Die EU im Kampf gegen die Coronakrise - Solidarität auf Pump

Zur Überwindung der Rezession hat sich die Eurogruppe auf ein riesiges Hilfspaket mit einem Volumen von einer halben Billion geeinigt. Coronabonds kommen darin zwar nicht vor, doch mit den vereinbarten „innovativen Instrumenten“ sind die Risiken längst nicht gebannt.

Flaggen der EU vor dem Komissionsgebäude in Brüssel/picture alliance
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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Es sieht beeindruckend aus, das neue Hilfspaket der Eurogruppe. Mehr als 500 Milliarden Euro wollen die Finanzminister mobilisieren, um sich gegen die wohl größte Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg zu stemmen. Den Arbeitnehmern soll ebenso geholfen werden wie kleinen Unternehmen oder klammen Staaten. „Das ist eine riesige Anstrengung“, sagte Eurogruppen-Chef Mario Centeno nach dreitägigen, quälenden Beratungen per Videokonferenz. „Das ist der wichtigste und schnellste Plan für die Wirtschaft, den die Europäische Union in ihrer Geschichte jemals verabschiedet hat“, freute sich Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire. Auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz ist erleichtert. „Heute ist ein großer Tag europäischer Solidarität und auch Stärke", sagte der SPD-Politiker. Das Drei-Säulen-Modell, das Scholz schon am Montag gemeinsam mit Außenminister Heiko Maas in Berlin gepriesen hatte, habe sich nun auch in Brüssel durchgesetzt.

Die Kommission darf Schulden machen

Die EU-Kommission, der Eurorettungsfonds ESM und die Europäische Investitionsbank EIB werden ermächtigt, eigene Hilfsprogramme aufzulegen. Die Kommission darf dafür sogar Schulden machen – aus deutscher Sicht ein Tabubruch. „Das ist ein wichtiger politischer Schritt, der vor vier Wochen noch undenkbar war“, freut sich EU-Experte Lucas Guttenberg vom Delors-Institut in Berlin. Man kann dies Sache allerdings auch anders sehen: als Alarmsignal. Kommissionschefin Ursula von der Leyen muß auf dem Höhepunkt der wohl schlimmsten Krise der EU-Geschichte eine wacklige Solidarität auf Pump improvisieren, weil die Brüsseler Gemeinschaftskasse leer ist. Das laufende EU-Budget gibt nichts mehr her, über den nächsten Finanzrahmen für 2021 bis 2027 haben sich die Staats- und Regierungschefs hoffnungslos zerstritten. Deshalb muß sich von der Leyen nun auf den Finanzmärkten Geld leihen, um ihr 100-Milliarden-Euro-Programm für Arbeitslose und Kurzarbeiter zu finanzieren.

Auch die nun beschlossene, bis zu 240 Milliarden Euro schwere Hilfe aus dem Euro-Rettungsfonds ist nur geliehen. Der ESM sammelt sein Geld an den Finanzmärkten ein und gibt es dann zu günstigen Konditionen an die Euroländer weiter – als Kredit. Wer ESM-Hilfen in Anspruch nimmt, muss sie mit Zinsen und Zinseszinsen zurückzahlen und erhöht seine eigene Schuldenlast. Für Italien dürfte dies wenig attraktiv sein – schon jetzt liegt die Schuldenquote mit 130 Prozent der Wirtschaftsleistung bedenklich hoch. Auch Spanien wird  kaum begeistert sein. Schließlich hat das Land in der Eurokrise schon einmal ein ESM-Programm in Anspruch genommen – ein neuer Antrag käme aus Sicht vieler leiderprobter Spanier einem Offenbarungseid gleich. „Italien und Spanien werden das ESM-Programm nicht nutzen“, gibt sich Maria Demertzis vom Brüsseler Thinktank Bruegel sicher. Der ESM sei nicht das richtige Instrument, um in der aktuellen Krise zu helfen. Auch Bruegel-Direktor Guntram Wolff sieht das Luxemburger Institut eher als Notnagel. Viel wichtiger sei die Europäische Zentralbank, die ein Corona-Sonderprogramm aufgelegt hat und massiv Staatsanleihen ankauft.

Einmal mehr Zeit gekauft

Dieser Meinung sind viele Ökonomen. Ganz ähnlich wie in der Eurokrise sei die EZB die einzige Institution, die in der Krise richtig funktioniere und einen effektiven Schutzschirm aufspanne, meinen die Experten. EZB-Chefin Christine Lagarde habe mit ihrem Corona-Programm einmal mehr Zeit gekauft, bis sich die Euroländer auf eigene Maßnahmen einigen und die Währungsunion im Kampf gegen das Coronavirus und seine Folgen neu aufstellen. Doch das dürfte noch eine Weile dauern, wie ein Blick in die „vierte Säule“ des Eurogruppen-Plans zeigt. Neben der EU-Kommission, dem ESM und der EIB soll ein neuartiger „Wiederaufbau-Fonds“ entstehen. Dieser „Recovery Fund“ soll aus Mitteln des – noch ausstehenden – EU-Budgets sowie mit „innovativen Instrumenten“ finanziert werden, heißt es vage im Eurogruppen-Bericht. Das letzte Wort sollen aber die Staats- und Regierungschefs haben.   

In der Praxis bedeutet dies zunächst einmal das Aus für Eurobonds oder Coronabonds, die zuletzt für viel Wirbel gesorgt hatten. Sie kommen im Plan der Eurogruppe nicht mehr vor – und dürften auch in Zukunft keine Chance haben. Kanzlerin Angela Merkel hat ihren Widerstand gegen gemeinsame Anleihen bekräftigt. Auch der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra bleibt hart: „Eurobonds sind etwas, was für mich nicht in Ordnung war, nicht in Ordnung ist und auch nie in Ordnung sein wird.“

Risiko, dass die EU explodiert

Doch welche „innovativen Instrumente“ sind dann gemeint? Wie groß soll der „Wiederaufbau-Fonds“ ausfallen, wann soll er stehen? Auf all diese Fragen liefert die Eurogruppe keine Antwort. Dabei hatte Frankreichs Finanzminister Le Maire vorgeschlagen, bis zu drei Prozent der Wirtschaftsleistung in den Wiederaufbau nach der Krise zu stecken. Das wäre dreimal so viel wie das bisherige EU-Budget, und rund sechsmal so viel wie das nun geplante Rettungspaket. Kaum vorzustellen, dass sich Merkel und Scholz darauf einlassen. Auch mit den Niederlanden und anderen fiskalpolitisch konservativen EU-Staaten lässt sich das auf absehbare Zeit nicht machen, wie der heftige Streit der letzten Tage gezeigt hat. Die gesamte europäische Konstruktion habe auf dem Spiel gestanden, sagte Le Maire nach dem tagelangen Gezerre in der Eurogruppe. Das Risiko sei groß gewesen, dass „die EU explodiert“.

Dieses Risiko ist nun wohl fürs Erste gebannt. Doch der Streit um Eurobonds, Euro-Reform und Wiederaufbau geht munter weiter. Solange er nicht gelöst ist, wird die EU mit Solidarität auf Pump leben müssen – und mit den ungeliebten Anleihe- und Stützungsprogrammen der EZB. Doch das sagt man in Berlin und Brüssel nicht so gern. Hauptsache, es geht irgendwie weiter.

 

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