Zukunft der Europäischen Union - Es geht ums Ganze

Bundesbankpräsident Jens Weidmann dürfte kaum noch Chancen haben als Nachfolger Mario Draghis auf den Chefposten der EZB. Hinter dieser Personalentscheidung steckt allerdings weit mehr als nur ein Signal für die künftige Währungspolitik

Die Politik weist Jens Weidmann wohl nicht in Richtung EZB / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Es ist ein Merkel-Satz, wie er merkeliger kaum sein könnte: „Ich kann keinerlei Wünsche bestätigen, die ich habe, sondern wir werden die Entwicklung abwarten und dann schauen, wie sich die deutsche Position entwickelt.“ Gesagt hat die Bundeskanzlerin diese verqueren Worte gestern während ihres Besuchs in der georgischen Hauptstadt. Sie hätte genauso gut ein Ernst-Jandl-Gedicht vortragen oder Passagen aus einem Telefonbuch rezitieren können. Man kennt das ja von ihr. Und es gibt auch einen sehr triftigen Grund für ihr jüngstes Statement ohne jeglichen Inhalt: Es geht um ein politisch extrem heikles Thema. Die Frage nämlich, ob Deutschland seinen Anspruch fallen lässt, den Nachfolger Mario Draghis an der Spitze der Europäischen Zentralbank zu stellen. Um sich stattdessen den Posten des EU-Kommissionspräsidenten zu sichern. Sehr dünnes Eis also, das durch jegliche auch nur scheinbare Vorfestlegung brechen könnte.

Wie es heißt, sei die Entscheidung bereits gefallen, und zwar nicht zu Gunsten des amtierenden Bundesbankchefs Jens Weidmann. Der hatte sich jahrelang durch seine Kritik an Draghis ungehemmten Ankäufen von Staatsanleihen in Position gebracht, aber zuletzt offenbar selbst keine Chance mehr für sich gesehen. Die derzeitigen Signale deuten also auf eine Fortsetzung jener Nullzins-Politik hin, mit der deutsche Sparguthaben in den vergangenen Jahren langsam, aber sicher dezimiert wurden. Weil diese Form von Enteignung so schleichend und unspektakulär verläuft, regt sich bisher kaum Widerstand dagegen. So soll es bleiben, und so wird es auch bleiben – mit dem Segen aus dem Kanzleramt. Es ist der Preis für die Weiterexistenz der Gemeinschaftswährung Euro, die ja wiederum den deutschen Leistungsbilanzüberschuss befeuert.

Drohung aus Italien

Man kann gewiss darüber streiten, ob das gesamte Euro-Projekt auf Sand gebaut ist und früher oder später ohnehin zusammenbrechen wird. Fakt ist, dass derzeit politische Aspekte weit schwerer wiegen als ökonomische – wobei allerdings eine Politik gegen ökonomische Grundsätze auf Dauer nicht gutgehen kann. Aber die aktuelle Lage – die EU steht sowohl von innen wie von außen unter Druck – beflügelt die Politik des billigen Geldes. Italienische Politiker etwa haben dieser Tage sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass eine Abkehr von dieser EZB-Doktrin zwangsläufig zu einem Zusammenbruch der Gemeinschaftswährung führen werde – was nicht anders zu verstehen ist als eine Drohung gegenüber Deutschland: Entweder, ihr finanziert uns weiterhin unsere Schulden, oder wir bringen den Euro (und damit mutmaßlich auch die EU) zum Einsturz. Angesichts der weltpolitischen Lage und insbesondere der EU-feindlichen Ambitionen Donald Trumps bleibt dieses Szenario nicht ohne Wirkung – wie man an der Personalie Weidmann unschwer erkennen kann.

Ungarische Breitseite gen Brüssel

Gleichzeitig steht die aktuelle EU-Kommission unter schwerem Beschuss, insbesondere seitens der Mitgliedsstaaten in Mitteleuropa. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán etwa feuerte Ende Juli in seiner Rede vor der sogenannten Sommeruniversität von Bálványos eine unmissverständliche Breitseite gen Brüssel ab. Weil seine Worte hierzulande kaum zur Kenntnis genommen wurden, sei die entscheidende Passage an dieser Stelle ausführlich zitiert:

„Wir müssen der Situation ins Auge blicken, dass die führenden Politiker Europas ungeeignet sind, sie haben Europa nicht vor der Einwanderung beschützen können. Die europäische Elite hat versagt, und das Symbol dieses Versagens ist die Europäische Kommission. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist, dass die Tage der Europäischen Kommission gezählt sind. Ich selbst habe sie auch gezählt, sie haben noch etwa dreihundert Tage, und dann läuft ihr Mandat ab. Die Kommission ist eine wichtige Körperschaft in der Europäischen Union, und ihre Beschlüsse haben ernsthafte Folgen für die Mitgliedsstaaten, so auch für Ungarn. Die Sache ist die, dass die Kommission laut des Grundvertrages die Wächterin des Vertrages, also des die Europäische Union erschaffenden Vertrages, genauer: der Verträge, ist. Deshalb muss sie unparteiisch, unvoreingenommen sein und die vier Freiheiten garantieren. Stattdessen ist die Europäische Kommission heute parteiisch, denn sie steht auf der Seite der Liberalen. Sie ist voreingenommen, denn sie arbeitet gegen Mitteleuropa, und sie ist kein Freund der Freiheit, denn sie arbeitet statt am Ausbau der Freiheit an dem Aufbau eines europäischen Sozialismus. Wir sollten uns freuen, dass ihre Tage gezählt sind.”

Nächster Kommissionspräsident aus der CSU?

Soweit also Viktor Orbán, der mit seiner Meinung keineswegs allein steht, sondern ein bestimmtes Lebensgefühl in vielen postkommunistischen EU-Ländern widergibt. Diese Haltung kann man beklagen und verteufeln, es ändert jedoch nichts an der Zerrissenheit der EU. Auch an dieser Stelle wiederum dürfte klar werden, warum die Bundesregierung eher an Kommissionspräsidentschaft interessiert ist als am Chefsessel der EZB: Die strukturellen Fliehkräfte können nur noch kontrolliert werden, wenn der Kommission ein Ausgleich gelingt zwischen der „liberalen” EU westlicher Prägung und den zunehmend autoritätsgläubigen Mitgliedstaaten von Polen über die Slowakei bis eben nach Ungarn. Dass ein moderat-konservativer CSU-Politiker wie Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament, für diese schwierige Aufgabe die richtige Person sein könnte, ist durchaus plausibel. Für einen Merkel-Vasallen wie Peter Altmaier, der ja ebenfalls im Gespräch ist, gilt das umso weniger.

Warten wir also, um mit der Bundeskanzlerin zu sprechen, ab, „wie sich die deutsche Position entwickelt”. Sicher ist nur: Es geht ums Ganze.

 

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