EU-Verteidigungsunion - Ein Gradmesser für den Zusammenhalt

Die EU-Mitgliedsstaaten wollen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik enger zusammenarbeiten. Das ist längst überfällig und doch stellen sich dabei zahlreiche Fragen. Nicht zuletzt danach, ob die EU ihren ins Straucheln geratenen Integrationsprozess so wieder auf Kurs bringen kann

Als bisher wichtigste Post-Brexit-Messlatte darf diese Form der militärischen Kooperation jetzt nicht scheitern / picture alliance
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Während die Verhandlungen über den Brexit stagnieren, beweisen die EU-Mitgliedstaaten mit der Vereinbarung der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ auf dem Gebiet der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, dass sie zu weiteren Integrationsschritten in der Lage sind. 23 der 27 EU-Mitgliedstaaten unterschrieben diese Verpflichtung. Dänemark, Irland, Portugal und Malta verschlossen sich diesem Schritt. 

Die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini, feierte dies als „historischen Moment“, andere Bewertungen waren zurückhaltender. FAZ-Redakteur Nikolas Busse sprach, weit abgeklärter, von einem „weiteren Trippelschritt“. Diese Einschätzung ist auch viel klüger als die substanzlosen Jubelreden. Denn die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist für die EU eine der gefährlichsten Fallgruben. Zustimmung findet die EU vor allem dann, wenn sie Probleme löst, zum Beispiel ihre sicherheitspolitischen Herausforderungen meistert. Davon ist sie allerdings noch meilenweit entfernt.

Streit über das Budget blieb aus

Bemerkenswert ist, wie gering die Erregung in Deutschland darüber ausfiel, dass sich die Staaten zu kontinuierlich steigenden Verteidigungsausgaben verpflichteten. Anders als bei der ebenfalls von der Großen Koalition zugesagten Erhöhung der Verteidigungsausgaben im Nato-Rahmen, setzte hier keine Diskussion darüber ein, ob das denn richtig und sinnvoll sei. Das wirft auf die Debatte um das Zwei-Prozent-Ziel der Nato ein ganz neues Licht. Ging es den Kritikern da weniger um die Budgetmittel als um die Nato? Auf diese werden die EU-Mitgliedstaaten gleichwohl auf Jahrzehnte hinaus nicht verzichten können. Sie ist der eigentliche Schutz und Handlungsrahmen, selbst wenn die Zusammenarbeit kräftig in Schwung kommt.

Was wurde vereinbart? Die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit bedeutet, dass sich die EU-Staaten ab Mitte Dezember 2017 an gemeinsamen Rüstungsprojekten beteiligen, Krisenreaktionskräfte bereitstellen und ihre Verteidigungsausgaben kontinuierlich erhöhen. Das Ziel sei, klärt die Bundesregierung auf, „europäische Verteidigungspolitik verbindlicher zu machen“. Das Ergebnis ist allerdings nicht besonders schwungvoll, wenn man bedenkt, dass die Beteiligung an den EU-Battlegroups, die auf ihren ersten Einsatz im Krisenfall noch warten, und an der Europäischen Verteidigungsagentur sogar Voraussetzung für die Beteiligung waren. 

Verteidigungsunion könnte Nato stärken

Die Mitgliedstaaten der EU wissen, manche erstaunlicherweise erst seit kurzer Zeit, dass sie in Zukunft selbst für die Stabilität ihres regionalen Umfelds und die Sicherheit ihrer Grenzen sorgen müssen. Warum erst ein als erratisch wahrgenommener US-Präsident auftreten musste, um diese Erkenntnis zu Tage zu fördern, wird später einmal die Historiker beschäftigen. Von den Kriegen in Post-Jugoslawien angefangen, über die Kriege in Afghanistan und Irak bis zum Arabischen Frühling hatten die Regierungen der EU-Staaten eigentlich ausreichend Gelegenheit, die Sicherheit als ein wichtiges Handlungsfeld zu erkennen. 20 Jahre wurde das, man kann es leider nicht anders sagen, nicht mit dem nötigen Ernst verfolgt.

Von den Beteiligten wurde gelobt, dass diese verbindlichere Zusammenarbeit parallel die Nato stärken werde. Das kann kurzfristig sogar der Fall sein. Denn für die nächsten Jahre kann sie notwendige Effizienzwirkungen im Bereich Logistik entfalten, einer Nato-Priorität, die als eines von zwei Beispielen für intensivere Kooperation erkannt wurde. Die medizinische Versorgung wurde als zweites Handlungsfeld identifiziert. Aber es wird genau zu beobachten sein, welche Brüche sich auftun, wenn (und falls) die Zusammenarbeit nachhaltigen Erfolg hätte. Für die USA war in den neunziger Jahren stets wichtig, dass die EU-Staaten die Nato nicht duplizieren, sich nicht von ihr entkoppeln und niemand diskriminiert wird. Das zielte damals auf die Türkei. 

Hindernisse und Chancen

Am Ende geht es bei der sicherheitspolitischen Integration aber auch um die Frage nach der souveränen Entscheidung über Krieg und Frieden. Man stelle sich vor, die EU-Staaten hätten den Zusammenbruch der Sowjetunion für eine schlagartige Integration ihrer Streitkräfte genutzt: Der Feind war weg, Material und Geld waren ausreichend vorhanden und die Perspektive auf einen langen Frieden hätte die Entscheidungen erleichtert. Die Kriege in Jugoslawien hätten zudem eine rasche Umsetzung erforderlich gemacht, Europa hätte seine erste Bewährungsprobe bestanden. Und dann? Spätestens der Krieg im Irak hätte einen Sprengsatz an die integrierten Fähigkeiten gelegt. Einige Staaten greifen ein, andere nicht; das wäre nicht mehr so einfach möglich gewesen. Auch die mancherorts leise geführte Diskussion über die Parlamentsentscheidungen in mehreren EU-Staaten hätte ein weiteres Problem offen gelegt. Denn was geschieht, wenn Parlamente unterschiedlich entscheiden?

Die EU tut gut daran, diese Fragen zu kennen und sie gleichwohl jetzt außen vor zu lassen. Denn sie sind derzeit politisch nicht zu entscheiden. Aber so zu tun, als stellten sie sich nicht, würde die Legitimation des Prozesses untergraben. Parallel dazu wird es darauf ankommen, wie erfolgreich die jetzt angesetzte Zusammenarbeit sein wird. Wird sie den EU-Staaten das bringen, was sie sicherheitspolitisch derzeit am meisten vermissen? Dann wird sich im besten Falle über die Zeit ein gemeinsamer politischer Wille formieren. Die Mitgliedstaaten werden erfahren, wo Schwerpunkte und Grenzen ihrer Kooperation liegen. 

Hätte man diesen Prozess mit allen EU-Mitgliedsstaaten in den neunziger Jahren begonnen, wäre der Erfolgsdruck jetzt nicht so groß. Nun ist er immens, aber lamentieren hilft nichts. Als bisher wichtigste Post-Brexit-Messlatte darf diese Form der Kooperation jetzt nicht scheitern. Sie ist darauf angelegt, den in raues Fahrwasser geratenen Integrationsprozess wieder auf Kurs zu bringen. Alles außer dynamischer Effektivität würde als Scheitern gewertet werden und den EU-feindlichen Kräften Auftrieb geben. 

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