Coronavirus-Krise in Bulgarien - Ärztemangel, Wassermangel, Ausnahmezustand

Noch gibt es wenige Corona-Fälle in Bulgarien. Doch die Krankenhäuser sind schlecht ausgestattet, in der Stadt Pernik herrscht sogar Wassermangel. Der Rat, sich regelmäßig die Hände zu waschen, erscheint den Einwohnern wie Hohn. Wie das ärmste Land der EU mit der Corona-Krise umgeht.

Angeblich ist ein englischer Tourist für die ersten Corona-Fälle in Bulgarien verantwortlich / Frank Stier
Anzeige

Autoreninfo

Frank Stier ist Korrespondent für Südosteuropa und lebt in der bulgarischen Hauptstadt Sofia.

So erreichen Sie Frank Stier:

Anzeige

Noch Ende Januar 2020 präsentierte sich das Städtchen Bansko im bulgarischen Pirin-Gebirge als gastfreundliches Mekka des Skisports. Zigtausende Zuschauer aus aller Welt jubelten Mikaela Shiffrin zu, als sie sich die Alberto Tomba-Pista herabstürzte zu ihrem Sieg in der Weltcup-Abfahrt. Sieben Wochen später ist die Szenerie eine völlig andere, erinnert eher an den Gaza-Streifen.

Polizeikräfte haben Bansko abgeriegelt; lassen keinen raus und selbst den Brotlieferanten erst nach drei Stunden rein. Die zehntausend Banskoer und ihre wenigen verbliebenen Gäste dürfen das Haus nur noch zum Gang ins Lebensmittelgeschäft oder zur Apotheke verlassen. Als Grund für die Blockade geben die Behörden an, ein englischer Tourist habe drei Einheimische mit dem Coronavirus infiziert.

Ausnahmezustand in Bulgarien

Auf Anordnung von Ministerpräsident Boiko Borissov persönlich wurden die Angehörigen und Freunden des im Krankenhaus untergebrachten Briten unter strenger Bewachung zum Flughafen Sofia gebracht. Noch einen Tag später jagten bulgarische Passagiere sechs Engländer aus dem Flugzeug nach London, weil sie sich vor Ansteckung fürchten.

Als eines der ersten EU-Länder hat Bulgarien am Freitag, dem 13. März 2020 wegen der Corona-Pandemie den Ausnahmezustand verhängt. Seitdem sind nicht nur Bildungsreinrichtungen, sondern auch Einkaufszentren und Gaststätten geschlossen und Kultur- und Sportveranstaltungen untersagt.

Zwangsmaßnahmen werden stetig verschärft

Immerhin sind aber außer Lebensmittelläden, Apotheken, Banken und Behörden durchaus noch einige Geschäfte mit nicht-essbarem Sortiment geöffnet. Das Leben in der bulgarischen Hauptstadt Sofia hat aber um Einiges an Dynamik eingebüßt. Zum Zeitpunkt der Verhängung des nationalen Ausnahmezustands gab es zwar bereits eine an COVID-19 verstorbene ältere Person zu beklagen, mit gerade mal 31 bekannten Infektionen mit SARS-CoV-2 war die Zahl bekannter Infektionsfälle im europäischen Vergleich aber doch niedrig.

Inzwischen ist die Zahl der Todesfälle auf drei und die Zahl bekannter Infektionen auf 171 gestiegen. Mit fünfzehn Infizierten pro einer Million Bürger liegt die bekannte Infektionsrate damit bei einem Zehntel von der in Deutschland. Dennoch verschärft die Regierung und der von ihr eingerichtete Nationale Operative Kristenstab laufend die Zwangsmaßnahmen.

Die Zeit des Redens ist vorbei

Seit gestern dürfen im öffentlichen Raum nicht mehr als zwei Erwachsene beisammenstehen. Und die Verbreitung von Fehlinformationen können mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet werden. Generalstaatsanwalt Ivan Geschev geht dies nicht weit genug.

Die Zeit des Redens sei vorbei, nun müssten Taten her, meint er und fordert: „Wir müssen, so extrem sich das anhört, übergehen fast zum Kriegszustand!”. Was man sich darunter vorstellen kann, erfahren inzwischen die Roma in der zentralbulgarischen Stadt Kasanlak. Ihr Viertel haben die lokalen Behörden unter Quarantäne gelegt wie Bansko.

Armut und mangelhafte Hygiene

Es ist nicht genau bekannt, wieviele Roma in Bulgarien leben, doch das Balkanland gilt als als das europäische Land mit dem höchsten Roma-Anteil an der Gesamtbevölkerung. Viele von ihnen leben nicht nur an den Rändern der großen Städte Sofia, Plovdiv und Varna in großer Armut und oft erschreckend unhygienischen Bedingungen, sondern auch an vielen Orten der Provinz.

Für gewöhnlich interessieren sich die ethnischen Bulgaren wenig für die Probleme der Roma, dies könnte sich unter den Bedingungen des Corona-Ausnahmezustand aber ändern. Eine generelle Ausgangssperrre gibt es in Bulgarien noch nicht. Die Aufforderung „Bleiben Sie zuhause!” ist im öffentlichen Diskurs aber ebenso allgegenwärtig wie der Rat, „Waschen Sie sich zwanzig Mal am Tag die Hände jeweils zwanzig Sekunden!”.

Wasserregime in Corona-Zeiten

Er muss den einhunderttausend Bürgern der Industriestadt Pernik und Umgebung wie Hohn klingen. Sie leben seit nunmehr fünf Monaten unter den Bedingungen eines strengen Wasserregimes, weil der sie mit Trinkwasser versorgende Stausee Studena fast ausgetrocknet ist. Zwar steht eine neu errichtete Wasserleitung von der fünfundzwanzig Kilometer entfernten Hauptstadt Sofia kurz vor der Fertigstellung, wann sie den Pernikern aber endlich zusätzliches Wasser liefern kann, ist noch unklar.

Immerhin wurde den Pernikern wegen der Coronavirus-Pandemie versprochen, das Wasserregime zu lockern. Statt täglich sechs Stunden sollen sie nun zehn Stunden fließend Wasser bekommen. Allerdings klagen viele Perniker, dass selbst behördlich zugesagte Wasserrationen of nicht immer und überall ankommen. Bulgarien ist das sprichwörtlich „ärmste Land der Europäischen Union” und dem Klischee entspricht sein Gesundheitswesen.

Experten warnen vor katastophalen Zuständen

Mit rund 300 Krankenhäusern stehen den knapp sieben Millionen Bulgaren zwar ungewöhnlich viele Krankenhäuser zur Verfügung. Diese sind aber vor allem in der Provinz unterfinanziert und personell und materiell schlecht ausgestattet. Vor allem jüngere Ärzte und Krankenschwestern gehen ins Ausland, wo sie bessere Arbeitsbedingungen und höhere Einkommen vorfinden.

So ist das Durchschnittsalter des im Land verbliebenen medizinischen Personals hoch. Würde sich die Corona-Pandemie tatsächlich so verhängnisvoll entwickeln, wie viele Experten warnen, wären in Bulgariens Krankenhäusern katastrophale Zustände zu befürchten.

Kollektive Kündigung in städtischen Krankenhäusern

Auf einen Schlag quittierten am vergangenen Montag in Sofia fünfundachtzig Ärzte, Krankenschwestern und -pfleger ihren Dienst, weil ihr zweites Städtisches Krankenhaus zum künftigen Corona-Spezialkrankenhaus bestimmt wurde. „Wir verfügen weder über die zur Behandlung des schweren akuten Atemwegssyndroms ausgebildeten Spezialisten noch über Beatmungsgeräte und die sonst notwendige technische Ausrüstung”, begründeten sie ihre kollektive Kündigung.

Sofias Bürgermeisterin Jordanka Fandukova versprach ihnen darauf, ihr Krankenhaus werde erst dann zum Corona-Krankenhaus, wenn die nötige Ausstattung einschließlich Schutzkleidung, Gesichtsmasken und Handschuhen gewährleistet sei. Nicht alle bulgarischen Ärzte sehen im Coronavirus aber den Killer des bulgarischen Gesundheitswesens.

In einem Interview für die bulgarische Tageszeitung Trud kritisierte Dr. Atanas Mangerov, Chef der Kinderabeilung eines auf Infektionskrankheiten spezalisierten Krankenhauses in Sofia, die Verhängung der Quarantäne über Bansko als völlig überzogen: „Wegen einiger Fälle eine Stadt zu schließen, ist Unsinn. Dort ist niemand gestorben und es ist nichts passiert”, sagt er. Aus seiner medizinischen Erfahrung hält er es in Zeiten der Corona-Pandemie für angezeigt, dass sich „ältere Personen so weit wie möglich selbst isolieren und die anderen ihr normales Leben leben”.

Anzeige