Afghanistan-Einsatz beendet - Mission gescheitert

Die letzten Bundeswehrsoldaten haben Afghanistan verlassen. Es wurde höchste Zeit. Nun gilt es, die Lehren aus diesem Desaster zu ziehen. Die wichtigste lautet: keine halben Sachen mehr.

KSK-Soldaten sichern das Gelände nahe des Camps Marmal – und den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es war ein Desaster mit Ansage: Afghanistan. Allerdings ein vermeidbares. Dass man daraus lernen wird, ist unwahrscheinlich. Denn was es in Afghanistan zu lernen gab, war keineswegs neu. Man konnte es in vielen anderen, ähnlich gelagerten Kriegen auch schon lernen. Aber nicht Militärs führen Kriege, sondern Politiker. Und die verstehen selten, dass Kriege eine eigene Logik haben.

Als in Reaktion auf den 11. September 2001 die Amerikaner beschlossen, in Afghanistan zu intervenieren und Jagd auf Osama Bin Laden und seine Al-Qaida-Kämpfer zu machen, war das eine verständliche und – anders als der Krieg im Irak – sowohl militärisch als auch politische vertretbare Intervention.

Ein bunter Haufen gegen Al-Qaida

Am 7. Oktober 2001 begannen die US-Airforce ausgewählte Ziele zu bombardieren. Ab 19. Oktober wurden die ersten Spezialeinheiten abgesetzt – die sogenannten Task Force Dragger. Deren Aufgabe war nicht nur eine militärische, sondern auch eine politische: Die Bildung eines Bündnisses gegen Taliban und Al-Qaida. Dabei griff man auf die Vereinigte Front zurück, einem vor allem aus Tadschiken, Usbeken und Hazara bestehenden Bündnis, gebildet 1996 von den Milizkommandeuren Abdul Raschid Dostum und Burhānuddin Rabbāni sowie dem 2001 ermordeten Mudschaheddin-Führer Ahmad Schah Massoud. Dieser bunte Haufen mit sehr unterschiedlichen Interessen sollte die militärische Hauptlast gegen die Kämpfer von Al-Qaida tragen.

Nach blutigen Schlachten fielen am 17. Dezember schließlich die letzten Stellungen von Tora Bora – auch unter Mithilfe des deutschen KSK, wie sich Jahre später herausstellte. Osama Bin Laden war ausgeflogen, doch Al-Qaida nachhaltig geschwächt. Mission accomplished.

Als Bush einen neuen Gegner fand

In diesem Moment war eine Grundsatzentscheidung zu fällen: bleiben oder gehen. Man entschied, nicht zu gehen. Das war der erste Fehler. Dann entschied man sich, halbherzig zu bleiben. Das war Fehler Nummer zwei. Denn die Lage am Hindukusch war im Herbst 2001 fatal. Das Land war nach zehn Jahren Krieg gegen die Sowjets und weiteren zwölf Jahren Bürgerkrieg zerstört. Millionen Menschen waren in diesen 22 Jahren ums Leben gekommen. Afghanistan war auf das Niveau der ärmsten Länder Afrikas zurückgeworfen.

Gerade deshalb aber stand die Tür für einen erfolgreichen Wiederaufbau des Landes für einen kurzen historischen Augenblick sperrangelweit offen – trotz der neuerlichen Verluste unter der Zivilbevölkerung. Doch die USA wollten nicht. Zum einen, weil sie keinen wirklichen Plan hatten. Zum anderen, weil die Bündnispartner der Vereinigten Front ihre eigenen Interessen verfolgten. Vor allem aber, weil George W. Bush sein Auge auf einen ganz anderen Gegner geworfen hatte: den Irak. So nahm das Unheil seinen Lauf. In Afghanistan und im Irak.

Sie sind wieder da

Es gibt eine Handvoll militärischer Grundregeln. Eine lautet: keine halben Sachen. Doch statt die westlichen Truppen nach dem Sieg über Al-Qaida und vor dem Aufmarsch gegen den Irak vom Hindukusch abzuziehen, verblieb man dort – baute ein wenig auf, bildete ein bisschen aus, beschützte ein wenig. Nicht Fisch, nicht Fleisch. Die Anwesenheit der Bundeswehr hatte ohnehin eher bündnispolitische Gründe. Der Bündnispartner aber hatte kein Konzept und auch kein rechtes Interesse. Und so wurden in den Wochen nach dem Sieg über die Taliban die Weichen für deren Rückkehr gestellt.

Nun sind sie zurück und der Westen hat ein Problem. Was man in den westlichen Hauptstädten vermeiden möchte, sind Szenen wie am 30. April 1975 in Saigon. Doch die vergangenen Tage zeigen, dass genau ein solches Szenario drohen könnte. Die afghanische Armee – über Jahre vom Westen finanziert und ausgebildet – muss ganze Regionen kampflos räumen. Von 398 Bezirken sind laut afghanischen Medien nur noch 92 unter Regierungskontrolle. Die afghanische Regierung beginnt, Zivilisten mit Waffen auszustatten, um sich gegen die islamistischen Kämpfer zu verteidigen. Kein gutes Zeichen.

Mission gescheitert

Gestern nun wurden die letzten Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan abgezogen. Es wurde höchste Zeit. Die Mission in Afghanistan ist bitter gescheitert. Unter anderem deshalb, weil es nie eine klare Mission gegeben hat. Es ist Zeit, die Lehren daraus zu ziehen. Etwa, dass ein militärisches Einsatzziel klar und präzise definiert werden muss. Für Symbolpolitik darf hier kein Platz sein. Keine halben Sachen mehr. In Mali könnte man gleich damit beginnen, die Konsequenzen aus dieser Einsicht zu ziehen.
 

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