Deutsche Afghanistanpolitik - Mit Nebelkerzen auf teurer Mission

Der Außenminister ist aufgebrochen, um Ausreisemöglichkeiten für Tausende Menschen zu finden, die in Afghanistan festsitzen. 600 Millionen Euro hat er im Gepäck. Die Bundesregierung hat sich entschieden, die Gespräche mit den Taliban aus der Position des Bittstellers mit großem Portemonnaie zu führen. Als Ergebnis eines jahrzehntelangen Einsatzes ist das dürftig.

Heiko Maas, Außenminister von Deutschland, bei einer Pressekonferenz am 31. August 2021 in Islamabad / dpa
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Es war nicht zu erwarten, dass der Bundesminister des Auswärtigen noch vor Ablauf seiner (ersten?) Amtszeit mit einer wirklich ernsthaften Aufgabe befasst wird. Denn aus den Jahren zuvor gibt es wenig zu berichten. Die Grundlagen hierfür legte er allerdings selbst, indem das Amt drei Jahre lang, also seit die amerikanische Regierung unter Trump 2018 mit den Taliban Verhandlungen aufgenommen hatte und der Abzug ihrer Truppen absehbar war, keinen effizienten Plan ausgearbeitet und umgesetzt hat, um den Abschied Deutschlands aus dem Land vorzubereiten. Das muss unerbittliche Selbstdisziplin gefordert haben.

Später, als im Mai 2021 Frankreich mit Evakuierungen vom Hindukusch begann, fielen die beteiligten Ministerien in einen bürokratischen Zwist mit komatösen Folgen. Dieser groben Vernachlässigung des für die Afghanistanpolitik federführenden Ministeriums folgte nicht die Demission des Ministers – warum auch, haben ja alle versagt! –, sondern seine erste ernsthafte Mission.

Der Minister beschwichtigt

Nachdem Heiko Maas den Taliban nach ihrer Machtübernahme sogleich mit dem Entzug von 430 Millionen Euro deutscher Finanzhilfen drohte, entschied er sich nun, 600 Millionen Euro mit auf die Reise zu nehmen. Diese sind für die Stabilität der Region und humanitäre Maßnahmen vorgesehen, was immer sich dahinter verbergen mag. Jedenfalls scheint die Bundesregierung schon auf die Linie eingeschwenkt zu sein, die China und Pakistan – die beiden Staaten, die wirtschaftlich unter der politischen Zerrüttung und Gewalt in Afghanistan am meisten leiden würden, weil ein zentrales Projekt der Neuen Seidenstraße gefährdet wäre – vorgegeben haben: mit den Taliban reden, sie keinesfalls international isolieren. Der Minister beschwichtigt: Es gehe nicht um völkerrechtliche Anerkennung, sondern um praktische Zusammenarbeit.

Die braucht die Bundesregierung auch, weil ihr scheinbar erst in den letzten Tagen des angeblich überraschenden Abzugs eine Liste von 10.000 ehemaligen Ortskräften wieder in die Hände fiel, die man vorher möglicherweise falsch abgelegt hatte. Wenn sie denn bis dahin überhaupt existierte. Mit Angehörigen und anderen Schutzsuchenden, so wird von Maas’ Reise berichtet, warten somit 50.000 Menschen in Afghanistan auf die Zusage, nach Deutschland gebracht zu werden. Das soll über Land und Luft geschehen (wenn der Flughafen wieder funktioniert, wofür die USA mit der Türkei und Katar zusammenarbeiten).

Furcht vor islamistischen Umtrieben

Weil noch Tausende weitere Menschen Afghanistan gern in Richtung Deutschland verlassen möchten, hat diese Liste eine große Bedeutung. Die usbekischen Sicherheitsorgane scheinen schon in ihrem Besitz zu sein, denn sie sollen ja prüfen, wen sie ins Land lassen und wen nicht. Die Personen, deren Namen auf der Liste stehen, sollen die Grenze überqueren können. Andere werden abgewiesen. Denn eigentlich will Usbekistan aus Furcht vor islamistischen Umtrieben keine Flüchtlinge aus Afghanistan aufnehmen.

Ob die Taliban diese Liste schon haben, ist nicht bekannt. Aber wenn bestimmte Personen militärische Kontrollpunkte in Afghanistan passieren sollen, wird dies wohl so sein müssen. Denn die ersten Ausreisewilligen – Mitarbeiter aus Parteistiftungen – scheinen den Weg nach Pakistan zum Glück geschafft zu haben. Dieses Vorgehen würde jedenfalls ein großes Vertrauen der Bundesregierung in die neuen Machthaber voraussetzen. Ein größeres Vertrauen, als es die Betroffenen bisher selbst aufbringen.

Die letzte Nebelkerze

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Maas’ Mission teuer wird. Aus eigener Kraft kann die Bundesregierung nämlich nichts mehr bewegen. Sie ist abhängig von den Anrainerstaaten – Usbekistan, Tadschikistan und Pakistan – sowie den einflussreichen Staaten Katar und Türkei. Und ganz besonders von den Taliban selbst. Maas erklärte laut, dass er selbst mit den Taliban nicht reden werde – auch wenn dies sein Botschafter die ganze Zeit schon unternimmt.

Dabei ist die Debatte, ob mit den Taliban verhandelt werden soll, die letzte Nebelkerze, die in die andauernden Wellen des ministeriellen Misslingens geworfen wurde. Ja, was denn sonst? Es ist doch nicht die Frage, ob mit der Regierung eines anderen Landes gesprochen werden muss, wenn es die Interessenlage erfordert, sondern aus welcher Position heraus geredet wird. Die Bundesregierung hat sich nach der umfänglichen Unterlassung, die Ortskräfte zu evakuieren, entschieden, die Gespräche aus der Position des Bittstellers mit dem großen Portemonnaie zu führen.

Das ist als Ergebnis eines jahrzehntelangen Einsatzes dürftig. Aber mit Blick auf die politische Kompetenz irgendwie konsequent.

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