Frankreich - „Le Pens Feminismus ist ein Vorwand“

Marine Le Pen hat im Präsidentschaftswahlkampf immer wieder versucht, mit Frauenthemen zu punkten. Ihr vermeintlicher Feminismus aber dient nur der Islamkritik, sagt die Stanford-Kulturwissenschaftlerin Cécile Alduy. Existierende Probleme seien in Frankreich aber zu lange verschwiegen worden

Liegt Marine Le Pen die Gleichheit von Frauen und Männern wirklich am Herzen? Alduy bezweifelt das / picture alliance
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Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Frau Alduy, Marine Le Pen ist die einzige Frau unter den wichtigeren Kandidaten des französischen Präsidentschaftswahlkampfs. Ist das relevant?
Cécile Alduy: Es verleiht ihr formell eine gewisse Legitimität, über moderne Frauenthemen zu sprechen, zumal sie selbst eine geschiedene Mutter ist. Marine Le Pen zitiert auch gerne Feministinnen wie Elisabeth Badinter oder Simone de Beauvoir.

Macht das aus ihr eine Feministin?
Sie sagt es zumindest. Aber es ist ein reiner Verbalfeminismus, der einem einzigen Zweck dient – der Islamkritik. Ein anderes Motiv nennt sie nicht und hat sie auch nicht, wenn man genau hinschaut. Ich habe ihre Reden analysiert und stelle fest: Nie geht es ihr um die Gleichheit der Geschlechter, die Prekarität arbeitender Mütter, Familienpolitik oder Abtreibung.

Auch nicht um die Wahlstimmen der Frauen?
Doch, natürlich, und das umso mehr, als der Front National unter Jean-Marie Le Pen kaum Frauen anzuziehen vermochte. Indem sich Marine Le Pen als moderne Französin gibt, sucht sie auch die Wählerstimmen. Ihre Haltung mündet aber immer in die Kritik am Islam und dem radikalen Islamismus.

Dient der Feminismus also als Vorwand?
Genau. Auf die gleiche Weise geht Marine Le Pen vor, wenn sie sich für den Laizismus einsetzt. Dagegen ist in Frankreich niemand. Auf den ersten Blick vertritt sie also konsensuelle Argumente – einmal für die Frauen, dann wieder für den Laizismus. Die Zielscheibe dahinter bleibt aber der Islam. Ansonsten bringt die Kandidatin keinerlei feministische Ideen oder Gedanken ein. Nichts zu den historischen oder sozialen Zusammenhängen, nichts zur männlichen Dominanz in den Unternehmen oder auf der Straße.

Vermag sie damit Wählerinnen zu überzeugen?
Ich denke schon. Im Präsidentschaftswahlkampf 2012 war sie die einzige, die von der Gleichheit von Mann und Frau sprach. In der laufenden Kampagne thematisieren auch Emmanuel Macron und Benoît Hamon, zum Teil auch François Fillon, Themen wie die Lohngleichheit. Bis 2016 findet sich davon aber nichts in den Reden der französischen Spitzenpolitiker, die ich über einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren analysiert habe.

Ist denn Le Pens Islamkritik unter feministischem Blickwinkel ungerechtfertigt?
Niemand bestreitet, dass viele Frauen in Vororten auf Probleme stoßen, die mit ihrem Dasein als Frau zu tun haben. Marine Le Pen hat dieses Tabu gebrochen, indem sie davon zu sprechen begann. Der Front National stellt häufig richtige Fragen, aber er gibt die falschen Antworten. Wegen punktueller Probleme kann man nicht die ganze Gemeinschaft anprangern – schließlich leben viele Moslems in Frankreich wie die übrigen Franzosen. Machismus und Frauenfeindlichkeit gibt es unter Vertretern aller Gemeinschaften und Religionen, was Le Pen völlig übergeht.

Hat Le Pens Partei, der Front National, sein Frauenbild revidiert?
Der Diskurs hat sich stark geändert: Zwischen Jean-Marie, der antisemitisch, homophob und frauenfeindlich ist, und Marine Le Pen besteht ein großer Unterschied. Bei einem so extremistischen Vater ist es einfach, ein klein wenig moderner zu erscheinen. Aber wenn man das Wahlprogramm 2017 von Marine Le Pen anschaut, fällt auf, dass sie die von der Linken eingeführte Homo-Ehe abschaffen will. Ihre Nichte Marion Maréchal Le Pen will die Abtreibung nicht mehr von der Krankenkasse erstatten lassen. Alles in allem ist Marine Le Pen der moderne Baum, der den FN-Wald versteckt.

Cécile Alduy ist Professorin für französische Kultur und Literatur an der Stanford-Universität in Kalifornien. Die 42-jährige Französin forscht zudem am Institut Cevipof der Pariser Polituniversität „Sciences Po“. In ihren Publikationen hat sie die Reden französischer Politiker seit 1994 analysiert, so auch in „Marine Le Pen beim Wort genommen“ (Französisch im Verlag Seuil, Paris 2015).

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