Corona-Proteste in den Niederlanden - Krawall und Kaffeetrinken

Immer wieder und immer öfter eskalieren die Corona-Proteste im liberalen Holland. Mittlerweile untersuchen sogar die Vereinten Nationen die Gewalt der Amsterdamer Polizei. Aber wer sind die Demonstranten, die laut ihre Rechte einklagen? 

Bürgerprotest am 2. Januar in Amsterdam / dpa
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Rob Savelberg ist Deutschland-Korrespondent für De Telegraaf, die auflagenstärkste Zeitung der Niederlande. Er lebt seit 1998 in Berlin.

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Am Museumplein, einer grünen Wiese, wo die größten Kunstschätze des kleinen Königreichs an der Nordsee aufbewahrt werden, ist Woche für Woche das gleiche Schauspiel zu beobachten. Wütende Menschenmassen finden sich zwischen Rijksmuseum, Van-Gogh-Museum und der städtischen Kunstgalerie zusammen, um Rechtsbrüche in der Corona-Pandemie zu beklagen. 

Es sind Mütter, Väter, Hauptstadtbewohner und Zugereiste, sie alle leiden unter dem harten Lockdown. Eine gespenstische Gruppe in weißen Ganzkörperanzügen führt eine schweigende Performance auf. Andere rufen über Lautsprecher „Freiheit!“ und „Liebe!“. Ein Hauch von Revolution hängt in der Luft. Es ist die aufgeregteste Zeit seit den holländischen Hippie-Revolten der späten Sechziger und den Hausbesetzer-Krawallen in den Achtzigern.  

Trotz Schließung der Gastronomie, der Schulen und Sportanlagen haben die Niederländer pro Bürger dreimal so viele Infektionen wie Deutschland. Viele eint der alte Werbesong einer Bank: „Fünfzehn Millionen Menschen, denen schreibst du keine Gesetze.“ Das fröhliche Lied endet, als einige Mädchen lachend einen Polizisten seine Mütze wegnehmen.

Kriegsveteranen in Militärkleidung 

Fröhlich war es am Sonntag nicht, als sich viele maskenlose „Wappies“, das niederländische Pendant zu den deutschen „Querdenkern“, trotz Verbot am Museumplein versammelten. Die grüne Bürgermeisterin Femke Halsema ließ die illegale Veranstaltung räumen. Bald kam die Einsatzpolizei in Phalanx, mit Helmen, Schilden und Teleskopschlagstöcken. Tausende Bürger wurden Richtung Konzertgebäude gedrängt, wo weitere Polizisten standen.  

Selbsternannte Kriegsveteranen in Militärkleidung und mit Baretten tauchten erneut auf, wie auch die rechtsextreme Organisation „Voorpost“ mit der historischen Prinzenflagge, der orange-weiß-hellblauen Fahne der niederländischen Nationalsozialisten im Krieg. Dann schlug die Polizei zu, auf die aufgebrachten Bürger und diejenigen mit Fantasieuniformen. Ein Polizeihund biss sich im Arm eines Mannes fest, die Bilder gingen über die Welt.  

Der UN-Sondergesandte Nils Melzer forderte Opfer, Zeugen und NGO dazu auf, seiner Behörde Bilder zu schicken. „Zur Vorbereitung meines Besuchs in den Niederlanden werde ich auf Polizeigewalt fokussieren“, so der Schweizer Professor und UN-Sonderberichterstatter für Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe.  

Die Polizei ist überfordert

In den letzten Monaten war vielerorts zu sehen, dass die niederländische Polizei mit den Corona-Protesten und Plünderungen überfordert ist. In Rotterdam schossen Polizisten Randalierern, unter ihnen viele gut organisierte, gewaltbereite Hooligans, in die Beine. In Den Haag musste die Armee das Parlamentsviertel mit LKWs schützen. Einsatzpolizisten in Zivil schubsten einen Mann mit Wucht gegen ein schnell herbeifahrendes Polizeifahrzeug.  

Die Bilder und wütende Kommentare beim Messengerdienst Telegram radikalisieren eine bereits verunsicherte Gesellschaft. Fotos von Bürgern, die von Polizisten mit Hunden und Schlagstöcken schwer misshandelt werden, sind hunderttausendfach geteilt worden. In einem Land, wo viele internationale Gerichtshöfe stehen, scheinen die Bürgerrechte unter Druck zu sein, so lassen es, mit unverhohlener Schadenfreude, auch die osteuropäischen Kritiker aus den Visegrad-Staaten lautstark wissen.  

Die neue Regierung des langjährigen liberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte wird ab nächster Woche alle Register ziehen müssen, um Ruhe einkehren zu lassen. Bei seinem unermüdlicher Gesundheitsminister Hugo de Jonge ist wegen Drohungen von Corona-Protestierern bereits eine mobile Polizeistation vor der Haustür aufgebaut worden. 

Bürger und Radikale

Der Anführer der Proteste ist der schillernde Rechtspopulist Thierry Baudet. Der gewann mit einer Anti-EU-Kampagne die letzte Senatswahlen, entwickelt sich aber zum antisemitischen Holocaust-Verharmloser, der pausenlos über die Marktplätze der Nation reist. Dort leugnet der Dandy-Politiker die Pandemie, feiert rauschende Tanzpartys, organisiert verbotene Weihnachtsmärkte.  

Der Selbstdarsteller hatte seine Partei Forum voor Democratie (FVD) vorher an den Rand des Abgrunds gebracht. Faschistische Chats ließen viele Parteifunktionäre austreten. Doch mit seinen „Wappies“, die an Alternativmedizin, Außerirdische und Chemtrails glauben, hat der promovierte Historiker und Autor eine neue Wählergruppe erobert.  

Es wäre aber zu leicht, zu sagen, nur Coronaleugner besuchten die Demos. Es sind auch frustrierte Arbeitnehmer und Unternehmer, Eltern und besorgte Bürger, die die schweren Einschränkungen satt haben. „Wir sind die neuen Juden“, so ruft es aber Baudet seinen Truppen zu, die teilweise gelbe Sterne mit der Aufschrift „Ungeimpft“ tragen. Ein Gericht hat ihm Vergleiche mit dem Holocaust inzwischen verboten. 

Ein neuer rechter Rundfunksender

Aber der Aufstand gegen die Haager Elite geht weiter. Baudet redet wie sein Vorbild Donald Trump, provoziert wie die deutsche AfD, redet vom „Parteienkartell“ und der „Grachtengordel-Elite“, fliegt aber mit Privatjets und wohnt selbst im teuren Amsterdamer Stadtzentrum. Seine FVD hat im Parlament als extremistischer Außenseiter einen „Cordon sanitaire“ bekommen. 

Terrorismusbekämpfer in den Niederlanden warnen vor einer weiteren Radikalisierung. Die wird täglich von Baudet und seinen jungen Mitstreitern angeheizt: „Du wirst demnächst vor ein Tribunal gestellt“, raunen sie im Plenarsaal und auf der Straße. „2022 wird das Jahr der Wahrheit, des Widerstands, das Jahr des bürgerlichen Ungehorsams“, wurde am Sonntag von der Bühne herab, vor tausenden ekstatischen Fans, verkündet.  

Inzwischen wurde mit „Ongehoord Nederland“ ein neuer rechter öffentlich-rechtlicher Rundfunksender zugelassen. Mit Steuergeld finanziert, wird die Kampagne von Baudet und Konsorten positiv begleitet. Die Demonstranten werden sich weiter illegal versammeln. Sie selbst sprechen von „Kaffeetrinken“.  

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