Die Bundesrepublik Deutschland ist ein föderaler Staat. Ihr gehören 16 Bundesländer an. Österreich zählt nicht dazu. Wer die jüngsten Wortmeldungen deutscher Politiker zur Regierungskrise in Wien verfolgt, kann jedoch diesen irrigen Eindruck gewinnen: dass die Republik Österreich nichts dringender benötigt als deutsche Ratschläge. Dass Österreichs Wohl und Wehe von der Befolgung dieser Ratschläge abhängt. Dass die Freiheit Österreichs in Berlin verteidigt wird. Denn – so der saarländische Ministerpräsident, Tobias Hans von der CDU, – „dies ist keine allein innerösterreichische Angelegenheit.“
Nur Österreichs Bürger wählen ihre Regierung
Natürlich kann man sich in einer Zeit, die alle Politik als Weltinnenpolitik begreift, fragen, ob es eine in strengem Sinn nationale Politik überhaupt geben kann. Die Entscheidungsträger sind global ebenso vernetzt, wie es die Probleme sind, derer sie Herr zu werden versuchen. Auch unter den Bedingungen fortwährender Globalisierung jedoch geht Demokratie, wo sie herrscht, vom Volk aus – vom jeweiligen Staatsvolk auf einem klar umrissenen Staatsgebiet. Nur Österreichs Bürger wählen ihre Regierung, und nur in Österreich wird von Österreichern entschieden, ob und wann es Neuwahlen geben mag. Die unerbetenen Handlungsempfehlungen aus dem Norden sind anmaßend, dreist und kontraproduktiv. Sie kleiden nationalen Dünkel ins Gewand globaler Sorge.
Wenn nun, noch bevor die Entscheidung in Wien zugunsten von Neuwahlen gefallen war, die deutsche SPD-Vorsitzende Andrea Nahles solche Neuwahlen forderte, wenn die deutsche Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock ihr zustimmte und präzisierte, es reiche nicht, in Österreich „nur Köpfe auszutauschen“, und wenn Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) strafrechtliche Ermittlungen gegen den ehemaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und ein Ende aller Koalitionsabsichten von ÖVP und FPÖ erwartet: Dann äußern sich deutsche Wahlkämpfer fürs deutsche Publikum. Österreich wird eingemeindet, um aus dem unentschuldbaren Verhalten von Strache Honig für die jeweils eigene Politik zu saugen. Man gibt dem österreichischen Pferd die Sporen, damit deutsche Wähler spuren.
Keine Sippenhaft – auch nicht für Parteien
Es gibt gute Gründe, sich von einem europaweiten Erstarken rechter Parteien wenig Gutes zu erwarten. Der untauglichste Grund ist jedoch die Sippenhaft denkbar heterogener Parteien und Bündnisse für Straches schlimmes Gebaren auf Ibiza. Jeder ist seines eigenen Unglücks Schmied. Oder erinnert sich jemand an Warnungen vor der europäischen Sozialdemokratie, nachdem Pasok-Übervater Andreas Papandreou in Griechenland ein fein austariertes System der Günstlingswirtschaft errichtet hatte? Oder nachdem der langjährige Pasok-Minister Athanasios Tsochatzopoulos zu 20 Jahren Haft wegen Bestechlichkeit verurteilt worden war? Sagte damals ein FDP- oder CDU- oder Grünen-Politiker in Richtung SPD, nun sehe man, was passiere, wenn man die Geschicke eines Landes der Sozialdemokratie anvertraue? Das führe immer zu Korruption und Chaos? Glücklicherweise ist ein solches ungerechtes Urteil nicht überliefert.
Allen Geschichtslegasthenikern sei gesagt: Im Stakkato der Empörung schlummert eine großdeutsche Versuchung, die bei anderer Gelegenheit von denselben moralischen Interventionalisten als Keim alles Bösen ausgemacht wird. So zumindest wird das verbale Hineinregieren in jenen österreichischen Ohren klingen, die man doch eigentlich auf den Pfad der Tugend zurück schimpfen will. Zu befürchten ist: Das Gegenteil wird sich ereignen. Kaum etwas schließt in Österreich schneller die Reihen als ein wohlmeinendes Trommelfeuer der „Piefkes“.
Insofern haben an den kommenden österreichischen Ereignissen auch deutsche Politiker (und deutsche Medien) ihre Aktien. Werden sie rechtzeitig abgestoßen, um sich in der politischen Baisse schadlos zu halten?