G7-Gipfel - Eine Distanzierung nützt niemandem

Das Nato-Treffen in Brüssel und der G7-Gipfel in Sizilien haben die tiefen Gräben zwischen den USA und den anderen Industrienationen verdeutlicht. Angela Merkel sprach sich daraufhin für mehr Eigenverantwortung aus. Doch auch sie weiß, dass eine transatlantische Partnerschaft unverzichtbar ist

Merkel und Trump: Sie können gar nicht ohneeinander / picture alliance
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Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Mit zwei Sätzen gab Bundeskanzlerin Merkel dem Nato-Treffen und dem G7-Gipfel eine völlig neue Bedeutung. „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt“, sagte sie. „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen.“ Damit nahm sie jetzt erst in Anspruch, wozu sie die New York Times schon vor Monaten kürte: zur Anführerin des Westens.

Denn nachdem der amerikanische Präsident Donald Trump seine politische Agenda dargelegt und damit den Konsens der vergangenen Jahre in Frage gestellt hat, ist er isoliert. Sechs gegen einen. Verdrießlich ist nur, dass die sechs zusammen an die internationale Bedeutung und Fähigkeiten des einen nicht herankommen. So wird die „Gaullistin Merkel“ am Ende wieder transatlantisch auftreten müssen. Denn die USA sind für die europäischen Mittelmächte auf absehbare Zeit unverzichtbar. Eine Revolution der internationalen Ordnung steht trotz Trump nicht an.

Auch die USA haben Interesse an guten Beziehungen

Erst 2020, am Ende seiner ersten Amtszeit, wird der die G7 in den USA begrüßen können. Dann wird er zu den erfahrenen Teilnehmern zählen. Denn es geht, trotz des für die anderen sechs Regierungen enttäuschenden Ergebnisses dieses Treffens, wohl niemand davon aus, dass es die G7 bis dahin nicht mehr geben wird. Das ist schon die beste Nachricht. So wie der amerikanische Präsident auftritt, könnte man meinen, er wolle nicht nur das zarte Porzellan des gegenseitigen Vertrauens sondern gleich auch den Stahlbeton der institutionellen Fundamente zerschlagen. Das aber dürfte er in Wirklichkeit keineswegs wollen, weshalb sein Gepolter, so schwer es seine Mitstreiter ertragen, politisch eingefangen werden kann. Denn auch die amerikanische Interessenlage verweist auf die europäischen Staaten als Partner. Nur ein wenig anschmiegsamer könnten sie sein.

Trumps Forderungen kamen nicht überraschend

Das war schon bei den Nato-Treffen und der Frage der Lastenverteilung so. Denn alle europäischen Regierungen wissen, dass sie deutlich mehr Geld für sicherheitspolitische Fähigkeiten investieren müssen. Seitdem Trump das so brüllend einfordert, fällt es einigen Regierungen schwerer, dem nachzukommen. Niemand will sich gerne zwingen lassen und schon gar nicht, wenn sich taktische Einfallstore für den Wahlkampf auftun.

Die europäischen Regierungen haben den Fehler gemacht, sich erst zu spät mit der Frage zu befassen, was sie sicherheitspolitisch leisten müssen. Wer die Gelegenheit zum freiwilligen Handeln verpasst, muss sich eben manchmal den drängenden Umständen anpassen. Oder hat wirklich jemand geglaubt, dass der amerikanische Präsident diese Forderung aufgibt? Malte sich die Führungsebene mal wieder die Welt in den gewünschten Farben? Dabei hatte der amerikanische Außenminister Rex Tillerson doch alle vorgewarnt: „Ich denke, man kann erwarten, dass der Präsident sehr hart mit Ihnen sein wird.“

Konfrontation auch bei Handel und Klima

Ähnlich ging es auch bei der Frage des Handels zu, die auf dem G7-Treffen im sizilianischen Taormina auf dem Programm stand. Über die harte Haltung von Trump, die er schon beim Treffen mit der EU-Spitze unmissverständlich geäußert hat, bestand kein Zweifel mehr. Sein Berater Gary Cohn ließ die anderen Teilnehmer vorab wissen: „Wir werden eine sehr kontroverse Debatte über den Handel haben und wir werden darüber reden, was ‚frei‘ und ‚offen‘ bedeutet.“ Am Ende stand ein Formelkompromiss, dessen Wert sich erst noch beweisen muss.

Am schlimmsten aber erging es der Klimapolitik. Weil sich die amerikanische Regierung noch nicht entschieden hat, inwiefern sie ihren Kurs ändern will, gab es keine Einigung im Kreis der führenden demokratischen Industrienationen. Dass es so kommen wird, war angesichts der Haushaltsplanungen in den USA abzusehen. Dachte wirklich jemand, man könne Trump international entgegen seiner innenpolitischen Agenda einfangen?

Einfluss auf andere Art nehmen

Alles kam, wie man es erwarten konnte. Trump machte seine Prioritäten klar und nichts davon überraschte. Möglicherweise gab es vereinzelt noch die Hoffnung, ihn zu überzeugen oder in die Sachzwänge internationaler Verhandlungsprozesse und Institutionen einspinnen zu können. Das wäre nicht nur eine trügerische Hoffnung gewesen sondern auch ein falscher Rat.

Wie man den widersprüchlichen Prioritäten des amerikanischen Präsidenten die politische Kraft nimmt, wird in den USA hingegen täglich bewiesen. Senat, Repräsentantenhaus, Gerichte, Presse und Lobbygruppen nehmen dort großen Einfluss. Dieser muss genutzt werden, wenn man mit den direkten Kontakten von Exekutive zu Exekutive nicht weiterkommt.

Wie weit soll die Integration gehen?

„Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, sind ein Stück weit vorbei.“ Eigentlich ist der Satz eine Selbstverständlichkeit in der internationalen Politik. Staaten sind für ihr Überleben und ihren Erfolg selbst verantwortlich. Niemand tut das an ihrer Stelle, es sei denn aus Eigeninteresse. Doch wer ist „wir“?

Die Antwort deckt die große Schwachstelle der EU auf. Soll die nukleare Abschreckung europäisch organisiert werden? Sollen europäische Streitkräfte Landesverteidigung und Kriseneinsätze übernehmen? Soll es gemeinsame europäische Steuern und Ausgaben geben? Das würde nicht mehr die Harmonisierung im Kleinen – bei Gurken und Bananen – bedeuten sondern in den zentralen Fragen des Staates. Und unter Umständen die Abhängigkeit von den USA ersetzen durch eine von den anderen europäischen Staaten.

Merkels einzige Möglichkeit

Abgesehen davon, dass dieses Projekt seit Jahrzehnten erfolglos blieb: Soll ein erratischer amerikanischer Präsident wirklich die transatlantischen Beziehungen in Wochenfrist zerschießen können? Wohl nicht, denn die Interessen sprechen dagegen. Was hilft es, sich in Klimafragen voneinander zu entfernen? Damit wird das Problem nicht gelöst. Was bedeutet es, in Handelsfragen die ordnungspolitische Distanz zu suchen? Dann würden die beiden großen Wirtschaftsblöcke miteinander streiten und die Volksrepublik China ihr Glück nicht fassen können. Dass die EU-Staaten sicherheitspolitisch in absehbarer Zeit ein ernst zu nehmender Akteur sein werden, nimmt in Wahrheit niemand an. Alles, was die Nato kann, kann sie dank der USA.

So sehr Merkel in Deutschland Zustimmung für ihre Aussage erhält, so wenig liegt eine Distanzierung von den USA im deutschen Interesse. Das aber wird am Ende der entscheidende Maßstab sein. Dass man Trump nicht überreden oder überzeugen kann, hat die Bundeskanzlerin offen erklärt. Nun gilt es mehr denn je, die innenpolitischen Kräfte in den USA zu bearbeiten, die den amerikanischen Präsidenten einhegen. Dass Merkel das kann, hat die CDU-Vorsitzende in Deutschland vielfach bewiesen.

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