Donald Trump - Der wahre 68er

Kolumne: Grauzone. Donald Trump ist seit heute der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. In seiner Antrittrede hielt er sich kein bisschen zurück. Das mag verstören, aber im Gegensatz zu den Salonlinken hat er wirklich das Potenzial, das alteingesessene Establishment wachzurütteln

Trump holte die Anti-Establishment-Rhetorik der Salonlinken erst auf die Straße und dann ins Weiße Haus / picture alliance
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Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Nun ist er also geschehen. Donald Trump, der ultimative Albtraum aller weltoffenen Kosmopoliten, sensiblen Schöngeister und progressiven Intellektuellen, ist jetzt der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Wer noch gedacht hat, das Amt des Präsidenten würde ihn zähmen, dem hämmerte er gleich zu seiner Antrittsrede ein: Er denkt gar nicht dran. „Heute übertragen wir die Macht von Washington D.C. zurück ans Volk“, sagte Trump, während das Establishment hinter ihm saß. Das Establishment hätte sich selbst geschützt, aber nicht die Bürger des Landes. Dessen Siege waren nicht deren Siege. „Und während sie in der Hauptstadt unseres Landes feierten, gab es wenig zu feiern für die Familien überall in unserem Land.“ 

All das ist ohne Zweifel eine Provokation für alle, die sich irgendwie modern vorkommen und sich als Speerspitze der kulturellen und moralischen Entwicklung der Menschheit sehen. Dennoch befremdet das niedrige Toleranzniveau gegenüber Trump und seinen Anhängern, insbesondere von jenen, die ansonsten Verständnis für alles und jeden einklagen.

Wir brauchen die USA

Dabei mahnen Vernunft, Pragmatismus und Realismus zur Gelassenheit. Denn Deutschland, Europa und der Rest der Welt werden mit diesem Präsidenten die nächsten vier Jahre auskommen müssen – gleichgültig was man von ihm halten mag. Die USA sind immer noch unser wichtigster Verbündeter, ein herausragender Wirtschaftspartner und Garant unserer Freiheit. Wir brauchen die USA – mit oder ohne Trump.

Außenpolitisch kann es ohnehin fast nur besser werden: Nimmt man Trump beim Wort – und ob und wie weit man das kann, werden erst die nächsten Monate zeigen –, es besteht die Hoffnung, dass er den von Obama hinterlassenen Scherbenhaufen zusammenkehrt.

Der Schlüssel dabei ist Russland. Sollte es Trump gelingen, dass Verhältnis zu Russland zu verbessern, könnte das nicht nur zu einer Entspannung in Osteuropa beitragen, sondern auch eine realistische Lösung des Syrienkonfliktes in greifbare Nähe rücken. Dies umso mehr, weil Trump – anders als Obama – nicht dem illusorischen Ziel nachhängt, unter allen Umständen einen Regimewechsel in Damaskus herbeiführen zu wollen.

Trump provoziert und hat dabei Recht

Eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland hätte jedoch nicht nur positive sicherheitspolitische Folgen, ein mögliches Ende der Sanktionen wäre auch weltwirtschaftlich hilfreich.

Hinzu kommt: Stellen sich die von Trump bisher angedrohten protektionistischen Maßnahmen lediglich als Verhandlungsmasse heraus, um den Preis für wirtschaftspolitische „Deals“ möglichst hochzutreiben, wäre sein angekündigtes Konjunkturprogramm in der Lage, entscheidende Impulse für die stagnierende Weltwirtschaft geben.

Vor allem aber könnte Trumps unverstellte Rhetorik, die insbesondere diesseits des Atlantiks manch einem sauer aufstößt, durchaus heilsam sein. Denn seien wir ehrlich: Auch wenn seine Wortwahl nicht immer comme il faut sein mag – in der Sache hat der Mann häufig Recht. Denn natürlich ist die EU in keiner guten Verfassung, die Nato ist in der Tat reformbedürftig, größere Rüstungsanstrengungen der Europäer inklusive, und dass die amerikanische Nahostpolitik der letzten Jahre ein Desaster war, kann fast als Konsens gelten.

Trumps laienhafter, provozierender und rabiater Stil haben das Potenzial, die eingerosteten und unbeweglichen Institutionen des Westens durchzurütteln. Seine Respektlosigkeit, sein Mangel an Ehrfurcht und Traditionsbewusstsein, aber auch seine Sprunghaftigkeit und Flexibilität könnten die Impulsgeber sein, die so dringend benötigt werden.

Der erste postmoderne Staatschef

Wenn nicht alles täuscht, ist Donald Trump der erste wahrhaft postmoderne Staatschef. Das muss kein Nachteil sein. Denn anders als jede salbungsvolle Sonntagsrede ist seine Unkonventionalität und Undogmatik in der Lage, den Politstil alter Schule, wie wir ihn im Prinzip seit dem 19. Jahrhundert kennen, zu entlarven und aufzuzeigen, dass er den Anforderungen des 21. Jahrhunderts nicht mehr gewachsen ist.

Trump – immerhin Jahrgang 1946 und damit Vertreter der APO-Generation – könnte somit den Traum aller 68er wahr machen und eine politische Kulturrevolution auslösen, die die alten Eliten vor sich hertreibt und Institutionen infrage stellt.

Das erklärt im Übrigen auch die Wut, die dem neuen Präsidenten gerade aus dem Lager der linksliberalen Erben der 68er entgegenschlägt: Trump ist es gelungen, die elitäre Anti-Establishment-Rhetorik der Salonlinken ins Volkstümliche zu wenden und auf die Straße zu holen. Nun bringt er sie ins Weiße Haus. Damit macht man sich in den einschlägigen Kreisen der Popstars, Hollywoodgrößen und Intellektuellen natürlich keine Freunde.

Es wäre ein Witz der Geschichte, doch auszuschließen ist es nicht: Vielleicht erweist sich ausgerechnet der Immobilienentwickler Donald Trump als der dringende Anstoß, den der Westen braucht, um sich neu zu erfinden und schonungslos lieb gewordene Denkmuster infrage zu stellen.

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