Die alten weißen Männer der EU - Getriebene sind nicht sexy

21 Staatspräsidenten der EU haben vor kurzem einen gemeinsamen Wahlappell veröffentlicht. Ihr Dokument strotzt nicht gerade vor gedanklicher Innovation. Vielmehr bestätigt es das Klischee vom ewiggestrigen, alten, weißen Mann

In der EU haben vor allem Männer das Sagen, die nichts Neues zu sagen haben / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Alte weiße Männer haben’s schwer. Denn alte weiße Männer fahren Diesel, lieben ein gutes Steak und finden Yoga albern. Deshalb hadern alte weiße Männer mit der neuen Zeit. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, sind alte weiße Männer schuld am Zustand der Welt, an Krieg, Artensterben und Klimawandel, an Unterdrückung und Diskriminierung. Kurz und gut: Alte weiße Männer sind von gestern.

Die Zukunft hingegen ist jung, bunt und divers. Und diese Jungen, Bunten und Diversen werden eine Welt bauen, die so viel besser ist als die der alten weißen Männer, die sich an überholte Privilegien klammern und in ihrer bräsigen Bequemlichkeit die Zukunft verspielen. Deshalb muss alles neu gedacht werden: unser Miteinander, unsere Ökonomie, unser Umgang mit der Welt.

So in etwa tönt, ätzt und höhnt der Zeitgeist. Die Ikonen unserer Tage heißen Greta Thunberg oder Alexandria Ocasio-Cortez. Ihre Themen fühlen sich jung an und modern und bringen sogar Schüler auf die Straße. Dagegen wirken die Themen der alten weißen Männer nur noch scheintot.

Vor allem gedanklich alt

Das beste Beispiel dafür ist jedoch nicht Diesel, Wachstum und Produktivität, sondern ausgerechnet das Lieblingsprojekt aller Berufsweltoffenen: die EU. Anlässlich der bevorstehenden Europawahlen marschieren sie noch einmal auf, die Junckers, die Oettingers, die Webers und Co. Man beschwört die Erinnerungen an de Gaulle und Adenauer, an Mitterrand und Kohl und träumt von den Zeiten, als die Kommissionspräsidenten Jacques Delors oder Romano Prodi hießen. Wie sehr man sich dabei in einem gedanklichen Museum bewegt, zeigt die Verlautbarung der europäischen Staatspräsidenten vom vorherigen Donnerstag, von 18 alten weißen Männern – flankiert von den Präsidentinnen Estlands, Kroatiens und Litauens.

Nun gut, könnte man sagen, Präsident wird man eben nicht mit Mitte zwanzig, und Alter ist genauso wenig ein Kriterium für frisches Denken wie Geschlecht oder gar Hautfarbe. Stimmt. Aber genau hier liegt das Problem: Denn das Dokument der 21 ist eben vor allem gedanklich alt. Es ist der wohlvertraute Sound der EU-Werbung, wie sie die Menschen Europas seit 30 Jahren langweilt, das einschläfernde Mantra von Frieden, Freiheit und Wohlstand in der Endlosschleife.

Kein Wille die Welt aktiv zu gestalten

Nichts spricht gegen Wohlstand, und auch für Frieden und Freiheit sind die allermeisten. Aber genau deswegen spüren viele Menschen, dass Europa in den letzten Jahrzehnten auch ohne EU-Bürokraten nicht in Krieg, Tyrannei und Armut versunken wäre und dass die ewigen, alten Formeln der alten Männer eher einer Rechtfertigungsnot entspringen als historischen Tatsachen.

Und auch der Blick in die Zukunft, den das präsidiale Papier wagt, offenbart nur intellektuelle Leere und Biederkeit. Denn es sind – drei Mal darf man raten – die (genau!) „globalen Herausforderungen“, die wir nur gemeinsam bewältigen können. Das ist nicht falsch, aber alles andere als ein neuer Gedanke. Vor allem jedoch: Attraktive politische Projekte erwachsen aus dem Willen, die Welt aktiv zu gestalten. Die EU jedoch sieht sich nicht als Gestalterin, sie sieht sich als Getriebene. Getriebene aber sind nicht sexy.

Dieses Denken in Phrasen der alten weißen EU-Männer ist kein Einzelfall. Es ist die Regel. Gut zu studieren am vorherigen Donnertag während eines Interviews mit Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn im Deutschlandfunk. Nein, seitens der EU habe man nicht alles falsch gemacht, Trump und Brexit seien „schlimme Sachen“, und nun müssen man zusammenstehen. Welch gedankliche Innovation!

Das Denken in Alternativen verlernt

Die hässliche und dumme Formulierung von den alten weißen Männern (oder den DWEMs, den „Dead White European Male“) tauchte das erste Mal in den 1990er Jahren auf und ist nichts anderes als ein Kampfbegriff der Neuen Linken, der stellvertretend eine ganze Gesellschaftsordnung diskreditieren soll: Was früher einmal der Bourgeoise oder der Kapitalist war, ist heute der DWEM.

In den letzten Jahren ist er zum Schlagwort im alltäglichen Meinungskampf geworden, um alles herabzusetzen, was angeblich gestrig ist. Das ist abstoßend, einfältig und geschmacklos. Das bedeutet allerdings nicht, dass es tatsächlich nirgendwo alte weiße Männer gibt, die in der Vergangenheit leben, angestaubten Ideen anhängen und das Denken in Alternativen verlernt haben – die EU ist das beste Beispiel dafür.

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