Donald Trump - Der Weg in die Unfreiheit

Mit der Präsidentschaft Donald Trumps verwandeln sich die USA zusehends in einen autoritären Staat. Er verhöhnt die demokratischen Institutionen, predigt den Rechtsbruch und denkt nur an seinen persönlichen Profit. Diese Entwicklung wird auch bei den Midterms nur schwer zu korrigieren sein

Erschienen in Ausgabe
Flagge zeigen bei der Mother of all Rallies in Washington, einer Kundgebung für Donald Trumps „America first“-Politik / David Frum
Anzeige

Autoreninfo

David Frum ist Buchautor und Journalist. Er war Redenschreiber des früheren US-Präsidenten George W. Bush

So erreichen Sie David Frum:

Anzeige

Seit 21 Monaten ist Präsident Trump jetzt im Amt. Schlittern die Vereinigten Staaten bereits in Richtung einer Autokratie? Bisher war die Fahrt jedenfalls turbulent und voller unerhörter Begebenheiten. Wer hat da noch den Tacho im Blick? Wir müssen uns der Wegstrecke bewusst sein, die wir zurückgelegt haben. So hat es auch Abraham Lincoln in seiner House-Divided-Rede betont, als er die tiefe Spaltung seines Landes in Gegner und Befürworter der Sklaverei beklagte: „Wenn wir wissen, wo wir stehen und wohin wir gehen, dann können wir besser beurteilen, was wir tun sollen und wie wir es tun sollen.“

Beginnen wir mit der guten Nachricht: Gegen die Regierung Trump konnte bisher noch jedes Bundesgesetz durchgesetzt werden. Die Untersuchungen von Sonderermittler Robert Mueller gehen weiter, trotz schwerer Drohungen des Präsidenten. Und das Justizministerium ignoriert die via Twitter abgesetzten Forderungen des Präsidenten, seine Gegner strafrechtlich zu verfolgen. Soweit bekannt, bedrohen weder die Bundessteuerbehörde noch andere Ämter die Kritiker Trumps. Im Juli ergriff die Polizei in Ohio zwar Maßnahmen gegen die Pornodarstellerin und Trump-Gegnerin Stormy Daniels. Sie wurde festgenommen unter dem Vorwurf, Undercover-Beamten zu nahe getreten zu sein, als sie in einem Strip-Club auftrat. Die Vorwürfe wurden mittlerweile aber fallen gelassen. Klar ist: Es handelte sich nur um eine lokale Aktion.

Trump kratzt im niedrigen Vierzigerbereich

Manchmal gewinnt Trump vor Gericht, beispielsweise beim Einreiseverbot für Muslime. Aber viel öfter verliert er. Zum Beispiel, als er an der mexikanischen Grenze Einwandererkinder von ihren Eltern trennte. Politisch aufgeladene Fälle landen also noch immer vor Gericht – wie eh und je. Und noch allgemeiner lässt sich feststellen: Trump waren wegen seiner geringen Beliebtheit in bemerkenswerter Weise die Hände gebunden. Zu Beginn seiner Amtszeit hat er eine starke Wirtschaft mit hohem Wachstumspotenzial vorgefunden. Kollateralschäden durch amerikanische Militäreinsätze blieben gering. Wäre Trump in dieser Situation ein „normaler Präsident“, könnte er mit Zustimmungswerten rechnen vergleichbar mit denen von Bill Clinton während seiner zweiten Amtszeit: 50 Prozent und darüber.

Vor dem Weißen Haus werfen vier Frauen dem Präsidenten vor, ein Lügner zu sein

Stattdessen kratzt Trump im niedrigen Vierzigerbereich. Im Juni bat das Meinungsforschungsinstitut Gallup die Amerikaner, Trumps Persönlichkeit anhand von 13 Aspekten zu bewerten. Nur 43 Prozent der Befragten gaben an, dass Trump sich um ihresgleichen schere. Lediglich 37 Prozent schätzten ihn als ehrlich und vertrauenswürdig ein. Und nur 35 Prozent sagten, sie würden ihn bewundern. Eines ist klar: Sein erratisches und beleidigendes Verhalten, seine offen rassistisch grundierte Feindseligkeit und sein schlechtes Benehmen gegenüber Frauen haben ihren Tribut gefordert.

Das weiße Haus ist so dysfunktional wie noch nie

Aber wie sieht es auf lange Sicht mit der Überlebensfähigkeit der liberalen Demokratie aus? Überall auf der Welt wirken Demokratien fragiler als in der Zeit nach dem Kalten Krieg. Doch wenn die Demokratie in Amerika vorerst überleben sollte, dann werden künftige Geschichtsschreiber als Grund dafür auch die Twitter-Obsession des Präsidenten anführen: Hätte er nur für ein paar Monate würdevoll geschwiegen, dann hätte er vermutlich weniger an Unterstützung eingebüßt, und der Schaden für die Institutionen unseres Landes wäre weit größer. Andererseits: Ein Donald Trump, der seine Impulse kontrolliert, wäre kein Donald Trump.

Trump-Fan bei einer Demo in Portland, Oregon, die von
Gegendemonstranten gestört wurde

Das weiße Haus unter Trump ist so dysfunktional, wie es, soweit man sich erinnern kann, noch niemals war. Ausgebremst haben ihn hausgemachte Fehler ebenso wie seine Persönlichkeit. So reiste er nach Saudi-Arabien, besuchte aber nie unsere in der Region stationierten US-Truppen. Potenzielle Lichtblicke, etwa die Freilassung von drei Gefangenen am 10. Mai 2018 durch Nordkorea, werden regelmäßig von Dummheiten überschattet. So kam am selben Tag ans Licht, wie makaber eine Kommunikationsberaterin im Weißen Haus den Fall des damals krebskranken John McCain einschätzte: „Es macht nichts; er stirbt sowieso.“

Bizarre Dinge sind zum Richtmaß geworden

Doch Trump hat in seinem Krieg gegen die amerikanischen Institutionen auch eine bestürzende Reihe von Erfolgen erzielt. Der Mann ist kein Einzelkämpfer. Er wird im Kongress von seiner Partei und im ganzen Land von seinen zahlreichen Unterstützern getragen. Die Republikaner haben zusammen mit ihren Spendern dafür eine Art Mantra speziell für das Trump-Zeitalter entwickelt: Ignoriere die bizarren Dinge, konzentriere dich auf die politischen Linien. Die Politik jedoch wird in zunehmendem Maße beeinflusst von den Absonderlichkeiten: Zölle, Handelskriege, Streitereien mit Verbündeten, Verdacht auf geheime Absprachen mit Russland. Die bizarren Dinge sind zum Richtmaß geworden. Das alles verändert auch die Partei des Präsidenten in einer Weise, die weder leicht noch rasch korrigiert werden kann. Viele mögen sagen: Was kümmern mich die Republikaner? Aber wer so denkt, übersieht die Gefahren. Denn eine freiheitliche Demokratie kann nicht überleben, wenn sich nur eine einzige von zwei maßgeblichen Parteien demokratischen Werten verpflichtet fühlt.

Eine Unterstützerin von Donald Trump trägt den Namen ihres Idols am Handgelenk

Drei Bereiche sind dabei von besonders großer Bedeutung. Präsident Trump erfüllt die ethischen Erwartungen an einen amerikanischen Präsidenten weiterhin nicht. Er hat seine Steuererklärungen nie veröffentlicht, und er macht sich nicht einmal mehr die Mühe, dafür sachliche Gründe zu nennen. Seine Berater tun die Sache ab als etwas, das schon 2016 entschieden wurde. Derweil sammelt der Präsident Geld ein von Leuten, die ein Interesse haben an den Entscheidungen seiner Administration – von ausländischen Regierungen, die die US-Politik beeinflussen wollen, bis hin zu Akteuren aus seiner eigenen Partei. Wer die Aufmerksamkeit des Präsidenten gewinnen will, muss nur seine Hotels und Golfplätze fördern. Das autoritär regierte China beispielsweise hat im Eilverfahren Markenschutz für die Geschäfte der Präsidentenfamilie zugesichert. Trumps Verachtung für ethische Feinheiten hat mittlerweile sowohl sein Kabinett als auch seine leitenden Mitarbeiter infiziert.

Indikator für Autoritarismus

Es spricht Bände, wenn sein Handelssekretär dabei ertappt wird, falsche Auskünfte über seine Finanzen gemacht zu haben, oder wenn sein oberster Kommunikationsberater versucht, bei Fox News mutmaßliche Opfer sexueller Belästigung einzuschüchtern. Oder wenn sein Schwiegersohn bei Investoren in Katar und in den Vereinigten Arabischen Emiraten Beteiligungen bei Unternehmen angefragt hat – zur gleichen Zeit, als er in der Regierung darüber befand, welche dieser Länder man bei einem militärischen Konflikt unterstützen solle. Wenn man einen Indikator für Autoritarismus darin ausmachen will, inwieweit Staatsmacht und familiäre wirtschaftliche Interessen verschmolzen sind, dann nähert sich unsere Tachonadel dem roten Bereich.

Bei einem Empfang am 20. Juli 2018 kamen die Chefs großer Unternehmen im Weißen Haus zusammen, um dem Präsidenten persönlich Angebote zu unterbreiten, wie sie Arbeitsplätze schaffen wollen. Das Video sollte man sich ansehen. Die Szene erinnert an einen Fürsten, dem von seinen unterwürfigen Lehnsherren gehuldigt wird. Möglicherweise besteht das Hauptmerkmal moderner Autokraten wie Recep Tayyip Erdogan, Viktor Orbán oder Wladimir Putin darin, aus normalen Regierungsgeschäften einen Personenkult zu machen.

In New York demonstrieren Tausende gegen Trumps Einwanderungspolitik, Juni 2018

In einer Demokratie ist das oberste Regierungsamt gleichzusetzen mit einem Angestellten im öffentlichen Dienst. In einer Autokratie versteht sich der Präsident aber als Wohltäter der Öffentlichkeit – selbst wenn er die ihm verliehene Macht für persönliche Zwecke einsetzt. So hat Trump die Post dazu gedrängt, ihre Versandpreise für Amazon zu erhöhen, um Amazon-Chef Jeff Bezos zu bestrafen für die Berichterstattung in der Washington Post – eine Zeitung, die Bezos ebenfalls gehört. Das sollte auch eine Warnung an andere Wirtschaftsgrößen sein. Den Eigentümern von Vereinen der National Football League hat er ebenfalls den Krieg erklärt als Strafe dafür, wenn afroamerikanische Spieler während der Nationalhymne niederknien, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu protestieren.

Jubel trotz offensichtlicher Lügen

Auch bei Trumps Strafzöllen zeigt sich, wie er politische Macht für persönliche Zwecke missbraucht: Manche Industriezweige werden bevorzugt, andere hingegen gehen leer aus. Amerikas Landwirte etwa können für ihre Handels­einbußen mit Entschädigungen rechnen; bei anderen, beispielsweise der Luft- und Raumfahrtindustrie, ist das nicht der Fall. Die Wirtschaft muss sich auf neue Gegebenheiten einstellen. Nämlich darauf, dass Maßnahmen der Regierung ihre Profite entweder in die Höhe schnellen oder ihre Aktien in den Keller stürzen lassen. Schon im Juli, nicht lange also, nachdem Trump neue Zölle für Stahl und Aluminium verhängt hatte, verzeichnete Amerikas größter Stahlproduzent den höchsten Gewinn, der jemals in einem zweiten Quartal zusammenkam. Gleichzeitig fiel die Aktie von Molson Coors um 14 Prozent, nachdem die Trump-Zölle angekündigt wurden. Die Firma ist auf billiges Aluminium angewiesen, um ihre Bierdosen herzustellen.

Und wann immer Trump von „meinen“ Generälen oder „meinen“ Geheimdiensten spricht, trichtert er seinen Unterstützern ein, dass das Amt des Präsidenten fortan neuen Regeln folgt. Wie weit weg erscheint da Ronald Reagans Losung, wonach er und seine Frau nur die neuesten Mieter im Haus des Volkes seien.

Eine Trump-Anhängerin bei einer Kundgebung amerikanischer Patrioten in Washington, D. C., September 2018

Trump ist wohl kaum der erste Präsident, der auch bei schwerwiegenden Angelegenheiten lügt. Aber keiner seiner Vorgänger wäre so weit gegangen, wie er es im Juli tat: Da prahlte er beim Besuch einer Stahlfabrik damit, dass das Unternehmen dank seiner politischen Entscheidungen sieben völlig neue Anlagen eröffnen würde. In Wirklichkeit hat das Unternehmen zwei Hochöfen in einer einzigen Anlage wieder in Betrieb genommen. Nun könnte man annehmen, sein Publikum hätte es besser wissen müssen – aber die versammelten Mitarbeiter jubelten trotzdem.

Die trügerische Hoffnung der Demokraten

Trump mag kein besonders guter Manager oder Entwickler sein, aber er ist in jedem Fall ein großer Geschichtenerzähler. Das Weltbild seiner Unterstützer hat er grundlegend neu gestaltet. Gleichzeitig vermochte er es, sie von anderslautenden Nachrichten abzuschirmen. Der Anteil an Republikanern mit einer positiven Einstellung zum FBI ist von 65 Prozent zu Beginn des Jahres 2017 auf nur noch 49 Prozent im vergangenen Juli gefallen. Und die Zustimmungsrate für Wladimir Putin hat sich in den vergangenen drei Jahren auf 32 Prozent beinahe verdreifacht. Um den Präsidenten (und auch sich selbst) vor der Wahrheit über Russlands Einmischung in die zurückliegende Präsidentschaftswahl zu schützen, haben Republikaner im Geheimdienstausschuss eine Theorie über ein vermeintliches Komplott des FBI gegen Trump ausgeheckt. Und die konservativen Medien haben es munter verbreitet. Die Führungsebene der Partei weiß jedoch nur allzu gut, dass diese Theorie reine Fantasie ist. Deshalb verhindern sie jegliche Versuche, dem Märchen auf den Grund zu gehen, etwa indem sie eine Sonderuntersuchung gegen die Behörde einleiten. Gleichzeitig ermuntern sie ihre Anhänger fröhlich dazu, den Hirngespinsten Glauben zu schenken – zumindest so weit, dass diese sich für die Zwischenwahlen mobilisieren lassen.

Derweil setzen viele Amerikaner darauf, dass sich mit einem Sieg der Demokraten im November der Kurs im Land ändern wird. Doch diese Hoffnung dürfte trügerisch sein. Denn wenn die Demokraten im Kongress ein gewisses Maß an Macht zurückgewinnen sollten, könnte das zu einer Gegenreaktion führen: Während die Republikaner in Washington an Macht verlieren, könnte Trump innerhalb seiner Partei an Macht gewinnen. Heutzutage können Republikaner, denen Trump nicht behagt, sich in Washington immerhin an Leuten orientieren wie dem Sprecher des Repräsentantenhauses Paul Ryan oder dem Mehrheitsführer des Senats Mitch McConnell. Aber wenn ihre Partei im Kongress unterliegt, wird auch die Macht der dort versammelten Republikaner schwinden. In Washington würde die Macht aufgeteilt sein zwischen Trump auf der einen und den Demokraten auf der anderen Seite. Das Weiße Haus könnte damit beginnen, die Grenzen seiner Autorität noch aggressiver als bisher auszuloten.

Staatlich verordnete Wahlrechtsbeschneidungen feiern fröhliche Urständ

Trump müsste sich andererseits auf noch mehr Anhörungen, noch mehr Untersuchungen und generell auf noch mehr Probleme einstellen. Die Reihen der Republikaner dürften sich dann allerdings hinter ihrem bedrängten Anführer schließen. Denn sollte Trump preisgegeben und verstoßen werden, würden gleichzeitig seine Anhänger diskreditiert. Soll er überleben, müssen sie ihn beschützen. In einem solchen extrem polarisierten Umfeld könnten sich die Republikaner umso weiter radikalisieren, je mehr sie politisch schrumpfen. Anstatt um Wählerstimmen zu kämpfen, könnten sie um ihres Überlebens willen versucht sein, das Wahlsystem abermals zu verändern. Es gibt viele Gründe dafür, warum Donald Trump Präsident geworden ist.

Die Flagge eines Demonstranten bei einer antifaschistischen Kundgebung in Berkeley am 5. August 2018

Einer davon ist jedenfalls der erstaunliche Rückgang der Wahlbeteiligung bei Afroamerikanern zwischen den Jahren 2012 und 2016. Es überrascht nicht, dass Hillary Clinton weniger Schwarze für sich mobilisieren konnte als Barack Obama vier Jahre zuvor. Es ist aber auf den ersten Blick erstaunlich, dass sie sogar weniger Stimmen gewinnen konnte als der demokratische Präsidentschaftskandidat John Kerry im Jahr 2004. In der dazwischenliegenden Zeit wurden die Regeln allerdings zuungunsten nichtrepublikanischer Wahlkreise verändert – insbesondere Schwarzen wurde die Beteiligung an Wahlen erschwert. Und es geht weiter in diese Richtung.

Die Geschichte der amerikanischen Demokratie wird gewöhnlich erzählt als eine Folge von Stimmrechtsausweitungen, die in den Reformen der sechziger und siebziger Jahre gipfelten. Aber das Wahlrecht wurde genauso oft wieder eingeschränkt, auf staatlicher und lokaler Ebene: Die Lese- und Schreibtests sowie die Wahlsteuern im Rahmen der sogenannten Jim-Crow-Gesetze in den amerikanischen Südstaaten sind hier die bekanntesten Beispiele. Seit 2010 feiern die staatlich verordneten Wahlrechtsbeschneidungen wieder fröhliche Urständ. Und wenn republikanische Machthaber sich nach den diesjährigen Zwischenwahlen besonders bedrängt sähen, könnten sie versucht sein, die Restriktionen auszuweiten.

Einmal verletzt, sind demokratische Normen nicht einfach wiederherzustellen

Die Probleme der Demokratie in den Vereinigten Staaten oder anderswo können wir nicht einzelnen charismatischen Demagogen in die Schuhe schieben. Viele der Autokraten heutzutage sind bemerkenswert uncharismatisch. Sie sind nur deswegen im Aufwind, weil sie bestimmte politische oder ethnische Gruppen anführen – allerdings nicht als echte, sondern nur als relative Mehrheit. So verhält es sich auch im Falle Trumps. Offene Gesellschaften basieren auf dem breiten Konsens, sich an die Spielregeln zu halten. Wenn eine entscheidende Minderheit diese Regeln ablehnt, dann ist Aufruhr die Folge.

Im Jahr 2016 schwenkten Unterstützer von Trump in der Nähe von Wahllokalen offen mit ihren Feuerwaffen. Seitdem haben sie sich daran gewöhnt, heimliche Wahlhilfe von einer feindlichen ausländischen Regierung zu akzeptieren. Wobei der Präsident höchstpersönlich all jenen unmissverständliche Signale gab, die sich gegen die Rechtsordnung stellen – indem er sie begnadigte. So etwa im Fall des ehemaligen Sheriffs Joe Arpaio, der wegen Miss­achtung der Bürgerrechte in Maricopa County, Arizona, verurteilt wurde. Wo Präsident Trump voranschritt, sind ihm Millionen von Menschen unheilvoll gefolgt, die sich selbst als loyale Amerikaner betrachten und an die Verfassung glauben.

Trumps Kandidat für den Obers- ten Gerichtshof, Brett Kavanaugh, bei der Senatsanhörung im September 2018

Einmal verletzt, sind demokratische Normen aber nicht einfach wiederherzustellen, wie Rachel Kleinfeld von der Carnegie-Stiftung für Internationalen Frieden festgestellt hat. Als Folge aus Silvio Berlusconis von Korruption geprägter Zeit im Amt des Ministerpräsidenten wird Italien heute von einer verqueren Koalition extremistischer Parteien regiert. Dem Namen nach aus dem rechten und aus dem linken Lager stammend, teilen sie lediglich eine Abneigung gegen die Europäische Union, eine Affinität zu Putins Russland oder ein Misstrauen gegenüber Impfstoffen. Und nachdem Huey Long, der volksverhetzende Gouverneur von Louisiana, 1935 ermordet worden war, hat dessen Familie die Politik des Bundesstaats noch jahrzehntelang dominiert. Argentinien wiederum stolperte einen langen und beschwerlichen Weg zurück zur Rechtsstaatlichkeit, nachdem es den Neoperonismus überwunden hatte.

Echtes und wirksames Engagement

Geschwächte Institutionen werden also aus vielen Richtungen herausgefordert. Manche Liberale spekulieren angesichts von Trumps erschreckendem Umgang mit der Justiz bereits auf Gerichtsverhandlungen im Stil der dreißiger Jahre. Argwohn gegenüber der Redefreiheit an den Universitäten wird von den jüngeren Absolventen in ihr berufliches und soziales Umfeld getragen. In anderen Ländern, besonders in Großbritannien, erleben wir den Aufstieg einer aktivistischen Linken, die fast genauso paranoid und antisemitisch ist, wie sie liberale Freiheiten und demokratische Institutionen verachtet. Darin ist sie durchaus vergleichbar mit der sogenannten Alt-Right-Bewegung, der Neuen Rechten in den USA.

Ja, all das könnte auch in den Vereinigten Staaten passieren. Die Demokratie wieder auf Vordermann zu bringen, das erfordert von jedem von uns mehr, als nur zu einer Wahl zu gehen. Es bedarf echten und wirksamen Engagements, um die amerikanischen Institutionen zu erneuern, die Zivilgesellschaft wiederzubeleben und um unseren Wohlstand zu sichern. Der Weg in die Autokratie ist lang. Noch haben wir Zeit, innezuhalten und umzukehren. Doch je länger wir damit warten, desto weiter müssen wir fahren, um nach Hause zu kommen.

Fotos: Mark Peterson

Dies ist ein Text aus der November-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.














 

Anzeige