Die Ampelkoalition und Polen - Politik der klaren Kante

Die möglichen Ampelkoalitionäre verstehen sich als pro-europäische Parteien, was sie in ihrem Sondierungspapier auch betonen. Damit dürfte sich auch die Politik gegenüber den EU-„Sorgenkindern Polen“ und auch Ungarn ändern. Die Zeit von Merkels Beschwichtigungspolitik wäre vorbei. Dennoch wird man nicht allein auf Konfrontation, sondern auch auf Dialog setzen.

Merkel begrüßt Polens Präsidenten Andrzej Duda bei dessen Deutschlandbesuch 2018 / dpa
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Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

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Angela Merkel und Polen, das ist ein schwieriges Thema. Als Merkel 2005 Bundeskanzlerin wurde, führten sie ihre ersten drei Antrittsbesuche neben Paris und Brüssel auch in die polnische Hauptstadt Warschau. Ein klares Zeichen an den östlichen Nachbarn, der von den Bundesregierungen zuvor nicht immer die Beachtung und Anerkennung bekam, die er sich gewünscht hat. Doch mit dem Regierungsantritt der PiS 2015 nahmen die gegenseitigen Sympathiebekundungen merklich ab. Wirtschaftlich florieren die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarländern zwar prächtig, Polen ist mittlerweile fünftwichtigster Handelspartner Deutschlands, doch politisch hat man sich entfremdet.

Dies zeigten schon die bis heute letzten deutsch-polnischen Regierungskonsultationen im Februar 2018, die eher von Missstimmung als gegenseitigem Vertrauen geprägt waren. Unübersehbar wurde die Entfremdung Mitte September bei Merkels Abschiedsreise nach Warschau. Ob die heute nur noch geschäftsführende Kanzlerin, deren Großvater Pole war, diesen überhaupt absolvieren würde, war lange unklar. Staatspräsident Andrzej Duda wiederum reiste lieber zu einer Feierlichkeit der Solidarność nach Kattowitz, als sich mit der scheidenden Bundeskanzlerin zu treffen.

Zwischen Entfremdung und Beschwichtigung

Die Gründe für diese Entfremdung sind vielfältig. Politische Entscheidungen wie das Festhalten der Bundesregierung an Nord Stream 2 auf deutscher Seite oder die seit sechs Jahren lauten antideutschen Töne, die zum festen Repertoire der polnischen Nationalkonservativen gehören, spielen ebenso eine Rolle wie auch verletzte Eitelkeiten der handelnden Politiker auf beiden Seiten der Oder. Doch die polnische Regierung kann Merkel nicht vorwerfen, im Streit um die Rechtsstaatlichkeit zwischen Brüssel und Warschau eskalierend agiert zu haben. Sogar im Gegenteil. Noch bei ihrem letzten EU-Gipfel Ende Oktober plädierte sie für einen Dialog mit Polen. „Auf der anderen Seite müssen wir Wege und Möglichkeiten finden, hier wieder zusammenzukommen. Denn eine Kaskade von Rechtsstreitigkeiten vor dem Europäischen Gerichtshof ist noch keine Lösung des Problems, wie Rechtsstaatlichkeit auch gelebt werden kann“, sagte die scheidende Bundeskanzlerin in Brüssel. Nicht anders äußerte sie sich bei ihrem Abschiedsbesuch in Warschau.

Es sind beschwichtigende Worte, die auf den ersten Blick auch bei den Partnern der zukünftigen Ampelkoalition gut ankommen müssten. Im Punkt 10 des Sondierungspapiers von SPD, Grünen und FDP, der sich unter dem Titel „Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt“ mit der Europa- und Außenpolitik beschäftigt, heißt es: „Wir wollen eine aktive Europapolitik betreiben – auch entlang einer starken deutsch-französischen Partnerschaft und in einer engen Zusammenarbeit im Weimarer Dreieck“. Eine klare Ansage, dass von dem seit 1991 existierenden deutsch-französisch-polnischem Gesprächsformat, welches in den letzten Jahren von den drei Ländern zumindest auf politischer Ebene eher stiefmütterlich behandelt wurde, zukünftig mehr Impulse für die gesamte EU ausgehen sollen.

Klare Kante beim Thema Rechtsstaatlichkeit

Doch dies bedeutet nicht, dass man bei den Ampel-Partnern Verständnis hat für Merkels seit Jahren praktizierte „Appeasement-Politik“ gegenüber Polen, aber auch Ungarn. Sogar im Gegenteil. „Ein zentraler Fehler von Merkels Europapolitik war ihre beschwichtigende Haltung gegenüber Polen und Ungarn. Die hat Orban nicht davon abgehalten, den Rechtsstaat abzubauen. Ganz im Gegenteil. Gleiches erleben wir nun in Polen“, sagt der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner, der den Koalitionsvertrag mit aushandelt, gegenüber Cicero. Nicht viel anders äußert sich auch Daniel Freund, der für die Grünen im Europaparlament sitzt. „Da muss sich was ändern. Die Beschwichtigungspolitik Merkels gegenüber Polen und Ungarn ist gescheitert“, so der Politiker.

Weniger kritisch, was die Europapolitik der bisherigen Bundesregierung angeht, äußert sich Dietmar Nietan. Was nicht verwunderlich ist. Als SPD-Abgeordneter gehörte er der Großen Koalition an. „Die bisherige Bundesregierung hat vieles richtig gemacht, nämlich einen unaufgeregten Umgang mit der Regierung in Polen gepflegt sowie Positives und Gemeinsames betont. Differenzen hat man von deutscher Seite her eher vertraulich besprochen und nicht medienwirksam aufgebauscht“, so der Sozialdemokrat, der wie Körner an den Koalitionsverhandlungen teilnimmt. „Zu einer guten Beziehung gehört natürlich auch Ehrlichkeit, deswegen müssen wir auch deutlich sagen, wo wir Probleme sehen. Die Opposition in Polen wünscht sich von der EU und auch von Deutschland eine klare Kante, was das Thema Rechtstaatlichkeit angeht“, stellt Nietan jedoch klar, der seit 2010 auch Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Deutsch-Polnischen Gesellschaften ist.

Kein Polexit

Zusammen mit dem Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer und dem FDP-Bundestagsabgeordnetem Michael Link betonte Nietan in einem nun veröffentlichten Gastbeitrag für den Berliner Tagesspiegel zwar mehr Verständnis und Dialog mit Polen. Auch bezüglich der Situation an der polnisch-belarussischen Außengrenze hoben die drei wahrscheinlichen Koalitionspartner ihre volle Solidarität mit dem östlichen Nachbar hervor. Doch was das Thema Rechtsstaatlichkeit angeht, beziehen die drei Politiker klar Position. „Es ist richtig, dass die EU-Kommission im Streit um die polnische Justizreform keine Rabatte gewährt“, heißt es in dem Text. Es ist die Unterstützung einer EU-Kommission, die bereits jetzt die Auszahlung der Coronabonds an Polen wegen der Rechtsstaatlichkeit zurückhält.

Was nicht überrascht. An den seit Wochen durch die Medien geisternden Polexit, vor dem auch der deutsche EU-Botschafter warnt, glauben die drei wahrscheinlichen Koalitionspartner zwar nicht. „Polen ist angewiesen auf die EU-Gelder. Auch die Zustimmung der polnischen Bevölkerung für die EU ist groß“, erklärt FDP-Politiker Körner. „Das wäre politischer Selbstmord, und das weiß die polnische Regierung sicherlich auch selber“, sagt wiederum Nietan. Nichtsdestoweniger sehen sie in der Politik der Nationalkonservativen und im jüngsten Urteil des von der PiS dominierten Verfassungsgerichts eine Gefahr für die Europäische Union. „Das Urteil hat die Kraft, die EU in ihren Grundfesten und in ihrer Handlungsfähigkeit zu erschüttern“, so Daniel Freund. „Was Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechte angeht, muss man jetzt handeln. Das hat Priorität“, mahnt der Grünen-Politiker.

Dialog mit Polen ist unausweichlich

Signale, dass man auch in Warschau für einen Neustart der deutsch-polnischen Beziehungen bereit ist, gab es jedenfalls. Bereits vor der Bundestagswahl traf sich der polnische Außenminister Zbigniew Rau mit den Spitzenkandidaten der drei Ampelkoalitionäre. Nach der Bundestagswahl gratulierte der polnische Chefdiplomat Olaf Scholz nicht nur telefonisch zu dessen Wahlerfolg, sondern auch über Twitter – dies auch noch auf Deutsch. Bei der bereits erwähnten antideutschen Rhetorik der Nationalkonservativen durchaus eine Geste des guten Willens.

Dass dieser Neustart gerade aber wegen dem Thema Rechtsstaatlichkeit nicht einfach sein wird, ist den zukünftigen Koalitionären bewusst. „Die Rede des polnischen Ministerpräsidenten Ende Oktober im Europaparlament ließ einen durchaus ratlos zurück“, so Freund. „Die Machtkämpfe innerhalb der nationalkonservativen Regierung werden ebenfalls eine Rolle spielen“, meint Moritz Körner und verweist dabei auf den polnischen Justizminister Zbigniew Ziobro, der sich seit Monaten einen Machtkampf mit Ministerpräsident Morawiecki liefert und zu den Hardlinern in Warschau gehört. Wie all dies in der Praxis aussieht, weiß SPD-Politiker Nietan: „Ich habe mit Amtsträgern und Abgeordneten der PiS sehr gute Gespräche gehabt. Nach anderen Gesprächen dagegen musste ich um Fassung ringen. Aber damit kann ich leben. Dialog ist ja nicht gleichzusetzen mit vollkommener Harmonie, er kann auch Auseinandersetzung beinhalten.“

Und dass an dem Dialog mit Warschau kein Weg vorbeiführt, ist den zukünftigen Koalitionären bewusst. „Natürlich ist der Dialog möglich. Er ist auch nötig. Polen ist unser Nachbar und EU-Mitgliedstaat, unsere Gesellschaften sind eng miteinander verbunden“, sagt Nietan, mit dem Wissen, dass Diplomatie auch Realpolitik und kein Wunschkonzert ist. „Die Regierung ist von einer Mehrheit der Polinnen und Polen gewählt, ob uns das gefällt oder nicht. Wie sollten wir da keinen Dialog führen? Wir werden es auch als Ampelkoalition aushalten müssen, dass um uns herum nicht alle anderen ebenfalls links, grün oder liberal sind.“

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