Britische Regierungsberater - Spindoktoren in Downing Street: Helfer oder Totengräber?

Wenn Kommunikationschefs Schlagzeilen machen, ist das nicht automatisch gut für ihre Regierungschefs. Boris Johnson lernt diese bittere Lektion gerade. In der britischen Politgeschichte spielen PR-Strategen seit Tony Blairs Zeiten eine zentrale Rolle. Sie sollen nicht nur Nachrichten vermitteln, sondern ihnen auch einen positiven Dreh geben - und ihre Chefs damit an der Macht halten.

Mit ihm fing es an: Alastair Campbell, Medienmanager unter Tony Blair / dpa
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Der Neustart, den Boris Johnson diese Woche in Downing Street versuchte, ging erst einmal nach hinten los: „Der Regierungschef ist kein totaler Clown“, sagte sein soeben ernannter Kommunikationschef Guto Harri frei von der Leber weg in seiner Muttersprache Walisisch in einem Interview just am Tag vor seinem Amtsantritt: „Er ist ein sehr liebenswerter Typ.“ 

Nichts ist schlimmer für einen ohnehin umstrittenen Regierungschef als ein Spindoktor, der gleich am ersten Arbeitstag patzt und zu viel schwatzt. Nachdem ihm vor einer Woche fünf enge Berater abhanden gekommen waren, musste Boris Johnson in aller Eile ein neues Team um sich versammeln. Guto Harri hat schon mit Boris Johnson zusammengearbeitet, als dieser noch Bürgermeister von London war.  

Dem ehemaligen Journalisten Harri war beim privaten, rechtslastigen Fernsehkanal GB-News im Juli 2021 gekündigt worden, weil er in anitrassistischer Solidarität mit dem englischen Fussballteam live auf Sendung ein Knie gebeugt hatte. Jetzt ist er wieder da. Johnson habe zu seiner Begrüßung „I will survive“ gespielt und gesungen, erzählte Guto Harri dann noch. Der konservative Premierminister plant, die jüngsten Skandale in Downing Street zu überleben. 

Der neue Beraterstab soll Johnson durch die nächsten Wochen bringen

Derzeit sieht es so aus, als könnte der 57-jährige Regierungschef zumindest bis zum Ende der polizeilichen Partygate-Untersuchung weiterregieren. Die Metropolitan Police muss entscheiden, ob sie in zwölf Fällen von illegalen Zusammenkünften während der Covid-Lockdowns Polizeistrafen verhängt – Johnson hat schon angedeutet, dass er auch dann nicht zurücktritt, wenn er Strafe zahlen muss. „In Downing Street herrscht Bunkermentalität“, schreibt das konservative Wochenblatt The Spectator.  

Vermutlich warten Johnsons schärfste innerparteiliche Kritiker das Ergebnis der Kommunalwahlen im Mai ab. Der neue Beraterstab soll den angeschlagenen Johnson durch die nächsten Wochen bringen. Der einstige Volksliebling ist zurzeit der unbeliebteste Regierungschef seit den 1980er-Jahren. Das Umfrageinstitut YouGov gibt an: 73 Prozent der Briten finden, er mache seinen Job schlecht. Nur 22 Prozent halten ihn für einen guten Regierungschef.  

Der Premierminister braucht einen neuen Spin, und den sollen ihm die Neuen verpassen. Neben Harri ist dafür sein Chief of Staff, der konservative Minister Steve Barclay, zuständig.  

Spindoktor Nick Timothy wurde mit Rasputin verglichen

Wie man Politiker und ihre Politik verkauft, ist seit Jahren ein lukratives Geschäft und ein wichtiger Bestandteil von Staatskanzleien geworden. In Großbritannien sind Spindoktoren schon seit Tony Blairs Zeiten von zentraler Bedeutung.   

Blairs Medienmanager Alastair Campbell war der erste Kommunikationschef, der nicht nur Nachrichten vermittelte, sondern wie ein PR-Chef ihnen auch einen Spin gab – einen positiven Dreh. Campbell war der Koordinator des Labour-Wahlkampfes 1997 für den energetischen Labour-Chef Tony Blair, der die Partei ins Zentrum zog und damit die Tories nach 18 Jahren an der Macht ablöste. Campbell schaffte damals etwas, was bis dahin unmöglich schien: Das Boulevard-Blatt The Sun unterstützte erstmals einen linken Kandidaten.  

Auch spätere Spindoktoren wurden für ihre scheinbar magischen Kräfte berühmt. 2016 etwa zog Nick Timothy mit Theresa May ins Zentrum der Macht in Downing Street 10 ein. Als ihr Chief of Staff war er einer der wichtigsten Berater der Regierungschefin. Wegen seines Vollbartes, aber auch weil er über gehörigen Einfluss verfügte, wurde er mit dem russischen Mystiker Rasputin verglichen, dem einst das Ohr der russischen Zarin Alexandra gehört hatte.  

Heute fällt der politische Berater vor gespieltem Entsetzen fast vom Sofa: „Ich bin doch kein Spindoctor, ich war nur Berater, der mit politischer Strategie befasst war“, sagt er im Gespräch mit Cicero. Der Vergleich mit Rasputin erscheint heute in der Tat krass. Der Prediger wurde am Ende ermordet. Nick Timothy erfreut sich dagegen heute als Kolumnist bei der konservativen Tageszeitung Daily Telegraph bester Gesundheit. 

Dominic Cummings überwarf sich mit Johnson

Mit seiner Meinung zum Partygate von Boris Johnson hält der Politstratege nicht zurück: „Ich bin schockiert. Es ist frustrierend, weil ich ein großer Unterstützer von dem war, wofür Boris stand: die konservative Partei nationaler zu machen, soziale Klassen und die Geografie des Landes ausgewogener zu repräsentieren.“ Aus Timothy spricht eine Enttäuschung, die auch bei vielen – ehemaligen? – Wählern von Boris Johnson zu spüren ist: „Mit seinem Verhalten beim Partygate hat Boris eine Linie überschritten, die ein Premierminister nicht überschreiten kann.“ 

Timothys Nachfolger spielen dabei bei den Skandalen um illegale Feste eine zentrale Rolle. Vor allem einer: Dominic Cummings, der 2019 mit Boris Johnson in Downing Street einzog. Cummings galt als genialischer Berater mit sozial auffälligen, egozentrischen Manieren. Für Boris Johnson gewann er erst die Brexit- und dann die Wahlkampagne 2019. Die beiden waren ein schlagkräftiges Team. War es der charismatische Ex-Bürgermeister von London, der für die Tories eine Mehrheit von 80 Mandaten erringen konnte, oder war es das manipulative Geschick seines Spindoktors, das zu einer breiten Allianz von Labour-Abgeordneten im armen Norden und konservativen Abgeordneten im reichen Süden führte?  

Solange sie an einem Strang zogen, war es egal, wer dafür verantwortlich war. Seit Cummings sich mit Johnson im November 2020 überworfen hat – angeblich gab es einen Stellungskrieg zwischen dem Berater und Johnsons Ehefrau Carrie über politischen Einfluss und Inhalte –, verfolgt Cummings den Exchef mit scheinbar unstillbarer Rache. Ein Gutteil der Leaks zu Partygate stammt aus seinem Köcher giftiger Pfeile, die den Regierungschef schwer verletzt haben. Als der Daily Mirror am Mittwoch dieser Woche neue Partyfotos mit Boris Johnson publizierte, twitterte Cummings prompt: „Es gibt noch viel bessere Fotos.“ 

Je schneller die PR-Chefs wechseln, umso schwieriger wird eine kontinuierliche und konsistente Medienarbeit. Downing Street erinnert inzwischen an Donald Trumps Weißes Haus, in dem Pressesprecher schnell kamen und gingen. Anthony Scaramucci – auch bekannt als „The Mooch“ – war der kürzeste White House Director of Communications aller Zeiten: Er war schon nach zehn Tagen im Juli 2017 wieder weg.  

Es fragt sich, ob die Marke „Boris Johnson“ überhaupt noch zu verkaufen ist

Je erratischer der Chef, umso schwieriger der Job. Um dem Regierungschef den Rücken freizuhalten, wird das Kommunikationsteam zuweilen auch zum Bauernopfer gemacht. So geschehen bei Allegra Stratton, einer ehemaligen BBC-Journalistin, die im November 2020 als Pressesprecherin kam und im Dezember 2021 unter Tränen ihren Rücktritt bekannt geben musste. Sie war zwar auf keiner illegalen Party im Lockdown gesichtet worden, hatte aber in einem Mock-Interview im Presseraum ein paar Witze über die Partykultur in Downing Street gerissen. Dieses Übungsvideo war an die Medien geraten.

Für Johnsons neue Medienmanager stellt sich in den kommenden Wochen nicht nur die Frage, wie lange sie und er überhaupt bleiben können. Zur Zeit ist es nicht klar, ob die Marke „Boris Johnson“ überhaupt noch zu verkaufen ist.  

Welchen Spin kann man erfinden, damit sich Wähler doch noch einmal für ihren ehemaligen Liebling Boris Johnson begeistern? Spin-Doktor Gavin Barwell, Chief of staff von Theresa May von 2017 bis zu ihrer Ablösung 2019, zögert, als Cicero ihm diese Frage stellt: „Der Premierminister muss vor allem eines glaubhaft ausdrücken: Reue“, sagt der politische Berater. Und dann: „Es darf keine unklaren Positionen mehr geben, kein Ausweichen, nur noch direkte Antworten. Die einzige Strategie wäre jetzt, die Gegner durch apologetisches Verhalten zu zermürben.“  

Eventuell könnte er dann wieder zur seiner politischen Agenda zurückkehren. Doch Barwell fügt hinzu: „Sicher ist das keineswegs.“ 

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