Großbritannien übersteht harten Lockdown - Auf nach Soho!

Großbritannien erwacht aus einem langen und harten Lockdown. Der Erfolg der britischen Impfkampagne kann sich also sehen lassen. Dennoch könnte der nächste Schritt eher heikel werden – Auslandsreisen und die Einreisebestimmungen müssen nochmal überdacht werden.

Bilder wie vor Corona: Londoner im Stadtteil Soho / dpa
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Die Bilanz der Regierung nach mehr als einem Jahr der Pandemie ist verheerend. Zu wenig Impfstoff und keine Perspektive, dass Deutschland irgendwann wieder aus dem Tiefschlaf erwacht. Täuscht der Eindruck, oder klappt das Krisenmanagement überall anders auf der Welt besser? Diese Frage haben wir unseren Korrespondenten gestellt. In einer Serie werden sie aus dem Alltag in ihrer Wahlheimat berichten.

Jetzt, wo Generation Steinzeit und Mittelalter geimpft wurden, sind die vier Millenials in meinem Haushalt nicht mehr zu halten. Meine Söhne, mein Neffe und unser deutscher Au Pair, die seit Weihnachten im harten Lockdown mit uns ausgeharrt haben, schwärmen wieder aus. Sie hatten sich nur aus Rücksicht auf uns an die Covid-Maßnahmen gehalten. Nie hätte ich mir vor einem Jahr gedacht, dass diese Digital Natives ihre Bildschirme jemals so satt haben könnten. 

Als wäre nie etwas gewesen

Neun Millionen Londonern schien es diese Woche so zu gehen. Mit Gesichtsschutz hatten es die Engländer noch nie so, aber was sich im Vergnügungsviertel Soho in der Londoner Innenstadt seit der Öffnung der Gastgärten am 12. April abends abspielt, ist trotzdem verblüffend: Millenials ohne Masken machen Party, als ob es keine Covid-Pandemie gäbe. Dazwischen abenteuerlustige Angehörige der Elterngeneration, die schnatternd vor Kälte vor dem Groucho-Club zum Dinner antreten und darauf warten, dass die Kellner die Heizstrahler über den Tischen stärker aufdrehen.

Klar, der Erfolg der britischen Impfkampagne gibt uns allen die Hoffnung, dass die Fledermaus-Pest besiegt werden kann. Im Januar schien dies noch aussichtslos. Es gab bei 66 Millionen Briten 60.000 Neuansteckungen pro Tag. Das Vereinigte Königreich hatte damals die höchste Covid-Todesrate Europas. 150.000 Briten sind innerhalb eines Jahres an Covid-19 gestorben. Dann wurde ein harter Lockdown verhängt und die Impfkampagne hochgefahren. 

Boris Johnsons Erfolgsrezept 

Gestern steckten sich nur noch 2.100 neu an, 25 Tote waren zu beklagen. Lockdown oder Impfung ist offenbar das einzige, was in den großen Bevölkerungszentren das Virus in Schach hält. In Großbritannien ist die Hälfte der Bevölkerung inwischen geimpft. Der Gesundheitsdienst NHS holt jetzt die 40- bis 50-jährigen zur ersten Impfdosis ab. Meine zweite Pfizer-Biontech-Dosis bekomme ich am 24. April. Mein englischer Lebensgefährte hat AstraZeneca bekommen. Boris Johnsons Task Force hatte vor einem Jahr breit, flächendeckend, teuer und risikobereit bestellt. Wie er selbst bei einem Treffen mit konservativen Hardlinern sagte: „Kapitalismus und Gier“ seien sein Erfolgsrezept gewesen. Und Nationalismus. 

Das kommt dem Regierungschef jetzt zugute. Die Friseure sind seit dem 12. April wieder offen, und der weißblonde Schopf des Premiers kam seit Monaten erstmals unter die Schere. 

Auslandsreisen können zum Problem werden

Der nächste Schritt wird allerdings heikel. Die Regierung hat zwar noch nicht die endgültige Erlaubnis für Reisen ins Ausland gegeben. Die braven Briten haben deshalb für diesen Sommer erst mal jedes einzelne Hotelzimmer auf der Brexitinsel gebucht. Doch inzwischen höre ich immer öfter von Freunden, dass sie erste Sommerflüge zu den bei Engländern besonders beliebten Stränden in Spanien und Portugal gebucht haben. Auch die Zweithausbesitzer in Frankreich und Italien setzen schon den Termin für die Ausreise fest. Frühestens am 17. Mai soll es erlaubt werden. Bisher werden Ferienreisen mit bis zu 5.000 Pfund bestraft. 

Die Kritik an den Einreisebestimmungen in Heathrow ist allerdings jetzt schon heftig. Reisende stehen oft stundenlang bei der Passkontrolle eng gedrängt zusammen, weil die Kontrolle von Tests und Reisegrund das System überlastet. Nicht auszudenken, was passiert, wenn wieder mehr gereist wird. 

Die Hotelquarantäne für Rückkehrer aus Risikogebieten bleibt derzeit noch aufrecht. Dazu zählen vor allem Südamerika und Südafrika, die mit eigenen Varianten kämpfen. Die Liste der Länder kann aber jederzeit angepasst werden. Bisher sind keine EU-Staaten darunter, aber wer weiß, was passiert, sollten die Strandbars in Mallorca zu Virusschleudern werden. Ob ein grüner Pass für Geimpfte kommt, ist noch unklar. Die Regierung wird die Reiselust der geimpften Briten aber selbst mit harschen Strafen kaum mehr zügeln können. Da bis Juli alle über 18 geimpft sein sollen, überholt die Realität die Regeln.

 „Covid-Stockholm-Syndrom“

Ich leide natürlich jetzt schon unter „Post-Covid-Stress-Disorder“, was sich ein bisschen wie ein „Covid-Stockholm-Syndrom“ anfühlt. Die Abende mit der Familie bei Pizza und Puzzle – sie sind vorbei. Nach der Ruhe des Lockdowns stellt jedes Auto an der Ampel einen Riesenstau dar. Und es fühlt sich immer noch ein bisschen verboten an, sich wieder mit Leuten bilateral zu treffen.

Doch nach fast einem Jahr im Home Office brauchen wir alle nicht nur frische Luft für den Körper. Ich lechze geradezu nach intellektuellem Sauerstoff. Wir können nur hoffen, dass die dritte Welle ausbleibt. Die würde unsere Hoffnung auf einen sonnigen Sommer weit weg von der Brexitinsel wieder zunichte machen. 

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