Bulgarien - Zerbricht die Regierung am Ukrainekrieg?

Der Krieg in der Ukraine stellt Bulgariens Regierung auf eine harte Probe. Weil er sich nicht eindeutig von Russlands Präsident Putin distanziert hat, musste Verteidigungsminister Stefan Janew zurücktreten. Sein Nachfolger kommt von der Nato. Die Stimmung kippt gegen Putin – auch in der Bevölkerung.

Farbanschlag auf das Denkmal der sowjetischen Armee: Der Rückhalt für Putin schwindet / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Frank Stier ist Korrespondent für Südosteuropa und lebt in der bulgarischen Hauptstadt Sofia.

So erreichen Sie Frank Stier:

Anzeige

Zwei Denkmäler symbolisieren in der bulgarischen Hauptstadt Sofia die ambivalente Beziehung des bulgarischen Volkes zum russischen. Das Russische Denkmal, ein schlichter Obelisk am Mazedonien-Platz, erinnert an Bulgariens Befreiung 1878 nach fast 500-jähriger osmanischer Fremdherrschaft durch eine von Russland angeführte Armee mit Soldaten vieler Länder. Am Boulevard Zar Osvoboditel (Befreierzar) ragt das monumentale Denkmal der Sowjetarmee (PSA) mit seinem stalinistischen Soldaten-, Arbeiter- und Bauern-Pathos 37 Meter in den Himmel.

Das PSA steht seit Jahren immer wieder im Fokus hitziger Kontroversen zwischen Bulgariens Russophilen und Russophoben. Die Russlandfreunde wollen es als historisches Denkmal respektiert wissen, dagegen sehen die Russlandkritiker in ihm ein Monument kommunistischer Unterdrückung in der Volksrepublik zwischen 1949 und 1989. Sie fordern seine Beseitigung auch deshalb, weil es fälschlicherweise suggeriere, die Rote Armee habe Sofia im Zweiten Weltkrieg befreit.

„Putin raus”

Nun könnte Wladimir Putins völkerrechtswidriger Angriffskrieg auf die Ukraine das umstrittene Denkmal zum Vertriebenen machen. Nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs hat der zuständige Bezirksbürgermeister angekündigt, die Prozedur zu seiner Entfernung einzuleiten. Am Sonntag verzierten es protestierende Bürger mit Aufschriften wie „Mörder“, Putin raus“ und „Ruhm der Ukraine“. Auch bemalten sie die heroischen Kämpfer des Sockelreliefs in den ukrainischen Nationalfarben Blau und Gelb.

Die meisten Bulgaren interessieren sich kaum für die ideologischen Scharmützel zwischen Russophilen und Russophoben. Im Bewusstsein der Mehrheit von ihnen wiegt die Dankbarkeit für Russlands Verdienst bei der Befreiung von den Osmanen schwerer als die leidvolle Erfahrung kommunistischer Diktatur nach Sowjet-Art. Die in die bulgarischen Wohnstuben flimmernden TV-Bilder ausgebombter Wohnhäuser in Kiew und von Flüchtingstrecks an den ukrainischen Grenzen erschüttern nun aber auch das traditionell freundschaftliche Verhältnis der Bulgaren zu Russland messbar. Hegten einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Alpha Research in Sofia im März 2020 noch 58 Prozent von ihnen Sympathien für Putin, so sind es nurmehr 32 Prozent. Die ablehnende Haltung gegen ihn stieg im gleichen Zeitraum von 20 auf 48 Prozent.

„Krieg" oder „Militäroperation”?

Am 3. März eines jeden Jahres gedenken Vertreter der russischen Botschaft in Sofia gemeinsam mit Bulgariens Staatsführung der entscheidenden Schlacht im Russisch-Türkischen Krieg am Schipka-Pass im Balkangebirge. Dies wird in diesem Jahr anders sein; schmähte Russlands Botschafterin Eleonora Mitrofanova doch die Bulgaren jüngst in wenig diplomatischen Worten als „Handlanger der Nato“. Doch mehr noch wurde die politische Führung des Balkanlandes durch irritierende Äußerungen aus den eigenen Reihen erschüttert. Verteidigungsminister Stefan Janew musste wegen seiner Übernahme von Putins euphemistischer Diktion zurücktreten.

Als am vergangenen Donnerstag russische Truppen in die Ukraine einmarschierten und Städte unter Raketenbeschuss nahmen, verurteilte Minister Janew die „militärische Intervention der Russischen Föderation in der Ukraine zwar als „absolut inakzeptabel“ und als „eklatante Verletzung des Völkerrechts“. Auch warnte der Brigadegeneral vor „katastrophalen humanitären Folgen“ und vor dem „Verlust vieler Menschenleben“. Gleichzeitig aber wies er darauf hin, Putin vermeide das Wort „Krieg“ sorgfältig. So solle man nicht vorschnell entscheiden, „…ob es sich um eine begrenzte Militäroperation oder eine Kriegssituation in der Ukraine handelt“. Premier Kiril Petkov wertete dies als eine mit der Regierung nicht abgestimmte „eigene Außenpolitik zum Krieg in der Ukraine“ und verlangte Janews Rücktritt. 

Premier verteidigt Putin

Es war bereits das zweite Mal, dass Stefan Janew mit Äußerungen für Irritationen sorgte. Wenige Tage nach seinem Amtsantritt Mitte Dezember kritisierte er via Facebook Nato-Pläne zur Stationierung zusätzlicher alliierter Streitkräfte in den Ländern an der Südostflanke des Verteidigungsbündnisses, da sie den Konflikt des Westens mit Russland um die Ukraine eskalieren zu lassen drohten.

Einige Wochen zuvor hatte bereits Staatspräsident Rumen Radew Bulgariens euroatlantische Partner verstört, als er Sanktionen gegen Russland ablehnte, da sie keine Resultate zeitigten und die EU-Länder selber schädigten. Zur Krim verlautbarte Generalmajor Radew damals, auch wenn ihre Annexion völkerrechtswidrig gewesen sei, so ändere dies nichts daran, dass die „Krim gegenwärtig russisch“ sei.

Sozialisten contra Konservative

Am Kabinettstisch von Ministerpräsident Kiril Petkov sitzen sich russlandfreundliche Sozialisten und euroatlantisch orientierte Konservative gegenüber. Naturgemäß vertreten sie zuweilen unterschiedliche Positionen zum Für und Wider von Sanktionen gegen Russland oder in der Frage militärischer oder humanitärer Unterstützung für die Ukraine. Besonders drastisch wurden die Differenzen am Montagabend, als es um die Nachfolge im Verteidigungsministerium ging.

Unter Androhung ihres Austritts aus der Koalition zwangen die Sozialisten Regierungschef Petkov zum Verzicht auf seinen Kandidaten für den Posten, den Militärexperten Todor Tagarev. Schließlich einigten sich die Koalitionäre auf Bulgariens Ständigen Vertreter bei der Nato, Dragomir Sakov. Am Dienstag bestätigte die Bulgarische Volksversammlung ihn als neuen Verteidigungsminister.

Der neue Verteidigungsminister kommt von der Nato

Über die Pläne von Minister Sakov ist noch wenig bekannt. Anzunehmen ist aber, dass er eine mit den Entscheidungen aus dem Nato-Hauptquartier in Brüssel konformer gehende Politik betreiben wird als sein Vorgänger Janew. Als die Nato vor einigen Wochen die Stationierung zusätzlicher alliierter Streitkräfte in den osteuropäischen Ländern zur Bildung schneller Reaktionsgruppen beschloss, erklärte sich Verteidigungsminister Janew zwar zur Schaffung eines zusätzlichen Bataillons für diesen Zweck bereit. Dieses werde aber ausschließlich mit bulgarischen Soldaten besetzt sein und unter bulgarischem Kommando stehen. Sein Nachfolger im Amt Dragomir Sakov könnte dies nun revidieren.

Unterdessen sorgte in Sofia die Meldung für Aufregung, Bulgarien werde der Ukraine 30 Kampfflugzeuge der Modelle MIG 29 und SU 25 zur Verfügung stellen. Über so viel flugfähiges Gerät verfügt Bulgariens schlecht ausgestattete Armee gar nicht, musste Regierungschef Petkov gestehen. Vize-Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin Kornelia Ninova bestritt überhaupt, dass die Ukraine Bulgarien offiziell um militärische Unterstützung durch Waffenlieferung gebeten habe.

Ninova, sie ist Parteivorsitzende der postkommunistischen Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP), lässt keinen Zweifel daran, dass sie lediglich zu humanitärer Hilfe an die Ukraine bereit ist, nicht aber zu militärischer Unterstützung durch die Lieferung von Waffen. Derweil hat Bulgariens Außenministerin Theodora Gentschowska am Mittwochmorgen bei Durankulak an der bulgarisch-rumänischen Grenze erste ausreisewillige Angehörige der bulgarischen Minderheit in der Ukraine in Empfang genommen. Rund 200.000 ethnische Bulgaren leben vor allem in Bessarabien und in der Region Odessa. Das bulgarische Außenministerium hat eine Stelle eingerichtet, die die Evakuierung bulgarischer Flüchtlinge koordinieren soll.

Anzeige