EU-Flüchtlingspolitik - Junckers Ablenkungsmanöver

Die gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik ist gescheitert. Warum auch die EU-Verfahren gegen die „Verweigerer“ der Umverteilungsquote – Ungarn, Polen und Tschechien – daran nichts ändern werden

Die Umverteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU funktioniert nicht – auch Deutschland erfüllt das Plansoll nur unzureichend / picture alliance
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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Die europäische Flüchtlingspolitik ist keine Erfolgsgeschichte. Zwar ist einiges in Bewegung gekommen, seit sich 2015 Hunderttausende auf den Weg nach Europa machten. Die EU hat damals beschlossen, 160.000 Flüchtlinge auf ihre Mitgliedsländer umzuverteilen. Sie hat das überkommene Dublin-System infrage gestellt. Und sie hat versucht, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Vor allem in Afrika ist die Europäische Union aktiv geworden.

Doch was ist dabei herausgekommen? Nordafrika wird zu einer Festung ausgebaut, in den Lagern in Libyen herrschen katastrophale Zustände. Die Türkei wurde zum Türsteher für Flüchtlinge aus Syrien umfunktioniert. In Griechenland und in Italien hängen immer noch Zehntausende Asylbewerber fest – ohne Hoffnung, jemals im gelobten Deutschland oder anderswo anzukommen. Und das gescheiterte Dublin-System wird wider besseres Wissen restauriert.

Vor diesem Hintergrund wirkt die Entscheidung der EU-Kommission, gegen die „Verweigerer“ Ungarn, Polen und Tschechien anzugehen, wie ein Ablenkungsmanöver. Schaut her, wir tun etwas, ruft EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos. Die drei Länder werden mit EU-Verfahren überzogen, die mit Geldstrafen und Klagen vor dem EU-Gericht enden könnten. Doch an einen Erfolg scheint nicht einmal Kommissionschef Jean-Claude Juncker zu glauben.

Widerstand ist zu erwarten

Bei den Verfahren gehe es nicht um Sanktionen, beteuert er. „Es geht darum, deutlich zu machen, dass getroffene Entscheidungen geltendes Recht sind – selbst wenn man dagegen gestimmt hat“, so Juncker. Richtig, Tschechien und Ungarn haben schon 2015 gegen die Umverteilung gestimmt. Sie wurden mit einem Verfahrenstrick übergangen. Ungarn und die Slowakei haben dagegen geklagt. Sollten sie nun vor Gericht Recht bekommen, wäre Juncker blamiert.

Aber auch so weckt das Vorgehen der Brüsseler Behörde wenig Hoffnung. Die drei Länder wollen sich nämlich nicht den Vorgaben aus Brüssel fügen. Die ungarische Regierung kündigte bereits Widerstand an und sprach von „Erpressung“. Der polnische Außenminister Witold Waszczykowski nannte das Vorgehen der EU-Kommission „illegal“. Der tschechische Regierungschef Bohuslav Sobotka rügte, die EU-Quoten funktionierten nicht.

Die verheerende Bilanz

Der Mann hat leider Recht. Denn nicht nur die Osteuropäer ignorieren die Quote. Auch Österreich hat keinen einzigen Asylbewerber aus Griechenland oder Italien aufgenommen, wie es der EU-Plan vorsah. Selbst Deutschland erfüllt das Plansoll aus Brüssel nur unzureichend. Insgesamt wurden erst 20.869 Menschen „umverteilt“ – ein Achtel der 2015 vereinbarten Zahl von 160.000. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, wird das EU-Ziel erst in 14 Jahren erreicht.

Erstaunlich ist das nicht. Denn der Beschluss wurde 2015 unter dem Eindruck einer akuten Krise improvisiert. Noch während der Beschlussfassung veränderte sich die Lage radikal – erst, weil Deutschland seine Grenzen öffnete, und dann, weil die Balkanroute geschlossen wurde. Danach kam auch noch der Flüchtlingsdeal von Kanzlerin Angela Merkel mit der Türkei hinzu. Statt um Solidarität ging es fortan um die „Sicherung der Außengrenzen“.

Der Wind hat gedreht

Das ist auch heute noch die oberste Maxime in Berlin und Brüssel. Der Umverteilungs-Beschluss wirkt deshalb wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten. In Wahrheit glaubt niemand mehr, dass er jemals umgesetzt wird. „Ein Europa, das schützt und verteidigt“ wollen Juncker und Merkel nun schaffen. Gemeint ist der Schutz der EU-Bürger, nicht der Migranten. Der Wind hat gedreht, Merkel will ihre eigene Politik in der Flüchtlingskrise vergessen machen.

Dabei wäre es höchste Zeit, die Fehler der Vergangenheit aufzuarbeiten. Die Umverteilung gehört leider zu diesen Fehlern. Sie war von Anfang an ein bürokratisches Monstrum. Denn Flüchtlinge lassen sich nicht per Quotenregelung „umverteilen“. Sie wollten und wollen nicht auf dem Balkan bleiben, sie wollten und wollen nicht nach Osteuropa. Ihr Ziel war und ist vor allem Deutschland, das 2015 zusammen mit Schweden wie ein Magnet wirkte. 

Die Zeichen stehen auf Verdrängung

Dass Deutschland dann auch noch die Grenzen aufmachte, hat die Bewegung weiter verstärkt. Und dass dies im Alleingang geschah, dagegen hätte die EU-Kommission schon damals protestieren müssen. Was sie aber nicht getan hat, im Gegenteil: Juncker pries Merkel als leuchtendes Beispiel. Heute traut er sich nicht mehr, sein vorschnelles Urteil zu revidieren. Schließlich hängt er selbst von Merkel ab, kurz vor der Bundestagswahl will er sie nicht blamieren.

Und wie geht es nun weiter mit der „gemeinsamen“, in Wahrheit wieder nationalen Flüchtlingspolitik? Zumindest bis zur Wahl in Berlin stehen die Zeichen auf Verdrängung und Eindämmung. Merkel und Juncker tun alles, damit der Deal mit dem türkischen Alleinherrscher Recep Tayyip Erdogan hält. Eine Wiederholung der Krise von 2015 soll um jeden Preis vermieden werden – selbst, wenn man dabei eklatante Verstöße gegen EU-Grundwerte und Menschenrechte in Kauf nehmen muss. Das nennt man Realpolitik.

Bald schon vergessen

Eine erschreckend wertfreie Realpolitik prägt auch den Umgang mit den „Verweigerern“ in Osteuropa. Von den EU-Verfahren sollte man sich nicht täuschen lassen. Sie sind gerade noch rechtzeitig vor der Bundestagswahl eingeleitet worden und werden danach auch schnell wieder vergessen werden – genau wie Dutzende andere Verfahren wegen anderer Fragen, mit denen die Kommission regelmäßig gegen alle 28 EU-Staaten (auch Deutschland) vorgeht.

Hinter den Kulissen bemühen sich Merkel und Juncker längst wieder darum, zumindest Polen einzubinden. Auch Tschechien will man nicht brüskieren. Schließlich werden die Osteuropäer gebraucht, um den Verlust Großbritanniens durch den Brexit auszugleichen und ein Gegengewicht gegen das wieder auftrumpfende Frankreich zu bilden. Die Flüchtlingspolitik dürfte deshalb bald wieder unter ferner liefen verhandelt werden – so wie vor der Krise.

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