Deutsch-französischer Verteidigungsrat - Mit harten Bandagen

Es ist eines der größten gemeinsamen Rüstungsprojekte der Geschichte: Das deutsch-französische „Future Combat Air System“ hat ein Volumen von mindestens 500 Milliarden Euro. Doch zwischen den beiden Partnern hakt es gewaltig. An dieser Stelle kommt plötzlich das umstrittene Pipeline-Projekt Nordstream 2 ins Spiel.

Ein Eurofighter startet auf dem Flugplatz Laage bei Rostock zu einem Übungsflug / dpa
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Kay Walter arbeitet als freier Journalist in Frankreich

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Auf Einladung der Bundesregierung hat an diesem Freitag der deutsch-französische Verteidigungsrat getagt, in Coronazeiten selbstverständlich virtuell. „Aller Voraussicht nach“, wie sie selbst so gerne betont, das letzte Mal mit Angela Merkel. Was kein Aperçu war, sondern auch inhaltlich von Bedeutung.

Denn beim großen Thema FCAS (Future Combat Air System) rund um das Kampfjet der nächsten Generation, welchs zu entwickeln und zu bauen sich die beiden Staaten bis 2040 vorgenommen haben, herrscht alles, nur nicht die nach außen vorgestellte Einigkeit. Im Gegenteil. Und wenn die Zeitung Le Parisien noch so sehr schwadroniert, „auch wenn das Coronavirus in vielen Haushalten Zwietracht sät, schont es doch das Paar Merkel-Macron. Mehr noch, das deutsch-französische Ehepaar scheint durch die Verteidigung der gemeinsamen Impfstrategie gestärkt zu werden“, um aus den nahezu zeit- wie inhaltsgleichen TV-Auftritten der beiden im Lauf der Woche auf die Verteidigungspolitik zu schließen. Nein, die Einigkeit gibt es nicht – oder bestenfalls ist sie vorgetäuscht.

FCAS ist ein, vorsichtig geschätzt, mindestens 500 Milliarden Euro schweres Rüstungsprojekt, das um das Jahr 2040 herum in Deutschland die Eurofighter und in Frankreich die Rafale ersetzen soll. Im Zentrum stehen Tarnkappen-Jagdflugzeuge, die jeweils von unbemannten Drohnen begleitet werden in einer sogenannten Combat Cloud. Die soll nicht nur von den Jetpiloten gesteuert, sondern zusätzlich via Datenwolke aus dem Weltraum mit Informationen gestützt und mittels Künstlicher Intelligenz gelenkt werden. Das klingt nach Zukunftsmusik im Militärjargon, aber FCAS ist ein Gemeinschaftsprojekt – und vor allem beschlossene Sache.

Fortsetzung ungewiss

In der Realität beginnen jetzt allerdings die Schwierigkeiten. Die Deutschen wollten angesichts der enormen Kosten gerne mindestens noch die Spanier mit an Bord haben. Diese sind seit 2019 tatsächlich dabei – und dass sie einen dreißigprozentigen Anteil fordern, obwohl ihnen dafür sowohl die finanziellen als auch die technischen Kapazitäten völlig abgehen, ist noch das geringste Problem. Die wirklichen Differenzen bestehen zwischen Deutschland und Frankreich.

Denn die Deutschen haben bislang erst 77,5 Millionen Euro für die technologischen Vorarbeiten bewilligt und in den Haushalt 2021 eingestellt. Fortsetzung ungewiss, erst Recht in einem Jahr mit Bundestagswahl. Das entrüstet die Franzosen, die die Deutschen in Militärfragen ohnehin für unsichere Kantonisten halten. Stichwort Bundestagsvorbehalt bei Militäreinsätzen. Niemand in Paris versteht, dass die Kanzlerin anders als der französische Präsident derartige Entscheidungen abstimmen muss.

Die Franzosen ihrerseits wollen durchsetzen, dass ihre Rüstungsschmieden Dassault und Safran einen möglichst großen Anteil vom Kuchen des Gesamtprojekts abbekommen. Aber noch viel wichtiger ist ihnen die technologische Hoheit. Sie bestehen darauf, den deutschen Partnern insgesamt (und selbst dem Joint Venture Airbus) gewisse technische Herzstücke nur als sogenannte Blackbox zu liefern. Das bedeutet, die deutsche Industrie darf bestimmte vorgefertigte Teile zwar einbauen, aber nicht wissen, wie sie genau funktionieren. Und das liegt nicht nur daran, dass die Atommacht Frankreich das FCAS selbstverständlich mit entsprechenden Waffen auszurüsten gedenkt. Es handelt sich vielmehr schlicht um Protektionismus. Hinzu kommt ein gerüttelt Maß Misstrauen.

Bundeswehr wie auch deutsche Verteidigungspolitiker sind deswegen auf der Zinne, kaschieren bestenfalls mühsam ihren Ärger. Deutsches Geld könne es nur geben, wenn Bundeswehr, Forschung und Industrie frühzeitig und umfassend Einblick in sämtliche FCAS-Technologien erhalten, fordern sie. Ernüchternde Zwischenbilanz: Beide Staaten wollen das System FCAS, aber keiner kann es allein schultern. Und an diesen beiden Konflikten könnte es sang- und klanglos scheitern, wie schon der Hubschrauber Tiger zuvor.

Sakrosankte Militärindustrie

Die französische Rüstungsindustrie ist über Parteigrenzen hinweg nahezu sakrosankt, sie gilt als Garant der nationalen Souveränität. Und auch der große Europäer Macron spielt in diesem Zusammenhang, wie alle seine Vorgänger, ganz die nationale Karte, und zwar beinhart. So ist dann auch zu verstehen, warum in der vergangenen Woche, quasi aus der kalten Küche, Staatssekretär und Macron-Intimus Clément Beaune verkündete, Frankreich lehne die Pipeline Nordstream 2 entschieden ab. Es stimmt, in Frankreich fand man das Projekt immer schon falsch. Man hat das nur nie laut gesagt, und zwar mit Rücksicht auf deutsche Befindlichkeiten. Warum also jetzt? Warum endet ausgerechnet dieser Tage die Rücksichtnahme?

An dieser Stelle kommt das Ende von Merkels Amtszeit ins Spiel: Jeder mögliche Nachfolger soll von Frankreich gleich vorgeführt bekommen, wer in Zukunft die Hosen an hat. Und dass man so auch noch Pluspunkte bei Polen und den baltischen Staaten sammeln kann, ist ein netter Nebeneffekt. Vor allem aber kann und will man Pflöcke einrammen in Bezug auf Industriepolitik. Da wiederum ist FCAS auf absehbare Zeit das bei weitem größte, prestigeträchtigste und wahrscheinlich auch Gewinn versprechendste Projekt. Das will Frankreich für sich reklamieren, unbedingt und mit allem Nachdruck. Dafür taugt eben auch eine umstrittene Gasleitung durch die Ostsee.

Angela Merkel könnte sich, gerade weil es voraussichtlich ihr letzter Gipfel dieser Art sein wird, ebenso charmant aber hartleibig zeigen wie ihr französischer Counterpart, auch wenn das so gar nicht ihre Art ist. Ihr persönlich würde es nicht (mehr) schaden, aber ihrem Nachfolger, wer immer das wird, sicher nützen.

Sinneswandel wegen Nordstream 2

Über das eigentliche Thema des Treffens, die militärpolitischen Diskussionen zwischen den Partnern, ist auf der öffentlichen Pressekonferenz am Freitagnachmittag nur sehr wenig verlautbart worden. Deren Inhalte und erst Recht harte Auseinandersetzungen sollen intern bleiben. Aber was doch gesagt wurde, vor allem wie es gesagt wurde, erlaubt ein paar Rückschlüsse. Sicher ist: Es ist nicht zum offenen Streit gekommen, man hat sich aufeinander zubewegt. Kein Wunder, Frankreich und Deutschland sind aufeinander angewiesen. Und beide Seiten wissen, dass Europa ohne eigene militärische Machtmittel auch in jeder anderen Hinsicht verzwergen würde. Gleichwohl kam Macron nicht umhin, sein Unverständnis gegenüber der Vorstellung einer unbewaffneten Drohne auszudrücken. Das findet man in Frankreich ungefähr so klug, wie einen Soldaten ohne Gewehr ins Feld zu schicken. Albern wäre noch ein höflicher Ausdruck.

Am spannendsten waren allerdings Macrons Äußerungen zu Nordstream 2. Ja, bekannte der Präsident, er sei gegen die Pipeline gewesen, aber nun sei er anderer Meinung und stehe fest an der Seite von Merkel. Kein Blatt, so sollte es scheinen, passe mehr zwischen die beiden. Das mag Merkel als Erfolg für die deutschen Interessen verbuchen, aber ganz sicher hat der Sinneswandel des französischen Präsidenten einen hohen Preis gehabt. Macron jedenfalls lächelte zufrieden. Und das kann nur heißen, dass Merkel ihm an anderer Stelle einen großen Schritt entgegengekommen ist.

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