Covid in Großbritannien - Normalität Ende Januar

Im Vereinigten Königreich sieht es so aus, als sei Omikron bereits auf dem Rückzug. Regierungschef Boris Johnson hofft, dass sein Land die Corona-Pandemie ohne weitere Lockdowns und Kontaktbeschränkungen übersteht. Aber kann er selbst die Skandale rund um „Partygate“ überleben? 

Keine Lust auf Homeoffice: Pendler in London / dpa
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Die britische Regierung plant, die zur Eindämmung der Coronapandemie notwendig gewordenen Maßnahmen bereits Ende Januar einzumotten. „Plan B“ war erst im Dezember eingeführt worden, als die Omikron-Variante die britische Insel eroberte. Dazu gehörte eine Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und eine Impfpass-Kontrolle vor Nachtclubs.  

Schon dieses relativ lockere Anti-Covid-Regime hatte auf den konservativen Hinterbänken im Unterhaus zu einer Rebellion geführt. 99 Tories hatten gegen Boris Johnsons Pläne gestimmt. Maskenpflicht und Impfpasskontrolle gelten im libertären Flügel der konservativen Regierungspartei als Teufelswerk. Steve Baker von der „Covid Recovery Group“, in der sich die lockdownkritischen Tories versammeln, fordert den Premier auf, sämtliche Vorsichtsmaßnahmen zurückzunehmen: „Wann kehren wir endlich zu unserem alten, normalen Leben zurück?“ 

Omikron geht zurück

Ende Januar, hofft der umkämpfte Regierungschef. Denn es besteht die berechtigte Hoffnung, dass die Omikron-Welle in Großbritannien bereits zurückgeht. 142.000 tägliche Neuinfektionen waren es Anfang dieser Woche. Das ist zwar immer noch hoch. Und auch die Spitalszugänge steigen noch immer. Insgesamt sind im Vereinigten Königreich außerdem nach Angaben des „Office for National Statistics“ bereits 176.035 Briten an Covid gestorben. Dennoch, so die gute Nachricht: Derzeit gibt es um 15.000 Neuinfektionen weniger zu verzeichnen als noch vor einer Woche.  

Um die unversöhnlichen Abgeordneten am rechten Rand zu besänftigen, fokussiert der Premierminister die Strategie zur Bekämpfung der Covidpandemie außerdem auf die recht erfolgreiche Impfkampagne. 70 Prozent der Briten sind zweimal geimpft. (In Deutschland gelang das noch etwas besser. Dort sind 72 Prozent doppelt geimpft.) Die Briten haben etwas früher mit der dritten Booster-Impfung begonnen und liegen bei 35 Millionen Geimpften im Vergleich zu 36 Millionen Deutschen.  

Johnsons Glück: Die Covid-Impfung ist innerhalb der Tory-Partei nicht umstritten. Neben den wirtschaftsschädigenden Lockdowns gilt sie als die einzige Möglichkeit, die Pandemie im Zaum zu halten. 

Quod licet Iovi

Doch Johnson ist an einer anderen Front unter Druck. Schon im Dezember war Johnson wegen illegaler Partys im Lockdown in die Kritik geraten. Jetzt empören sich die Briten über ein Fest am 20. Mai 2020, das ganz klar gegen die damals geltenden Lockdown-Regeln verstieß. Der Privatsekretär des Premierministers hatte hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Downing Street zu einem Gartenfest geladen.  

„Bring deine eigene Flasche mit“, hieß es in der Einladungs-E-Mail von Johnsons Sekretär Martin Reynolds. Der Fernsehkanal ITV News hatte sie zugespielt bekommen. Etwa drei dutzend Personen nahmen teil. Darunter auch Boris Johnson und seine Frau Carrie – zumindest haben sie es bisher nicht abgestritten. 

Knapp eine Stunde vor der Party hatte ein Minister noch in einer Pressekonferenz klargestellt: „Sie können eine Person außerhalb ihres Haushaltes draußen treffen – solange Sie zwei Meter Abstand halten.“ Johnson sagte ein paar Tage später, bei Verstoß könne die Polizei einschreiten. 

Nicht nur die Opposition und die regierungskritischen Medien empören sich lautstark. Der schottische Tory-Chef Douglas Ross rief gen Süden: „Boris Johnson muss zurücktreten, wenn festgestellt wird, dass er am 20. Mai 2020 die Lockdown-Regeln gebrochen hat.“  

Downing Street versucht sich in Schadensbegrenzung

„Diese jüngste Enthüllung ist sehr ernst“, sagt Paul Goodman im Gespräch mit Cicero. Der Chefredakteur von „Conservative Home“, einer Webseite mit Insidernachrichten und Analysen mit Sympathien für die Konservativen, zeigt sich besorgt: „Zum ersten Mal kommt die Einladung zu einer illegalen Party direkt vom Premierminister-Büro. Und der Premierminister war dabei.“  

Am Dienstag versuchte sich Downing Street in Schadensbegrenzung. Bloß: Kaum jemand wollte Boris Johnson verteidigen. Die politischen Schwergewichte der Tory-Partei versteckten sich. Im BBC-Morgenfernsehen gab sich der Staatssekretär für Gesundheit, Edward Argar, zerknirscht: „Ich kann den Schmerz verstehen, den diese Berichte auslösen, vor allem bei jenen, die Nahestehende verloren haben.“ Bei einer dringlichen Anfrage im Parlament stand ein weiterer Juniorminister, Michael Ellis, praktisch allein vor den Oppositionsbänken. Nur zwei Minister saßen auf der Regierungsbank, dahinter gähnende Leere. „Sollte es Beweise für kriminelles Verhalten geben, werden diese der Polizei übergeben“, sagte Ellis.  

Dass die Polizei Boris Johnson wegen Covid-Regelbruch verhaftet, ist nicht anzunehmen. Er wird allerdings persönlich von der neuen Regierungsbauftragten Sue Gray einvernommen werden, die mit einer Untersuchung der illegalen Partys beauftragt worden ist. Johnson soll bei vier der inkriminierten Zusammenkünfte anwesend gewesen sein.  

Johnson in der Zwickmühle

Es ist aber vor allem der politische Schaden, der aus den permanenten Leaks über fröhliche Feste in Regierungskrisen während der Covid-Pandemie entstanden ist, um den sich der Regierungschef Sorgen machen muss. 

„Mein Vater ist vier Tage vor dieser Party gestorben“, sagt Hannah Brady, Sprecherin der Organisation „Covid 19 Bereaved Families for Justice“. „Kann es ein schändlicheres Beispiel dafür geben, dass die Regierenden sich andere Regeln geben als uns?“ Boris Johnson, sagt sie in einem Interview, habe ihr bei einem Treffen im September 2020 im Garten von Downing Street gesagt, er habe alles in seiner Macht Stehende getan, um ihren Vater zu schützen: „Dabei hatte er gerade dort an jenem Tag abgefeiert, als der Totenschein meines Vaters ausgestellt wurde.“

Als Drahtzieher hinter den schlechten Nachrichten gilt Johnsons ehemaliger Chefberater Dominic Cummings. Genial hatte dieser Johnsons Brexit- und Wahlkampfkampagnen geleitet und ihm stets zum Sieg verholfen. Seit man sich vor über einem Jahr entzweit hatte, zeigt Cummings dem ehemaligen Arbeitgeber seine diabolische Seite. Er jagt den strauchelnden Regierungschef mit geleakten Nachrichten vor sich her. Warum? Ein Insider glaubt das mutmaßliche Motiv zu kennen: „Rache.“ 

So beginnt das neue Jahr, wie das letzte geendet hat: Boris Johnson steckt in der Zwickmühle zwischen Partygate und dem Kampf gegen die Pandemie. Zumindest kann der 57-jährige Premierminister hoffen, dass die Wähler ihm zugutehalten, dass er mit der Impfung dafür gesorgt hat, dass die Briten mit der Pandemie zu leben lernen.  

„Covid ist immer noch da draußen. Und es ist unglaublich ansteckend“, warnte der Regierungschef am Dienstag beim Besuch einer Impfstation: „Holt euch deshalb den Booster!“  

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