Frankreich setzt auf Atomstrom - Kernkraft – die Energie der Zukunft?

Frankreichs Präsident hat ein Zukunftsprogramm im Umfang von 30 Milliarden Euro angekündigt. Vor allem sollen damit kleine Atomkraftwerke gefördert werden. Macron versucht, die Kernkraft als saubere Energie und also als Zukunftsmodell zu verkaufen. Der Vorstoß ist umstritten.

Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, während einer Präsentation des Investitionsplans „France 2030“ im Elysee-Palast / dpa
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Kay Walter arbeitet als freier Journalist in Frankreich

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2030 Le rêve est possible – Der Traum ist möglich. Unter diesem Motto werden seit dieser Woche aufwendig produzierte Filme landesweit geschaltet und vor allem im Netz verbreitet. Der Aufbruch in die Moderne der 60er-Jahre wird darin mit starken Bildern beschworen; Frankreich wird gezeigt als Land herausragender Wissenschaft, Forschung und Technik, vom TGV zu Ariane-Raketen, von Airbus über Mirage- und Rafale-Kampfjets bis hin zu Atomkraftwerken. Ganz selbstverständlich.

Hintergrund ist: Frankreich will und muss seine Industrie umfassend modernisieren. Und Präsident Macron kündigt zu diesem Zweck ein gewaltiges Anschubprogramm von 30 Milliarden Euro an, zusätzlich zu der bereits voriges Jahr beschlossenen Corona-Wiederaufbau-Hilfe im Umfang von 100 Milliarden Euro. Ein Schelm, wer dabei an den beginnenden Wahlkampf denkt. Start-ups wie Großindustrie sollen von der Finanzspritze profitieren, wenn jetzt in die eigene Zukunftsfähigkeit investiert wird, vor allem in E-Autos und klimafreundliche Flugzeuge, in grüne Wasserstofftechnik und eben in eine neue Generation deutlich kleinerer Kernkraftwerke.

Nur jeder zweite Franzose will neue Atomkraftwerke

Bis 2030 will Frankreich in diesen Bereichen weltweit führend sein, weil man sie als Schlüssel- und Zukunftstechnologien erachtet. Ziel ist die Dekarbonisierung der französischen Wirtschaft bei gleichzeitiger Verringerung der Abhängigkeit von der Weltwirtschaft. Beide Ziele dürfte sicher auch in Deutschland die große Mehrheit der Menschen sofort unterschreiben. Nur für die Kernkraft würde es wohl keine Mehrheit geben.

Aber anders, als es scheint, gibt es die mit einiger Wahrscheinlichkeit auch in Frankreich nicht, jedenfalls bei weitem nicht so uneingeschränkt, wie es der Präsident gerne glauben machen möchte. Eine Umfrage des Forschungsinstituts ifop hat Anfang Oktober ermittelt, dass die Franzosen fast exakt hälftig gespalten sind, was den Bau neuer Atomkraftwerke angeht. Es lohnt sich also, etwas genauer hinzuschauen, schon weil die Frage in den kommenden Wochen und Monaten von zentraler Bedeutung für die EU-Klimapolitik werden wird. Vor dem Hintergrund der Diskussion um mehr europäische Eigenständigkeit wird die Atomenergie neu verhandelt.

Macron benennt die Probleme nicht gerne

Die jüngsten verlässlichen Zahlen zu dieser Frage stammen allerdings aus dem Jahr 2012, genauer aus dem Wahlkampf Sarkozy gegen Hollande. Vor zehn Jahren war das Thema zwischen dem konservativen Amtsinhaber Sarkozy (Pro Atomstrom) und seinem sozialistischen Herausforderer Hollande (Contra) nicht nur hochumstritten, sondern mit wahlentscheidend. Es gab repräsentative Meinungsumfragen mit dem Ergebnis, dass sich gut 60 Prozent für den Ausstieg aus der Kernenergie innerhalb von 25 Jahren aussprachen und weitere 15 Prozent einen schnelleren Ausstieg für richtig hielten, und Hollande gewann die Wahl. 2015 wurde das Loi à la transition énergetique pour la croissance verte beschlossenen, ein Gesetz, das den Anteil der Kernenergie an der Energieerzeugung erst senken und dann beenden sollte. Auch Frankreich hatte also ein Ausstiegsgesetz.

Es besteht wenig Grund zu der Annahme, die Zahlen hätten sich grundlegend verändert. Auch wenn Macron wieder zur prinzipiell atomfreundlichen Haltung Sarkozys zurückgekehrt ist, so weiß er natürlich sowohl um diese Zahlen als auch um die grundsätzlichen Probleme der Technologie: Nicht umsonst fordert er eine neue Kraftwerksgeneration. Zu den Problemen, über die er nicht gerne redet, gehört neben der Tatsache, dass es keinerlei Vorarbeit für die angekündigten Minireaktoren gibt, auch die, dass der halbstaatliche Energieversorger EDF seine Atomsparte zunächst einmal von US-Unternehmen zurückkaufen müsste.

Frankreich ist Stromimporteur

Mehr noch: Auch in Frankreich wird Atomstrom ganz erheblich subventioniert und künstlich verbilligt, sodass die Betreiber keinerlei finanzielle Vorsorge für die Endlagerung treffen müssen, vergleichbar etwa den Ewigkeitskosten des Bergbaus. Und trotzdem brächten unverhältnismäßig lange Laufzeiten die bestehenden Kraftwerke nur in die Nähe schwarzer Zahlen. Sie wurden daher auf 60 Jahre verlängert. Trotzdem fordert Finanzminister Bruno Le Maire an anderer Stelle, in die (zu niedrigen) europäischen Strompreise müssten zwingend die Gestehungskosten der Atomenergie einbezogen werden.

Zudem haben die Stresstests in der Folge des Gaus von Fukushima teilweise erhebliche Sicherheitsrisiken an nahezu allen Kraftwerken des Landes zutage gefördert. Die daraus resultierenden Zwangsabschaltungen – nicht allein in Fessenheim – hatten zur Folge, dass Frankreich gezwungen war, in den Folgewintern Strom zuzukaufen. Im Gegensatz zu dem von Politik und Medien geschürten Selbstbild ist Frankreich keinesfalls Stromexporteur, sondern im Gegenteil Importeur. Und zwar wegen der Abhängigkeit vom Atomstrom. Denn die französischen Kraftwerke sind nicht auf Grundlastbetrieb ausgerichtet.

Die Doppelstrategie des Präsidenten

Aber statt Fakten zu diskutieren, verbreiten Kraftwerksindustrie und Ultranationalisten von Marine Le Pen lieber die Mär, schuld an steigenden Strompreisen sei die besonders dreckige deutsche Braunkohle, die die Franzosen wegen der bösen EU mitzufinanzieren gezwungen seien. Das ist in Frankreich im Übrigen Common Sense. Lediglich die Grünen und Mélenchon fordern weiterhin den Ausstieg in den nächsten 25 bis 30 Jahren.

Macron fährt mit dem angekündigten Programm eine Doppelstrategie: Einerseits versucht er inhaltlich, die Atomenergie als sauber zu verkaufen und bestehende Probleme mittels Förderung von wirklich grüner Energiegewinnung und -speicherung zu übertünchen. Andererseits will er durch massive und gleichzeitige Förderung von Großindustrie und Start-ups sowohl Industriearbeiterschaft als auch technikaffine Jugend für sich gewinnen.

Um damit zusammen dann drittens, seine Wiederwahl zu sichern und sich gleichzeitig als Vordenker und Führungsfigur der europäischen Politik zu etablieren.

Hören Sie zum Thema Energieversorgung auch den Cicero-Podcast mit Anna Veronika Wendland: „Bei der Energiestrategie ist Stimmungspolitik Gift“ 

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