Corona-Rede von Emmanuel Macron - Nur Blut, Schweiß und Tränen – aber keine Perspektive

In seiner vierten Rede an das Volk hat Emmanuel Macron angekündigt, dass der Lockdown bis zum 11. Mai verlängert werde. Frankreichs Präsident spielt auf Zeit, um Masken und Schutzbekleidung für Krankenhäuser zu beschaffen. Von einer Rückkehr ins normale Leben ist das Land noch weit entfernt.

Vorerst keine Lockerungen: Frankreich verharrt im absoluten Stillstand / dpa
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Kay Walter arbeitet als freier Journalist in Frankreich

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Zum vierten Male während der Corona-Krise beliebte es dem Präsidenten Macron, zum Volke zu sprechen. Schon im Vorfeld raunten seine Sprecher, diese Rede am Abend des Ostermontag werde eine ganz besondere sein, sie solle Bedeutung und Gewicht von Churchillschem Maße bekommen. Nun ist Emmanuel Macron ganz zweifelsohne ein glänzender Rhetoriker mit deutlichem Hang zum in Frankreich beliebtem Pathos. Aber ob die Damen und Herren wissen, dass Sir Winston Nobelpreisträger war – und zwar für Literatur?

Sicher war damit, schon bevor Macron auch nur ein einziges Wort gesprochen hatte, er würde seinen „chèrs compatriotes“, seinen lieben Landsleuten, erneut Einiges abverlangen. Und damit war zweitens auch klar, das confinement, die Ausgangs- und Kontaktsperre, würde zu Beginn der fünften Woche abermals verlängert werden.

Stillstand auf allen Baustellen

Offen war bis 20 Uhr nur, für wie lange der Präsident die Ausdehnung der Maßnahme verordnen würde und mit welcher Begründung. Wieder, wie zuletzt mit dem Satz „Nous sommes en guerre“, wir sind im Krieg? Obwohl die Franzosen sehr wohl wahrgenommen haben, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier diese Vokabel für Deutschland ausdrücklich abgelehnt hat. Offen war auch, ob Macron neben Blut- und Tränen auch präzise Ansagen machen würde, wann, für welche Personen und unter welchen Bedingungen das deconfinement beginnen könne, also die Rückkehr der Menschen in einen selbstbestimmten Alltag und der Wirtschaft zu geregelter Produktion.

Und die ist in Frankreich deutlich weiter heruntergefahren als in Deutschland. Hier ist Stillstand auf allen Baustellen, in den meisten Fabriken und im enorm wichtigen Tourismussektor sowieso. 50 Prozent der Produktion steht still. Da fällt kaum noch ins Gewicht, wenn Philippe Martinez, Chef der ehedem kommunistischen Gewerkschaft cgt, jetzt auch noch Streiks der Supermarktbediensteten fordert, weil die Regierung sie nicht gut genug schütze.

Von Krieg war nicht die Rede

27 Minuten hat Emmanuel Macron dann gesprochen. Von Krieg war nicht die Rede. Der Präsident gab den Landesvater, der sich sorgt, der lobt und mahnt. Nachdem er seine lieben Landsleute, „die allgemein ja als so undiszipliniert gälten für die enorme Disziplin im Umgang mit dem Virus“ ausgiebig gelobt hatte, verkündete er die Verlängerung der bestehenden, strikten Ausgangssperre um weitere 4 Wochen bis zum 11. Mai.

Ihm sei klar, sagte Macron mit sorgenvoll hochgezogenen Augenbrauen, das sei schwer, ja eine Zumutung, aber es sei unvermeidlich. Bis zum 11. Mai gilt der Lockdown, gelten alle bisher verordneten Maßnahmen weiter. Keine Kitas und Schulen, keine Bistros und Restaurants, keine geöffneten Läden, kein unnötiger Aufenthalt außerhalb der eigenen vier Wände. Erst nach dem 11. Mai könne eventuell eine neue Phase beginnen, wenn sich die gesundheitliche Lage bis dahin kontinuierlich verbessere. Und auch nur dann.

Nicht ausreichend vorbereitet

Frankreich, das tatsächlich zu den am stärksten betroffenen Staaten gehört, sei auf die Pandemie nicht ausreichend vorbereitet gewesen und habe Fehler gemacht, gab der Präsident zu. Man habe zum Beispiel nicht genügend Masken und Schutzkleidung und auch nicht genügend Tests aus heimischer Produktion gehabt. Er sagte nichts dazu, dass er selbst (in seiner Zeit als wirtschaftspolitischer Berater von Präsident Hollande) es war, der die Pflicht für Krankenhäuser abgeschafft hat, ausreichend Masken vorzuhalten, um sie durch eine Pflicht der Arbeitgeber zu ersetzen, Masken bereitzustellen.

Er kündigte an, dass nach dem 11. Mai dann ausreichend Tests zu Verfügung stünden, um alle Menschen mit Symptomen testen zu können. Wohlgemerkt: nicht alle Menschen, sondern lediglich alle mit Symptomen. Kein Wort, dass das viel zu wenig ist und um Welten Deutschland hinterherhinkt. Kein Wort dazu, dass Frankreich sich schon deshalb nicht auf den Weg der Rückkehr in ein normaleres Leben begeben kann, weil es mangels medizinischer Kapazität nicht einmal im Ansatz über genügend Daten verfügt, wie viele Menschen bereits infiziert waren.

Wer soll die Folgen des Lockdowns bezahlen? 

Schließlich erklärte Macron, dass Restaurants, Museen, Kinos und Theater auch nach dem 11. Mai noch geschlossen bleiben sollen. Wie er das politisch durchstehen will, ist die eine Frage – die „Kriegs-Rede“ vom 17. März hatte seine Zustimmungswerte deutlich verbessert – wer das bezahlen soll, die zweite.
Denn dazu, was Frankreich wann zu tun gedenkt, um einen Umgang mit den  ökonomischen Verheerungen der Pandemie zu finden, dazu kein einziges Wort am gestrigen Abend. Es war nur Blut, Schweiß und Tränen – aber keine Perspektive. 

Bevor jetzt aus Deutschland ein besserwisserisches „typisch“ ertönt, verbunden mit der Urangst „und wer soll das wieder Alles bezahlen? Wir natürlich“, bevor Deutschland also den Streber gibt, der es sich nicht verkneifen kann, alle anderen zu belehren, sei an ein paar ökonomische Realitäten erinnert. Niemand profitiert von Europa und seiner engen Zusammenarbeit so sehr, wie die Deutschen. Wenn Deutschland seine Wirtschaft auch weiterhin als Exportweltmeister betreiben möchte, braucht es Nachbarn, die nicht finanziell in die Knie gegangen sind.

Hilfe für die EU-Nachbarn ist auch Selbstzweck

Hilfe, ob technisch, medizinisch oder auch finanziell, ist also (nicht nur) Gutherzigkeit, sondern Selbstzweck. Drittens ist die Misere im Gesundheitswesen zum Teil auch auf Auflagen aus dem ESM zurückzuführen, die wiederum auf Druck von Deutschland, Österreich und den Niederlanden so gestellt worden sind. Und schließlich kann es Niemandem nützen, sollte ausgerechnet Frankreich sich innerhalb Europas auf einen Sonderweg begeben.

Deutschland ist sicher der dickste Karpfen im europäischen Teich und hat im Bezug auf die Pandemie im internationalen Vergleich auch sehr vieles richtig und gut gemacht, aber in Relation zu den richtig Großen, bleibt Deutschland alleine ein kleiner Fisch. Die Putins und Trumps dieser Welt, schon gar die Xi Jingpings fühlen sich veranlasst, Europa Ernst zu nehmen, nicht Deutschland allein.

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