Brückeneinsturz in Genua - Der Bankautomat der Benettons

Der Unternehmerdynastie Benetton gehören wesentliche Anteile der Betreibergesellschaft der eingestürzten Brücke in Genua. Die Pflege der Autobahn wurde über Jahre systematisch vernachlässigt. Doch weil die Familie politisch gut vernetzt ist, schweigen die Medien das Thema tot – auch die deutschen

Wäre der Einsturz der Morandi-Brücke vermeidbar gewesen, wenn sie regelmäßig von unabhängigen Gutachtern kontrolliert worden wäre? / picture alliance
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Petra Reski lebt in Venedig, schreibt über Italien und immer wieder über die Mafia. Zuletzt erschien ihr Roman „Bei aller Liebe“ (Hoffmann&Campe). Foto Paul Schirnhofer

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In diesen unruhigen Zeiten sind Gewissheiten tröstlich. Etwa die, dass das „Narrativ” von der grundguten Multikultimilliardärsdynastie Benetton, die nach dem Einsturz der Morandi-Brücke in Genua von den bösen, hässlichen italienischen Populisten angegriffen wird, pünktlich und in Lichtgeschwindigkeit auch in den deutschen Medien eingetroffen ist. Hätte mir sonst Sorgen gemacht.

Die Italienanalyse der deutschen Qualitätsmedien

Der Geschwindigkeitsspezialpreis geht an die FAZ, die schon am Tag des Unglücks nicht nur wusste, dass die Brücke immer schon ein sensibler Patient gewesen sei – sondern auch, dass der Zusammenbruch letztlich die Schuld der Fünfsterne-Bewegung sei, bekannt für ihre Blockade großer Infrastrukturprojekte.

Da wollte sich der Spiegel auch nicht lumpen lassen und verkündete, dass „Populisten nicht schweigen können, weshalb sie Schuldige erst aus- und dann niedermachen“ müssen. Nachgelegt wurde mit „Warum Italiens Regierung den Benetton-Clan anprangert.“

Die Benettons verstehen etwas von Werbung

Allerdings wurde dabei die nicht ganz unwesentliche Information unterschlagen, dass die Benettons von Jahr zu Jahr weniger in den Erhalt der von ihnen betriebenen Autobahnen investierten – und dass der Bau der Gronda, der alternativen Autobahntrasse, die von den Fünfsternen in Genua kritisiert worden war, ein weiteres Projekt der Benettons ist. Der damalige Verkehrsminister Delrio versprach der Unternehmerdynastie im Gegenzug, ihren Vertrag für das Betreiben der italienischen Autobahn bis 2042 zu verlängern, inklusive einer Zahlung von sechs Milliarden Euro für den Fall, dass andere Unternehmen an ihre Stelle träten. Angesichts solch rosiger Vertragsbedingungen hat man natürlich wenig Interesse am Erhalt einer alten Brücke.

Die Süddeutsche Zeitung wollte auch nicht fehlen und tönte: „Der Staat gegen die Benettons. Die populistische Regierung aus Rom attackiert die Industriellenfamilie. Sie wurde mit Mode reich, betreibt heute Autobahnen und versteht etwas von politischer Werbung”. Werbung, ähem. 

Freundschaftliche Nachsicht

Die Unternehmerfamilie Benetton wird all diese Solidaritätsadressen genossen haben, war sie doch so geschockt, dass sie ganze zwei Tage brauchte, bis sie sich aufraffen konnte, den Angehörigen der Toten ihre Trauer zu bekunden. By the way: In den italienischen Medien wurden die Benettons auch erst Tage nach dem Unglück mit ihrem Unternehmen Autostrade per l’Italia – Atlantia als Betreiber des Autobahnstücks genannt. Die Repubblica schaffte es, elf Sonderseiten über das Unglück zu verfassen, ohne einmal den Namen Benetton auszuschreiben. Im Verwaltungsrat von Benettons Autobahngesellschaft Atlantia sitzt übrigens nicht zufällig eine Dame, Monica Mondardini, die auch im Verwaltungsrat von Gedi sitzt, der Pressegruppe, die Repubblica, den Espresso und La Stampa herausgibt. Kleiner Interessenkonflikt am Rande.

Auch in den großen Nachrichtensendungen wartete man vergeblich darauf, dass der Name Benetton fiel. Was natürlich nicht erstaunt bei Medien, die bis auf eine einzige Ausnahme alle der großen Koalition aus Forza Italia und Partito Democratico (PD) nahestehen, die Italien die vergangenen 25 Jahre regiert hat – und mit denen die Unternehmerfamilie Benetton seit ihren Anfängen in schönster Harmonie zusammenarbeitet.

Erst Pullover, dann Palazzi

Was sich nicht nur in Venedig niedergeschlagen hat, wo sich die Benettons die Tortenstücke aussuchen durften, weshalb Venedig auch Benettown genannt wird. Den Benettons gehört hier nicht nur die ehemalige Handelsniederlassung Fondaco dei Tedeschi, sondern auch der Bahnhof, wo auch gleich noch eine Brücke mit im Geschenkpaket enthalten war: Der „Philosophenbürgermeister” Cacciari hat die Brücke zum Benetton-Bahnhof allerdings als Geschenk des spanischen Architekten Calatrava an die Venezianer präsentiert, ein Schnäppchen für 3,6 Millionen Euro. Leider verrechnete sich der Architekt, weshalb es zu Statikproblemen kam und die Brücke die italienischen Steuerzahler am Ende 11,6 Millionen Euro kostete. Das aber nur als Hintergrund.

Denn die Benettons haben im Laufe der Jahre ihre Freundschaft zu den Mächtigen gepflegt, was sich eine Zeit lang in Parteispenden niederschlug und heute in Spenden, die Parteien nahestehenden Stiftungen zugute kommen. Übrigens hat Benetton auch keine Vorbehalte gegenüber der rechtspopulistischen Partei Lega, für dessen Regionalpräsidenten Luca Zaia Benetton im Jahr 2010 die Wahlkampfkampagne im Veneto mit dem firmeneigenen Thinktank Fabrica übernahm, was dem einstigen Spiritus Rector der Fabrica, dem für seine provokante Werbung bekanntgewordenen Fotografen Oliviero Toscani, übrigens gar nicht gefiel.

Für die Benettons hat sich die Nähe zu den Mächtigen bestens ausgezahlt: Nicht zuletzt dadurch, dass sie die Hälfte des italienischen Autobahnnetzes betreiben, womit sie allein im vergangenen Jahr 3,9 Milliarden Umsatz machten, davon 2,4 Milliarden Gewinn. Kein schlechter Deal.

Der Bankautomat der Benettons

Allerdings wird der Gewinn nicht in den Erhalt oder in die Modernisierung der Autobahnen gesteckt, sondern darin, den Flughafen von Nizza und Anteile am größten Betreiber des spanischen Autobahnnetzes und der Gesellschaft zu kaufen, die den Eurotunnel betreibt: Die Autobahnen sind zum Bankautomaten der Benettons geworden.

Dies alles dank bizarrer Klauseln, die in Verträgen enthalten sind, die in den 1990er Jahren mit den Benettons geschlossen wurden, und beispielsweise bei Baustrukturen, die vor 1967 gebaut wurden, nicht vorsehen, dass der Betreiber einen Plan über die Erhaltungsmaßnahmen vorlegt. Diese Klausel trifft auf die Brücke von Genua zu. Und nicht nur das: Wenn das Autobahnteilstück kontrolliert wird, sind das Ingenieure, die vom Unternehmen selbst benannt und bezahlt werden – keine neutralen Sachverständigen. Der genaue Inhalt der Verträge zwischen den Benettons und dem italienischen Staat ist übrigens geheim.

Der Aktienkurs stürzt ab

Okay, ich will Sie, meine geschätzten Leser, nicht länger mit italienischem Bau- und Verwaltungsrecht langweilen. Ich will Sie nur darauf aufmerksam machen, dass sich die italienische Wirklichkeit nicht so schlicht verhält, wie sie in den deutschen Qualitätsmedien dargestellt wird. Als bekannt wurde, dass den Benettons die Betreiberlizenz für ihre Autobahnen entzogen werden könnte, brach der Aktienkurs ihres Autobahnbetriebs Atlantia übrigens ein. Tja.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Petra Reskis Blog

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