Frankreich - Macron im Glück

Emmanuel Macron ist der neue Favorit bei den französischen Präsidentschaftswahlen. Mit seinem Wahlkampfauftritt in Lyon begeistert der Mittepolitiker seine Anhänger und stellt sich der Ultranationalistin Marine Le Pen in den Weg

Macron will mit seiner Bewegung „En Marche!“ (Auf dem Weg) über den Parteien in Frankreich stehen / picture alliance
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Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Er ist jung, smart, dynamisch. „Und was für ein Lächeln!“, findet Inès, eine junge Biotechnikerin aus Lyon, die am Samstag mit 16.000 Interessierten in den hiesigen Sportpalast gepilgert ist, um das Phänomen Macron live zu erleben. Gekommen sei sie aber nicht wegen des Lächelns, betont Inès gleich. Sie hat genug von der Linken, genug von François Hollande, dem sie 2012 ihre Stimme gegeben hatte. Und die Rechte kommt für sie auch nicht in Frage: „Die haben doch allesamt Affären am Hals, sei es Chirac, Sarkozy oder nun Fillon.“

5.000 Besucher finden keinen Platz in der Sportarena. Um sich aufzuwärmen, skandieren sie draußen „Macron président“. Im Innern sagt Laurence Haïm, eine ehemalige USA-Korrespondentin des französischen Fernsehens, die Euphorie dieser Kampagne erinnere sie an Barack Obamas Wahlkampf von 2008. Lyons sozialistischer Bürgermeister Gérard Collomb widerspricht den zahlreichen Medienkommentaren, die „Macronmanie“ sei künstlich und werde bald in sich zusammenfallen: „Wir sind keine Blase, wir sind eine gewaltige Welle!“

Ex-Investmentbanker mit sozialem Touch

Endlich tritt Macron in den dunklen Saal und ganz ohne pompöse Musik, auch ohne Scheinwerferkegel. Der 39-jährige Charmeur will nicht Star sein, auch nicht Favorit. Noch nicht. Die Präsidentschaftswahlen sind erst in drei Monaten, und Macron weiß, dass die Dinge momentan fast zu gut für ihn laufen: Im Dezember hatte zunächst Hollande auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Dann blieb bei den Vorwahlen der Sozialisten Manuel Valls, der politisch ähnlich wie Macron orientierte Ex-Premier, auf der Strecke. Und nun erwischt es auch noch den konservativen Spitzenreiter François Fillon.

Seitdem der Ex-Premier mit der Scheinjobaffäre seiner Frau Penelope kämpft, führt Macron plötzlich die Umfragen an. Emmanuel im Glück? Bislang hat er noch nicht einmal ein Wahlprogramm. Aus diesem Grund bemüht sich der Ex-Investmentbanker mit dem sozialen Touch, vor seinen Anhängern im Sportpalast konkreter zu werden. Den Mindestlohnbeziehern will er pro Monat 100 Euro extra zusprechen. Eine linke Maßnahme? Nein, der ehemalige Wirtschaftsminister von Präsident François Hollande begründet die Lohnerhöhung mit einem rechten Argument: „Ich will, wie ihr alle, nicht mehr hören, dass es in Frankreich einträglicher sei, von der Sozialhilfe zu leben statt zu arbeiten.“

Direkter Angriff des Front National

Um die enttäuschten Fillon-Wähler anzuziehen, verspricht Macron, den Verteidigungshaushalt auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zu erhöhen. Auch den Etat für die Terrorbekämpfung will er vergrößern. Den Vorschlag des linkssozialistischen Präsidentschaftskandidaten Benoît Hamon, Roboter zu besteuern, weist er aber vehement zurück: „Es gibt in Frankreich nicht zu viele, sondern zu wenige Roboter.“ Als Hamon im Saal ausgebuht wird, unterbricht Macron mit erhobenem Zeigfinger: „Pfeift niemanden aus! Man baut kein politisches Projekt mit Pfiffen.“

Der Gentleman-Kandidat kann aber auch austeilen. „Einige sprechen im Namen des Volkes“, greift er den Front National an, der am Wochenende und ebenfalls in Lyon einen Parteitag abhielt, um Marine Le Pen zu inthronisieren. „Aber es sind nur Bauchredner“, fügt Macron nach einer Kunstpause an. „Unser Kampf besteht darin, nichts zu tun und alles zu unterlassen, was dem Front National nützt.“ Vom Vater zur Tochter, von der Tochter zur Nichte schürten Jean-Marie, Marine und Marion Le Pen allgemeines Misstrauen. Macron nennt das gar „Lepra der Demokratie“.

Überzeugter Europäer

An diesem Abend tritt er als Gegenprojekt zu Le Pen auf. Macron ist der einzige der französischen Kandidaten, dem es gelingt, Applaus für Europa und die Partnerschaft mit Deutschland zu wecken. „Europe, Europe!“, skandiert der Saal. Auf die allgemeine Krisenstimmung auf dem alten Kontinent antwortet er mit ansteckendem Optimismus: „Das Beste liegt vor uns!“ Macrons Themen sind nicht Dekadenz, Hass oder Protektionismus wie bei Le Pen, sondern Hoffnung, Öffnung Liebe. Was bei jedem anderen Politiker peinlich klingen würde, lässt hier den Saal erschauern, wenn Macron mit seinen blauen Augen eindringlich ins Rund blickt und ausruft: „Ich liebe euch wahnsinnig!“

Jetzt fällt seine Zurückhaltung ab, und Macron setzt wieder sein teuflisch charmantes Lächeln auf. „Politiker sein ist kein Beruf, sondern eine Mission“, bedeutet er seinen Fans mit Vibrato in der Stimme und beseeltem Blick. Kein Zweifel: Der Nordfranzose, der mit 16 schon seine Französischlehrerin bezirzt hatte – sie sitzt heute als seine Gattin in der ersten Saalreihe – , will jetzt auch Frankreich im Sturm nehmen. Als der Saal zum Schluss die obligatorische Marseillaise anstimmt, steht Macron ganz allein in der Mitte und singt mit geschlossenen Augen mit, glücklich über seine Mission.

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