Großbritannen - Boris Johnson macht trotz „Partygate“-Bericht weiter

Im Bericht über illegale Partys während der Covid-Lockdowns im Regierungssitz von Boris Johnson fehlen heikle Details. Auf zwölf Seiten kritisiert die Beamtin Sue Gray Trinkkultur und Führungsversagen in der Regierung. Trotzdem dürfte Johnson sein „Partygate“ zumindest bis zum Abschluss des polizeilichen Berichts überleben.

Staatssekretärin Sue Gray verfasste den Bericht über Lockdown-Partys in Downing Street / dpa
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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„Einige dieser Zusammenkünfte hätten nicht erlaubt werden sollen“, schreibt Sue Gray in den Schlussfolgerungen ihres Berichts über illegale Parties in Boris Johnsons Regierungsitz während der von ihm verhängten Covid-Lockdowns 2020 und 2021. Und: „Es gibt bedeutende Erkenntnisse, die sofort quer durch die Regierung angesprochen werden sollten. Damit sollte man nicht auf das Ende der polizeilichen Ermittlungen warten.“

Sue Gray hat am Montag ihren mit Hochspannung erwarteten Bericht zu den illegalen Parties in Downing Street während der Covid-Lockdowns abgeliefert. Ihr Fazit: „Es handelt sich um ein Führungsversagen.“ Sue Gray selbst nannte die übergebenen Seiten nur eine „Aktualisierung“ des eigentlichen Berichts, von dem die Opposition hofft, dass er irgendwann vollständig publiziert werden kann.

Denn die interessantesten Stellen wurden auf Anfrage der Polizei herausgenommen. Die Metropolitan Police untersucht zwölf Treffen im Regierungsitz, bei denen der Verdacht besteht, dass die Regeln zur Eindämmung der Covid-Pandemie in krimineller Weise gebrochen wurden.

Koffer voll alkoholischer Getränke

Dazu gehört ein Fest am 20. Mai 2020, zu dem 100 Mitarbeiter von Johnsons Privatsekretär in den Garten von Downing Street eingeladen worden waren. Und zwei Partys am 16. April 2021, für die ein Mitarbeiter einen Koffer voll alkoholischer Getränke in den Regierungsitz gerollt hatte. Und das am Vorabend des Begräbnisses von Prinz Philipp, bei dem die Königin einsam und allein den Covid-Regeln gemäß auf der Kirchenbank saß. Auch eine Party in der Dienstwohnung der Johnsons wird untersucht.

Obwohl Sue Gray in ihren Schlussfolgerungen den „exzessiven Konsum von Alkohol am Arbeitsplatz“ kritisiert und dazu aufruft, mit Konsequenzen nicht bis zum Ende der polizeilichen Ermittlungen zu warten – die parteiinternen Kritiker werden wohl dennoch zögern, Johnson vor dem Ende der polizeichlichen Untersuchungen das Misstrauen auszusprechen. Das kann dauern.

Diese Atempause will Johnson nutzen, um Partei, Parlament und Volk davon zu überzeugen, dass sein Verbleib in Downing Street doch noch von Vorteil sein könnte. Operation „Fightback“ ist in vollem Schwung.

Am Montag, zwei Jahre nach dem Brexit, hatte Boris Johnson schon einmal ein Brexit-Freiheitsgesetz angekündigt. Damit will er sich die Kritik der rechten Flanke der Tory-Partei zu Herzen nehmen, die Vorteile des Austritts aus der EU besser zu kommunizieren. Mit dem Brexit-Freiheits-Gesetz sollen bisherige Gesetze umgangen werden, die noch aus Zeiten stammen, in denen Britannien EU-Mitglied war.

Welche aus EU-Zeiten stammende Regulierungen Johnson gerne zurücknehmen und gesetzlich neu formulieren will, spezifizierte er allerdings nicht. Die Opposition fürchtet, dass „Umweltschutz, Datenschutz und der Schutz von Arbeitsrechten verwässert“ werden könnten, wie eine Sprecherin der proeuropäischen Liberaldemokraten warnte.

Johnson will ehemalige Labour-Wähler bei der Stange halten

Am Dienstag plant Boris Johnson eine Reise nach Osteuropa, um die Moral der britischen Truppen und ihrer Gastgeber zu heben. Bisher sind in den baltischen Republiken und der Ukraine 1000 britische Soldaten stationiert, die dort als Teil der Operation Orbital seit 2015 ukrainische Truppen trainieren. Johnson hat angekündigt, die Zahl der Soldaten zu verdoppeln. Der Regierungschef will auch weitere Waffen zur Verteidigung der Ukraine entsenden: etwa ein Geschwader der Luftwaffe, das zur Überwachung des Luftraums über Bulgarien und Rumänien eingesetzt werden kann; ein ultramodernes Kriegsschiff, der Royal Navy Type 45 Destroyer, wird ins Schwarze Meer und Raketenwerfer werden nach Estland geschickt.

Am Mittwoch möchte Johnson eine Initiative präsentieren, mit der seine Regierung den armen englischen Norden aufpäppeln will. Dieser „Levelling-up“-Versuch ist nicht der erste seiner Art, schon die Regierung von David Cameron und George Osborne versuchte dies zwischen 2010 und 2016 – ohne großen Erfolg. Für Johnson ist es aber von zentraler Bedeutung, dass der Norden die Zuneigung der Regierung zu spüren bekommt. Denn einige traditionelle Labour-Wahlkreise sind erst seit 2019 neokonservativ – Johnson will diese Wähler bei der Stange halten.

Ob all das die Kritiker zum Schweigen bringen wird? Einen ganz sicher nicht: Sein ehemaliger Chefberater Dominic Cummings sagt in einem Interview, es sei „seine Pflicht, Boris Johnson als Premierminister loszuwerden“. Dieser sei ein „kompletter Scheißkerl“, der sich nur damit beschäftige, „wo zu seinen Ehren Denkmäler errichtet“ werden könnten. „Wenn sich ein Premierminister als unfähig herausstellt, muss er gehen. Egal, ob er der Partei eine große Mehrheit gebracht hat oder nicht.“

Auch wenn der Gray-Bericht härter ausgefallen ist als gedacht, hat er die Stimmung in der konservativen Partei nicht zum Kippen gebracht. Das Misstrauen ist da, das Misstrauensvotum noch nicht.

Hat Johnson seine eigenen Regeln nicht verstanden?

Boris Johnson stand am Montagnachmittag im Unterhaus Rede und Antwort. „Hat er die Regeln, die er selbst verhängt hat, nicht verstanden?“, fragte etwa Johnsons Vorgängerin Theresa May. „Oder hat er gedacht, sie gelten nicht für ihn?“

Der Regierungschef wich einer Antwort aus. Er sagte vor einem – auch vor Spannung – zum Platzen gefüllten Unterhaus: „Es ist nicht genug, um Entschuldigung zu bitten. Wir werden Änderungen in Downing Street vornehmen.“ Welche diese genau sein werden, will er in den nächsten Tagen verlautbaren.

Ob Johnson seinen Chief of Staff Dan Rosenfield halten kann, ist noch offen. Im Verlauf der Partygate-Untersuchungen ist Johnsons Frau Carrie stärker in die Kritik geraten. Um einen sauberen Neustart zu signalisieren, wird Gatte Boris die engsten Einflüsterer seiner Frau aus dem Regierungssitz verbannen müssen.

Zu den dringlicheren Fragen gehört, ob der Premierminister die Abgeordneten angelogen hat, als er kategorisch behauptete, dass es in Downing Street „keine Party“ gegeben habe. Denn dass es zwölf, höflich als „geselliges Beisammensein“ bezeichnete, Treffen sehr wohl gegeben hat, das zumindest hat die Untersuchung seiner Beamtin Sue Gray nun recht klar bestätigt.

„Der Regierungschef hat die Regeln mehrfach gebrochen. Wird der Premierminister deshalb zurücktreten?“, fragte Keir Starmer. Der Labour-Chef kannte die Antwort schon. Boris Johnson, der Houdini der Politik, vor ein paar Tagen noch in akuter Gefahr, per Misstrauensvotum von den eigenen Leuten gefeuert zu werden, wird nicht von selbst zurücktreten: „Natürlich nicht, denn er ist ein Mann ohne Schamgefühl.“

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