Trump vs. Google - Die gefährliche Machtkonzentration der Tech-Giganten

Trumps Kartellklage gegen Google mag eine persönliche Vendetta sein. Aber sie trifft die Richtigen. Google, Facebook und Co. sind so groß geworden, dass sie den Gesetzen der Marktwirtschaft entwachsen sind. Das schadet nicht nur der Wirtschaft, sondern auch der Demokratie.

Ein globales Machtzentrum: Das Google-Hauptquartier in Mountain View, Kalifornien / dpa
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Auf den ersten Blick ist der Zusammenhang nicht eindeutig. Schließlich geht es um zwei verschiedene Firmen und auch um verschiedene Themen. Aber es wird kaum Zufall sein, dass US-Präsident Donald Trump in Person seines Justizministers William Barr ausgerechnet jetzt Kartellklage gegen Google eingereicht hat – kaum eine Woche, nachdem insbesondere Trump und viele weitere Republikaner (sowie einige wenige eher linksliberale Kommentaristen) die anderen Tech-Giganten Facebook und Twitter der unfairen Zensur bezichtigt hatten

Ist dies nun ein vielleicht letzter Schlag des Präsidenten, dessen Wiederwahl in anderthalb Wochen höchst gefährdet scheint, der ohnehin öfter wild um sich schlägt, und nun noch einmal aus seiner Sicht dafür mitverantwortlichen „linksliberalen Gutmenschen“ aus Kalifornien treffen will, obwohl er ohne die von ihnen entwickelten Dienste kaum Präsident geworden wäre? Mag sein. Stutzig machen sollte aber, dass im Falle eines Wahlsiegs von Joe Biden höchstwahrscheinlich Elizabeth Warren, Senatorin der Demokraten und Ex-Präsidentschaftskandidatin, Justizministerin würde. Und die hatte die Zerschlagung der großen Tech-Konzerne bereits zu einem der wichtigsten Punkte ihres (Vor)Wahlkampfprogramms gemacht.

Schaden für die Demokratie

Schon am 6. Oktober hatte ein Komitee des US-Kongresses einen 449-Seiten-starken Report vorgelegt, der besagte, dass das Wettbewerbsrecht der USA dringend ein „Update“ benötige, um die Macht der Konzerne einzuhegen. Bezeichnenderweise waren sich Demokraten und Republikaner über die Grundausrichtung selbst in diesen polarisierten Zeiten weitgehend einig. Für ähnliche Pläne kämpft in der EU Margrethe Vestager, Kommissarin für Wettbewerbsrecht und Vizepräsidentin der Kommission, seit langer Zeit.

Nun hat sie angekündigt, im Dezember ein konkretes Regelwerk vorzulegen, und kann dabei auf die Unterstützung von Kommissionschefin Ursula von der Leyen bauen. Keine Frage, der Wind im Umgang der Politik mit dem Geschäftsgebaren der großen Tech-Firmen wird stärker, sodass er ihnen von allen Seiten mitten ins Gesicht bläst. Offenbar hat sich nun auch in ihrer Heimat die Ansicht durchgesetzt: Sie sind so groß geworden, dass sie den Gesetzen der Marktwirtschaft entwachsen sind. Und das schadet nicht nur der Wirtschaft, sondern auch der Demokratie. 

Der Stolz auf die „kreativen Genies“

Dass die Tech-Firmen überhaupt so groß werden konnten, der Legende nach stets als Garagenprojekte von introvertierten Nerds gestartet, lag auch daran, dass die Politik sie dabei nicht störte. Lange ließen die US-Wettbewerbsbehörden sie weitgehend unkontrolliert gewähren. Durchaus aus Kalkül. Denn erstens spielt die Software-Industrie für die USA eine wirtschaftlich ähnlich wichtige Rolle wie hierzulande die Herstellung von Autos. Und zweitens brauchte man sie als Bollwerk gegen die auch technologisch immer schneller heranpreschende Konkurrenz aus China.

Im vielleicht wichtigsten Zukunftsmarkt wollte man den wichtigsten Firmen lieber keine Keile ins Getriebe werfen. Republikanische und demokratische Präsidenten gaben sich ähnlich stolz über die „kreativen Genies“ aus Kalifornien, mit denen sie sich gern umgaben, auch um die eigene Zukunftsfähigkeit zu demonstrieren. Barack Obama ging sogar so weit, zu behaupten, er hätte sich durchaus eine Karriere im Silicon Valley vorstellen können, wäre er nicht Präsident geworden. Die Politiker sonnten sich gern im Licht der Firmen und der von zahlreichen Jüngern und auch von der Presse geradezu verehrten Gründer. Es war leicht, sie zu mögen. Sie wollten die Menschen ja hauptsächlich „zusammenbringen“ (Facebook) und hatten sogar in ihre Statuten geschrieben, „nichts Böses zu tun“ (Google). Ihre Kultur war locker und frei vom Statusdenken, und dank ihnen konnte auf einmal jeder mit jedem sprechen, alles kaufen und alles wissen. 

Kein gesunder Wettbewerb

Das ist erst ein paar Jahre her. Aber heute würde kaum jemand noch so ungetrübt begeistert über Google, Facebook und Amazon sprechen. Erstens mehren sich die Zweifel, ob die voranschreitende Monopolisierung wirtschaftlich gesund ist. Google, Facebook und Co. sind mittlerweile tatsächlich „too big to fail“. Sobald ein ernstzunehmender Konkurrent auftaucht, werden entweder deren Innovationen kopiert und mit geballter Man- und Moneypower aus dem Markt gedrückt. Oder die Firma wird einfach aufgekauft. Google tat das in den vergangenen Jahren mehr als 120 Mal, Amazon rund 90 und Facebook etwa 80 Mal. Davon profitieren in der Regel erst einmal alle Beteiligten – Gründer, Kapitalgeber und Käufer. Aber ein gesunder Wettbewerb bleibt so eben auf der Strecke.

Es gibt aber zweitens auch ein moralisches Problem mit den Tech-Giganten. Sie haben längst ihre angebliche Unschuld verloren, scheinen sich in ihrem Geschäftsgebaren in Sachen Rücksichtslosigkeit und Profitstreben kaum noch von einem Rüstungskonzern zu unterscheiden. Hinzu kommt: Ihre Macht ist immer mehr Menschen einfach ziemlich unheimlich geworden, gerade weil sie aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken sind. Die moralische Grundkritik lautet ungefähr so: Die Unternehmen mögen zwar nicht direkt verantwortlich sein für die schlechten Dinge in der Welt, aber mit ihren Werkzeugen verstärken sie Probleme wie Massenüberwachung, das Ende der Privatheit, die Polarisierung der Gesellschaft und nicht zuletzt das Sterben des Journalismus. 

Hunter Bidens Laptop-Affäre

Google, Facebook, Amazon, Apple und, im geringeren Ausmaß, Twitter haben nicht nur wirtschaftliche Monopole, sondern auch ein Informationsmonopol aufgebaut. Zusammen repräsentieren sie das, was der US-Publizist Matt Stoller schon 2019 in der New York Times als „die radikale Zentralisierung der Macht des Informationsflusses“ bezeichnet hat. Und was die Auswirkungen davon sein können, das zeigt genau die Geschichte, die Trump vielleicht den endgültigen Anstoß für seine Attacke gegeben hat. 

Was war geschehen? Die New York Post, eine der ältesten Zeitungen der USA, wenn auch beileibe nicht die angesehenste, hatte auf ihrer Titelseite eine Geschichte über Hunter Biden, Sohn des Präsidentschaftskandidaten veröffentlicht. Einige E-Mails von Hunter Bidens Computer würden tatsächlich beweisen, dass die Korruptionsvorwürfe gegen ihn in der Ukraine gerechtfertigt seien. Das ist höchst brisant, weil wiederum Donald Trumps Drängen auf die ukrainische Regierung, beide Bidens ans Messer zu liefern, zum Amtsenthebungsverfahren des Präsidenten geführt hat. Die Erklärung der New York Post, wie sie an das Material gekommen sei, ist dabei zweifelhaft, um es milde auszudrücken. Es soll aus einem Computer-Reparaturladen stammen, in dem Hunter Bidens Laptop wochenlang herumstand. Der Besitzer des Ladens habe die Daten kopiert und dann an Trump-Anwalt Rudy Giuliani weitergegeben.

Kein Nutzer konnte den Artikel teilen

Was dann aber folgte, war nicht das Abklopfen der Story von Journalistenkollegen. Vielmehr würgten Facebook und Twitter sie ab, bevor das überhaupt geschehen konnte. Nur zwei Stunden nachdem die Geschichte online war, gab Andy Stone, pikanterweise früher in Diensten der Demokraten und nun Facebook-Mitarbeiter bekannt: Facebook „reduziert die Verteilung des Artikels auf unserer Plattform“. Mit anderen Worten: Die Coder basteln an den eigenen Algorithmen, sodass ihn möglichst wenige zu sehen bekommen. Twitter reagierte noch drastischer. Kein Nutzer konnte den Artikel teilen, nicht einmal als private Nachricht über den Dienst. Eine Entscheidung, die Twitter-Chef Jack Dorsey später öffentlich bereute.

Doch da war die Katze schon aus dem Sack. Die einzigartige Macht der Tech-Giganten über Information liegt offen zutage. Wenn ungefähr zwei Drittel der Amerikaner Nachrichten über Facebook oder Google bezieht, ist ein Artikel, wenn er dort nicht erscheint, quasi gar nicht erschienen. Und wenn das kurz vor einer Wahl mit einem Artikel geschieht, der einen der Kandidaten in ein schlechtes Licht rückt, liegt der Schaden für eine demokratische Meinungsbildung auf der Hand. Das Argument von Facebook- und Twitter-Mitarbeitern, die Story habe eben auf zweifelhaftem Material beruht, illegal bezogen von einer undurchsichtigen Quelle, zieht dabei nicht. Die Echtheit der E-Mails von Hunter Biden hat bisher niemand bestritten. Und wäre das Kriterium für einen journalistischen Scoop die absolute Reinheit der Quelle, hätte es die meisten von Watergate bis zum Ibiza-Video nicht gegeben. 

Eine nie dagewesene Machtkonzentration

Das Problem ist: Wenn einige wenige Firmen die Nachrichten nicht nur verteilen, sondern auch darüber entscheiden, welche Nachrichten sie verteilen, gibt es im Journalismus eine nie dagewesene Machtkonzentration. Mitarbeiter der Tech-Firmen werden zum Generalgrossisten und zum universalen Chefredakteur zugleich. Auch wenn viele nicht einmal eine journalistische Ausbildung haben, ihre Arbeitgeber sich nicht einmal als Teil der öffentlichen Medien sehen (was sie aus gutem Grund nicht tun, denn dann würden sie für die Inhalte haftbar gemacht, und Facebook wäre schon längst pleite). 

Bis jetzt wurde eine kartellrechtliche Anklage gegen Facebook oder Twitter nicht einmal angestrengt, und ob es im Fall Google wirklich vor ein Gericht geht, ist höchst unwahrscheinlich. Nicht umsonst haben inzwischen alle großen Tech-Unternehmen ihre Anwalts- und Lobbyisten-Armeen zuletzt deutlich aufgestockt. Ein Informationsmonopol zu brechen ist auch ungleich schwerer als ein wirtschaftliches. Aber ein Verfahren gegen Google könnte zumindest das Bewusstsein dafür stärken, dass die Machtkonzentration der Tech-Giganten gefährlich ist, nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die demokratische Meinungsbildung. 

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