EU-Rede von Macron - Französische Horizonte gegen deutsche rote Linien

Bewusst platzt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit seiner Grundsatzrede über Europa mitten in die Berliner Koalitionsverhandlungen hinein. Seine konkreten Vorschläge werden hierzulande auf wenig Gegenliebe stoßen. Dabei fehlen genau diese in der deutschen Europapolitik

Wagemut und Sinn für die Geschichte will Emmanuel Macron Deutschland anbieten / picture alliance
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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Den Anfang machte Jean-Claude Juncker. Der Chef der EU-Kommission sprach sich vor zwei Wochen vor dem Europaparlament für ein Einheits-Europa aus – mit Euro und Reisefreiheit für alle. Die Rede stieß in Deutschland auf breite Ablehnung, Kanzlerin Angela Merkel zeigte keine Reaktion. Danach sprach Theresa May in Florenz. Die umstrittene britische Premierministerin legte ihre Vision für einen „gelungenen“ Brexit und eine neue „Partnerschaft“ mit der EU dar. May erging es noch schlechter als Juncker; sie wurde in Berlin verhöhnt und verlacht.

Nun also Emmanuel Macron. Der französische Staatschef hatte bereits Anfang September in Athen eine Grundsatzrede zu Europa gehalten. Nun legte er in der Pariser Sorbonne-Universität nach – mit konkreten Vorschlägen. Die Rede war bewusst so gelegt, dass sie mitten in die Berliner Koalitionsverhandlungen platzt.

Appel an Merkel: „Kein Rückzug, kein Zögern!“

Sie enthielt einige Botschaften an Merkel und ihre neuen Freunde aus Jamaika. „Ich kenne Ihre Sorgen, ich habe den Vormarsch der Nationalisten auch schon erlebt“, rief Macron der Kanzlerin zu. „Kein Rückzug, kein Zögern“, sei jetzt angesagt. „Wagemut und Sinn für die Geschichte, das biete ich Ihnen an!“ Direkter hätte er den Appell, die EU nicht noch länger hinzuhalten, kaum formulieren können. In Paris fürchtet man genau wie in Brüssel, dass Berlin nach der Wahl durch wochenlange Koalitionsverhandlungen gelähmt sein könnte – und am Ende nur in minimale Kompromisse zur Reform der EU und der Euro-Währungsunion einwilligt.

Genau das will Macron verhindern, mit allen Mitteln der Rhetorik. „Wir haben keine Zeit mehr“, insistierte er. Man dürfe die EU nicht länger den Bürokraten überlassen, denn das treibe die Jugend „in die Hände der Extremisten“. „Zu viele Regeln, zu wenig Projekte“, fasste der französische Liberale seine Kritik am Status Quo zusammen.

„Neugründung Europas“

Dem Europa der „Technokraten“, wie man das in Frankreich nennt, hält Macron eine „souveräne, einige und demokratische“ Union entgegen. Da schwingt Selbstkritik mit. Zum ersten Mal sagt ein Pariser Staatschef, dass Frankreich nicht mehr allein souverän sein kann. General Charles De Gaulle dürfte sich im Grabe umdrehen.

Macron sagte aber auch, dass die EU noch nicht in der Lage sei, Europas Souveränität zu schützen und zu verteidigen. Deshalb will er nun „sechs Schlachten für die Souveränität“ schlagen und zur „Neugründung Europas“ aufrufen. Da schwingt viel postgaullistisches Pathos mit, aber es ist immerhin eine Vision.

Drei wichtige Projekte

Genau die ließ Merkel bisher schmerzlich vermissen. Sie führte sogar ihren gesamten Wahlkampf, ohne sich auf irgendeine konkrete Idee zur Zukunft der EU festzulegen. Nun wird sie mit Vorschlägen geradezu überhäuft. Hier die wichtigsten Projekte Macrons: 

Ein eigenes Budget für die Eurozone: Es soll Investitionen in europäische Projekte ermöglichen und zur Stabilisierung der Währungsunion im Falle einer Wirtschaftskrise beitragen. Der Haushalt könne zunächst durch höhere Steuerzahlungen großer Internetunternehmen und Steuern für den Klimaschutz finanziert werden. Später sollen auch die Staatshaushalte der Mitgliedsländer Beiträge leisten.

Eine neue Internet-Steuer: Konzerne wie Google und Apple sollten dort besteuert werden, wo sie Einnahmen generieren und nicht dort, wo sie registriert sind, sagte Macron. Die Internetwirtschaft solle verstärkt europaweit reguliert werden. Eine europäische Agentur für „disruptive Innovation“ könne Start-Ups ermutigen und Forschung finanzieren.

Eine europäische Asylbehörde: Dadurch könnten Asylanträge schneller bearbeitet werden, so Macron. Außerdem müssten die Einwanderungsgesetze harmonisiert und die EU-Außengrenzen besser geschützt werden. Dies soll unter anderem mit einem neuen europäischen Grenzschutz geschehen. Macron fordert aber auch ein EU-Projekt zur Ausbildung und Integration von Einwanderern.

Vorbehalte aus Deutschland

In Deutschland dürften vor allem die Vorschläge für die Eurozone diskutiert werden. Schließlich haben CSU und FDP schon im Vorfeld jede Vergemeinschaftung der Staatsschulden abgelehnt, auch ein machtvoller Eurofinanzminister und ein eigenes Eurozonen-Parlament stoßen in Berlin auf massive Vorbehalte.

Macron hat hier nun viel Wasser in seinen Wein gegossen. So vermied er es, sich auf die Höhe des Eurozonen-Budgets festzulegen. Zuvor war von mehreren Prozentpunkten des BIP die Rede, was die Eurozone finanziell stärker gemacht hätte als die EU, die nur über einen Prozentpunkt des BIP ihrer Mitglieder verfügt.

Macron betonte auch, dass es nicht um die Vergemeinschaftung alter Schulden gehe. Damit kommt er seinen deutschen Kritikern entgegen, betont aber auch, dass es keine roten Linien geben dürfe. Frankreich habe seine Hausaufgaben gemacht, nun sei auch mal Deutschland dran: „Wir machen Reformen, wir bauen unser Land um, aber wir machen das auch mit einer europäischen Ambition. Ich habe keine roten Linien. Ich habe nur Horizonte.“

Außer Beifall nichts gewesen?

Genau diese Horizonte sind es, die der deutschen Europapolitik fehlen. Merkel hat sich zuletzt vor allem auf die Rettung und Verwaltung des Status Quo verlegt. Ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble war für die roten Linien zuständig. Ob Macron nun Bewegung in die deutsche Debatte bringt? Es wäre ihm und Europa zu wünschen.

Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es ihm wie Juncker und May ergeht. Das deutsche Publikum klatscht artig Beifall, um die Vorschläge dann in der Luft zu zerreißen. Jamaika könnte dann die Reste einsammeln und als „große Reform“ verkaufen. Mehr war einfach nicht drin, wird es dann in Berlin heißen. 

Das Problem ist nur, dass das diesmal nicht mehr genügen dürfte. Der Vormarsch der „Extreme“, wie es Macron“ nennt, ist schon zu weit fortgeschritten. Beim nächsten Mal, so warnt der französische Präsident, könnte es die EU zerreißen. Wobei die aktuelle Pointe wohl lautet, dass dann womöglich keine Marie Le Pen und kein Gert Wilders, sondern ein Alexander Gauland oder eine Alice Weidel die Abrissbirne schwingen.

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