Hongkongs Niedergang und Chinas Vormarsch - Eine letzte Warnung

Im Umgang mit China glaubt der Westen noch immer an sein Credo „Wandel durch Handel“. Wie naiv das ist, zeigt das Schicksal Hongkongs. Das historische Zeitfenster, sich der Diktatur entgegenzustellen, wird immer kleiner.

Freiheitskampf in Hongkong gegen China / dpa
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Autoreninfo

Kelvin Tsui wurde 1989 in Hongkong geboren. Er studiert heute in Trossingen Cembalo, Alte Musik, Ensembleleitung und Gesang. Davor studierte er in Lyon und Weimar. Er ist zweiter Vorsitzender des Vereins „Hongkonger in Deutschland“.

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Während die ganze Welt derzeit mit der Corona-Pandemie zu kämpfen hat, leiden die Hongkonger nicht nur unter der Pandemie, sondern weiterhin unter der zunehmenden Unterdrückung durch die eigene Regierung. Mittlerweile sind es fast sechs Monate vergangen, seitdem das Hongkonger Nationale Sicherheitsgesetz vom chinesischen Nationalen Volkskongress gewaltsam eingeführt wurde.

Die Situation in Hongkong hat sich seitdem drastisch verschlechtert. Gewissermaßen kam die Pandemie der Hongkonger Regierung gerade „rechtzeitig“. Denn die Protestbewegung war eigentlich noch lange nicht am Ende. Die Bekämpfung des Pandemiegeschehens kann zumindest gut ausgenutzt werden, um auch die Protestbewegung einzudämmen. Seit dem 28. März schon gilt ein Versammlungsverbot, weshalb seither auch jegliche Protestaktionen nicht mehr erlaubt sind. Obwohl die Polizei seit Anfang der Protestbewegung im Jahr 2019 anders als früher kaum noch Anträge auf Demonstrationen zugelassen hat, hatten die meisten Hongkonger diese Vorgaben der Polizei ignoriert und sind trotzdem auf die Straße gegangen.

Das Interesse an der Pandemie

Doch jetzt kommt verständlicherweise zur Angst vor Repressionen auch noch die Angst vor dem Corona-Virus. Tatsächlich verläuft die pandemische Situation in Hongkong relativ mild im Vergleich mit vielen anderen Ländern. Und dennoch hat die Hongkonger Regierung immer wieder Corona-Maßnahmen eingeführt, nach denen die Infektionszahlen sich aber sogar eher erhöht haben. So hatte etwa die Befreiung von Testungen bzw. Quarantänepflichten ausgerechnet für Seeleute direkt zur dritten Infektionswelle von Ende Juli geführt. Fast könnte man das Gefühl, dass die Hongkonger Regierung gar nicht wirklich möchte, dass die Pandemie richtig eingedämmt wird, damit die Hongkonger weiterhin Angst haben, auf die Straße zu gehen.

Anfang Dezember:
Die Aktivisten Ivan Lam (Mitte, l) und Joshua Wong (Mitte, r),
eskortiert von Beamten des Strafvollzugs / dpa

Aber die von Peking stark beeinflusste Hongkonger Regierung nutzt nicht nur die Pandemie politisch aus. Sie hat zugleich mit einer politischen Hexenjagd begonnen. Schon am 1. Juli, also einen Tag nach der Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes, wurden zehn Menschen wegen Verstoß gegen dieses Gesetz festgenommen, weil sie an einer Demonstration teilnahmen. Es waren ganz normale Stadtbürger, mit Flyern, Fahnen und Klamotten, auf denen der Slogan „Befreit Hongkong, Revolution unserer Zeit“ zu lesen war. Diese Festnahmen sind ein klares Signal der Hongkonger Regierung: Nicht nur Oppositionspolitiker können verhaftet werden, sondern auch normale Bürger:

Am 21. Juli, dem ersten Jahrestag des Angriffs in Yuen Long, wurde dann der erste Lokalpolitiker Rayman Chow festgenommen, nur weil er in der Öffentlichkeit den erwähnten Slogan gezeigt hat.

Am 29. Juli wurden Tony Chung und 3 weitere Mitglieder der Pro-Autonomie Schülerorganisation „Studentlocalism“ festgenommen.

Danach wurden hintereinander mehrere namhafte Politiker und Politikerinnen, sowie Anführer und Anführerinnen aus dem Pro-Demokratie-Lager verhaftet, darunter etwa Agnes Chow, Andy Li und Tak-Chi Tam.

Presse in Gefahr, Aktivisten im Aysl

Der verhaftete Medienunternehmer Jimmy Lai / dpa

In Hongkong herrscht der weiße Terror. Selbst Medien können trotz Pressefreiheit nicht mehr ausschließen, ins Visier der Sicherheitskräfte zu geraten. Am 10. August hatte sich die Polizei zu einer Durchsuchungsaktion in das Bürogebäude von Next Digital, der Muttergesellschaft der Hongkonger Zeitung Apple Daily, begeben. Dabei wurden sieben Verwaltungskräfte festgenommen, darunter Jimmy Lai, der Besitzer des Next Digital. Sie wurden verhaftet, weil sie von ausländischen Regierungen verlangten, die Hongkonger Regierung zu sanktionieren. Diese Aktion ist ein ganz klarer Verstoß gegen die Pressefreiheit.

Inzwischen sind zahlreiche namhafte Politiker, sowie Anführer der Pro-Demokratie-Bewegung aus Hongkong geflohen und befinden sich im politischen Asyl:

- Nathan Law (Großbritannien): ehemaliger Abgeordneter und Gründungsmitglied der Partei Demosisto.
- Wayne Chan (unbekannt): Vertreter der studentischen Organisation StudentsIndependence Union.
- Ray Wong (Deutschland): Vertreter der Partei Hong Kong Indigenous
- Honcques Laus (Großbritannien): Vorsitzender der Partei Hongkonger UtilitarianParty
- Finn Lau (Großbritannien): Gründungsmitglied der Organisation Stand with HongKong
- Ted Hui (Dänemark): Ehemaliger Abgeordneter und Mitglied der Democratic PartyHong Kong
- Sunny Cheung (unbekannt): studentischer Aktivist
- Baggio Leung (USA): Ehemaliger Abgeordneter und Sprecher der ParteiYoungspiration

Logischerweise stehen sie nun auf der Fahndungsliste der Hongkonger Polizei und können in absehbarer Zukunft ihre Familien und Freunden in Hongkong nicht mehr sehen. Dies ist also die Konsequenz, wenn man sich für Demokratie und Freiheit einsetzt.

China nutzt Abkommen und Werte aus

Seit mehr als 100 Jahren hat sich Hongkong von einem Fischerdorf zu einer zivilisierten Metropole mit Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und einem international anerkannten Handelssystem entwickelt. All das wird nun mit Nationale Sicherheitsgesetz innerhalb eines Augenblickes komplett zerstört. Natürlich wollen wir den einstigen Kolonialismus nicht befürworten. Auch zu Beginn der kolonialen Zeit hatten die damaligen Hongkonger ein schweres Leben, welches jedoch seit den 70er Jahren immer besser wurde. Hongkonger waren seither nicht mehr als Menschen zweiter Klasse angesehen. Trotz Kolonialismus ist dies ein Fakt.

Die politische Entwicklung in Hongkong hat das aggressive Ansinnen der chinesischen Regierung nun vielfach aufgezeigt. Die Missachtung der gemeinsamen chinesisch-britischen Erklärung ist ein klarer Beweis dafür, dass die chinesische Regierung keinen Respekt vor internationalen Abkommen bzw. Werten hat. Sie sind nur ein willkommenes, vorübergehendes Mittel, um mit anderen Ländern handeln zu können. Sind die angestrebten Ziele erreicht, werden alle Versprechungen und Vereinbarungen entsprechend zurechtgebogen. China kann es sich leisten, weil sie mittlerweile machtvoll genug ist.

Hongkong als deutliches Warnsignal

Meiner Meinung nach ist dies das größte Versäumnis in der bisherigen China-Politik Deutschlands und der EU: Die kontinuierliche Vermutung, oder besser gesagt der Wunschgedanke, dass sich die chinesische Regierung in den Bereichen Freiheit, Menschenrechten und Demokratie dadurch verbessern würde, dass die dortige Wirtschaft wächst, also „Wandel durch Handel“.

Eines wird dabei aber vergessen: Nach der langjährigen Diktatur, bzw. der politischen Unterdrückung haben die Chinesen kaum noch Ambition oder Mut, dafür zu kämpfen, weil sie Angst haben, das Tiananmen Massaker könnte sich wiederholen. Leider hat die chinesische Regierung ihre Bürger fest im Griff. Sie heißt deshalb den „Handel“ willkommen, weil sie auch genau weiß, dass der „Wandel“ nie passieren wird.

Wenn man die Hongkonger Vergangenheit mit der Gegenwart vergleicht, ist es nicht schwer zuerkennen, wer der größere Teufel ist. Für die westliche Welt ist Hongkong ein von seinen Bewohnern bitter bezahltes Warnsignal. Falls die Politiker in Deutschland und der EU weiterhin naiv glauben, dass Gespräche noch eine Wirkung haben, und nicht kollektiv etwas Konkretes gegen diese chinesische Autokratie tun, könnte Europa bald auf Hongkongs Spuren wandeln.

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