Großbritannien - Johnson-Nachfolge: Wer triumphiert im Game of Tories?

Nach dem Rücktritt von Boris Johnson muss die konservative Partei in diesen Wochen den Topjob neu besetzen. Der Kampf der Spitzentories findet derzeit recht geordnet in der Parlamentsfraktion statt. Johnsons Nachfolger wird dann auch Regierungschef. Oder auch Regierungschefin. Denn die Frauen sind stark vertreten.

Derzeitige Favoritin: Penny Mordaunt, Staatssekretärin für Handelspolitik / dpa
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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„Ich kann den Job sofort übernehmen“, sagte Liz Truss am Donnerstagvormittag, als sie sich den konservativen Abgeordneten im Unterhaus als Nachfolgerin von Boris Johnson empfahl. „Ich kann führen, harte Entscheidungen treffen und dem Moment gerecht werden.“ Großbritanniens jüngste Inkarnation der Eisernen Lady inszeniert sich schon seit geraumer Zeit als harte Feldherrin und Ultrabrexiterin. Jetzt aber wird es ernst für die britische Außenministerin. Da Boris Johnson vor einer Woche seinen Rücktritt als Parteichef verkündet hat, sucht die konservative Tory-Partei unter Hochdruck einen neuen Vorsitzenden – oder eine neue Vorsitzende. Liz Truss hat gute Chancen, zu gewinnen.

Hunger Games oder Game of Thrones?

Das konservative Magazin The Spectator nennt das derzeit laufende Auswahlverfahren mit Verweis auf die gleichnamige dystopische Romanreihe von Suzanne Collins „Hunger Games“: Es gehe ums nackte Politleben, und am Ende gewinnt der oder die Letzte am Schlachtfeld. Derzeit wirkt der Wettkampf um den Topjob aber auch wie der Machtkampf in der Fernsehserie „Game of Thrones“, eine Verfilmung der Bücher des US-amerikanischen Schriftstellers George R. R. Martin: Die Thronanwärter versammeln ihre Getreuen um sich und schließen Allianzen mit Verbündeten.

Im Vereinigten Königreich wird die Nachfolge nicht etwa im Hinterzimmer geregelt, es gibt klare Vorgaben. Zuerst treffen die Abgeordneten im Unterhaus die Vorauswahl – in dieser Woche wird das Feld der Kandidaten und Kandidatinnen gelichtet. Bis zum 21. Juli sollen nur noch zwei übrig sein. Dann geht das Parlament auf Sommerurlaub, und die Stichwahl verlagert sich zu den Parteimitgliedern.

Die Spitzenkandidaten präsentieren bei Veranstaltungen landauf, landab ihr Programm, die Parteimitglieder stimmen dann ab. Wenn alles klappt, sollte es spätestens am 5. September einen neuen Parteichef geben und damit auch einen fliegenden Wechsel – ohne Unterhauswahlen – in Downing Street zu einem neuen Premierminister. Oder einer neuen Premierministerin. Denn sowohl Liz Truss als auch Penny Mordaunt haben derzeit gute Chancen, in die Stichwahl und damit ins Spitzenamt zu kommen.

Distanz zu Boris Johnson ist von Vorteil

Die derzeitige Favoritin ist Penny Mordaunt. Penny who?, fragen sich derzeit viele Briten. Die Staatssekretärin für Handelspolitik ist laut einer Umfrage von „Savanta ComRes“ nur 11 Prozent der Bevölkerung und 16 Prozent der konservativen Wähler ein Begriff. Zwei Befragte verwechselten die Politikerin bei der Umfrage sogar mit der Pop-Sängerin Adele.

All das spricht aber offenbar für die 49-jährige Reservistin der Royal Navy, die ihre Karriere einst als Assistentin eines Zauberkünstlers begann. Denn nach einer Umfrage von YouGov gewinnt sie derzeit die Stichwahl gegen alle möglichen Kandidaten. „Es ist schon bemerkenswert, dass Großbritannien demnächst eine Premierministerin haben könnte, die von den meisten Menschen auf der Straße nicht erkannt werden würde“, twitterte dazu George Parker von der Financial Times. „Das ist offensichtlich auch ein Vorteil, wenn man die jüngsten Ereignisse in Westminster bedenkt.“

 

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Nach der bizarren Ära von Boris Johnson, in der Politik aus einem nervenzerrüttenden Mix aus Charisma und Chaos bestand, versucht sich die konservative Partei neu zu erfinden. Gesucht wird jemand, der oder die nicht nur beim Volk ankommt, sondern auch die Partei führen kann. Und der oder die genug Erfahrung, aber nicht zu viel Nähe zu Boris Johnson vorweisen kann. Das ist für die drei Aussichtsreichsten derzeit aber nicht leicht: Alle drei waren ja Teil des Johnson-Kabinetts.

Penny Mordaunt kann noch am Ehesten behaupten, sie habe nicht im engsten Kreis gesessen. Sie hatte nur eine Juniorposition und keines der fünf Kernressorts. Außenministerin Liz Truss versucht dagegen gar nicht erst, sich von Johnson zu distanzieren. Die 46-jährige Konservative appelliert viel mehr an Boris Johnsons Getreue, ihr das Vertrauen zu schenken, seinen Kurs weiterzuführen, wenn möglich noch etwas härter, aber auch disziplinierter. Die Ukraine soll weiter mit Waffen gegen Russland unterstützt werden. Und der Brexit soll nicht verwässert werden, eher im Gegenteil.

Weiße Männer sind out

Der dritte Kandidat, Rishi Sunak, hat sich nicht ungeschickt zu Boris Johnson positioniert. Die ganze Pandemie über hatte sich Sunak als kompetenter und loyaler Schatzkanzler in Johnsons Kabinett gezeigt. Als er am 5. Juli zurücktrat, zog er gerade noch rechtzeitig die Reißleine, um sich von Johnson zu distanzieren. Zwei Tage später war Johnson Geschichte. Der ehemalige Finanzminister repräsentiert somit gewissermaßen Kontinuität und Erneuerung gleichzeitig.

Der 42-jährige Sunak wäre auch ein Zeichen einer neuen Zeit: Seine Eltern sind indische Briten, die aus Ostafrika eingewandert sind. Sunak ist ein Musterbeispiel für gelungene Einwanderung. Er schaffte es an die Eliteunis Oxford und Stanford, wo er seine Frau Akashata Murty traf. Sie stellt auch seine Archillesferse dar: Ihr Vater ist ein indischer Milliardär, der Infosys gegründet hat, die zweitgrößte indische Tech-Firma. Im Frühling schrumpften Sunaks Chancen auf den Topjob in Partei und Land kurzfristig, weil sich herausgestellt hatte, dass seine Frau kaum Steuern in Großbritannien zahlte. Das war nicht illegal, schien aber für eine potentielle First Lady etwas unpassend.

Sunak selbst ist auch betucht, vor seiner politischen Karriere war er Banker. Dank des kombinierten Vermögens stehen Sunak und Murty sogar auf der Sunday Times-Reichenliste. Der Finanzminister ist der reichste Abgeordnete im Unterhaus. Ob der offen zur Schau gestellte Reichtum mitten in einer Wirtschaftskrise die Partei anzieht oder abstößt, wird sich zeigen. Und zwar nicht unbedingt bei seinen Peers im Parlament.

Unter den Tory-Abgeordneten gibt es einige vermögende Politiker – bei den Konservativen im Vereinigten Königreich müssen Politiker nicht arm sein, für eine erfolgreiche Karriere im Business- oder Banksektor vor dem Einzug ins Parlament geniert man sich nicht. Doch die Fraktion im Parlament ist nur die erste Hürde. Bis Ende nächster Woche werden nur zwei Kandidaten übrig bleiben, die sich dann vor der Parteibasis bewähren müssen Die Mitglieder der Tory-Partei stehen weiter rechts in Wirtschafts- und Brexitfragen. Sie sind sozial konservativer. Sunak könnte daran scheitern, dass er aus einer Einwandererfamilie stammt und dass er zu reich ist.

Schlachtenlärm in Westminster, Schweigen in Downing Street

Während der Schlachtenlärm der Thronfolge in Westminster in diesen Tagen nicht zu überhören ist, herrscht dröhnendes Schweigen in Downing Street. Boris Johnson sitzt dort noch als amtierender Regierungschef, der die Macht bereits verloren hat. Gesetzesvorhaben bleiben liegen, die Atmosphäre zwischen dem einstigen Volksliebling und seiner Regierung und Fraktion ist vergiftet.

Um dieser Misere ein Ende zu bereiten, könnte der Wettstreit um seine Nachfolge unter Umständen auch noch schneller beendet werden als gedacht. Theoretisch könnte der oder die Zweitplatzierte für die Stichwahl auch gleich das Handtuch werfen. So geschah es 2016, als Theresa May ohne Stichwahl in Downing Street einzog.

Es erscheint zwar derzeit eher unwahrscheinlich, dass der Tory-Parteibasis damit die Chance genommen werden würde, der Politspitze in Westminster gehörig die Meinung zu sagen und ihre Lieblingskandidatin auszuwählen. Ausgeschlossen aber ist es nicht. Dann hätte das Vereinigte Königreich schon Ende Juli eine neue Regierung. Und Boris Johnson müsste endgültig die Koffer packen.

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