.000 Menschen gegen das Virus geimpft. Mitte April sollen zehn Millionen Franzosen zumindest die erste Dosis erhalten haben. Mitte Mai weitere zehn Millionen. Möglich wird dieser Fahrplan auch dadurch, dass das gesamte medizinische Personal den Impfstoff injizieren darf, das auch andere Vakzine verimpft.

Man muss es nur tun

Und das in einem Land, das ansonsten rigide die 35-Stunden-Woche einhält und Wochenendarbeit als unzumutbaren Angriff auf die eigene Lebensweise betrachtet. Es geht also. Man muss es nur tun, statt erst ein Pilotprojekt bei vier brandenburgischen Medizinern einzurichten, um zu prüfen, ob approbierte Ärzte tatsächlich fähig sind, ihren Patienten eine simple Spritze zu verabreichen.

Nun wird es allerdings auch allerhöchste Zeit für Frankreich, das Tempo zu erhöhen. Die Inzidenz ist wesentlich höher als in Deutschland. Prinzipielle Impfskepsis ist weit verbreitet und selbst das Krankenhauspersonal ist bislang lediglich zu knapp 30 Prozent geschützt, obwohl die Ansteckungsrisiko gerade dort besonders hoch ist.

Umgehende Verteilung

Selbstverständlich gilt auch in Frankreich eine Prioritätenliste ähnlich der deutschen. Doch statt übriggebliebene Ampullen mit je zehn bis elf Dosen nutzlos zu horten, wie das in Deutschland geschieht, sorgt Frankreich nun für deren umgehende Verteilung an all diejenigen, die willens sind, auch wenn sie noch nicht ganz oben in der Priorität stehen. 

Das wird Folgen haben. Denn spätestens, wenn sich Geimpfte ohne Restriktionen ins Kino, ins Restaurant oder in den Urlaub aufmachen - und eben das wird ganz zwangsläufig kommen, weil Regierungen ihren Bürgern nicht dauerhaft Freiheitsrechte vorenthalten können – spätestens dann dürften die meisten Impfgegner ihre Skepsis aufgeben.

In Frankreich sind seit dem Wochende die Voraussetzungen dafür geschaffen worden. Eigentlich. Denn der Erfolg der Impfkampagne war so groß, dass er die Administration des Landes überfordert hat. In der jetzt laufenden Woche sollten landesweit die Apotheken mit den Vakzinen beliefert werden. Allein, es gibt (noch) gar nicht genügend, um mehr als 1-2  Ampullen pro Apotheke ausgeben zu können. Und so gingen die niedergelassenen Ärzte leer aus. Praktisch bedeutet das erstens, dass die Mediziner wahrscheinlich eine knappe Million fest vereinbarte Impfungen wieder absagen müssen. Und zweitens, dass Frankreich zwar die organisatorischen Voraussetzungen hätte, um schnell zu impfen, nicht aber ausreichend Vakzine.

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