Brexit - Die Drama-Queen

Der Brexit bringt die britische Regentin in eine immer schwierigere Lage: Elizabeth II. will sich politisch nicht einmischen, muss aber ihr Königreich zusammenhalten. Jetzt der Paukenschlag: Die Queen billigt Johnsons Vorstoß, das britische Parlament zu beurlauben

Queen Elizabeth II., die ewige Königin / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Thomas Kielinger ist seit 1998 London-Korrespondent der Welt und Ehrenoffizier des „Order of the British Empire". Er ist Autor der soeben erschienenen Biografie „Die Königin. Elisabeth I. und der Kampf um England" (C.H. Beck).

So erreichen Sie Thomas Kielinger:

Anzeige

In Großbritannien ist die Wertschätzung für die Monarchie in dem Maße gestiegen, wie das Ansehen anderer Säulen der Gesellschaft, seien es die Politik, die Kirchen, das Finanzwesen oder auch die Medien, verfallen ist. Das Königshaus erfreut sich unangefochtener Beliebtheit, die Queen steht im Zenit ihrer Ausstrahlung, der letzte Anker in einer Zeit allgemeiner Drift und Verzagtheit.

Umso größer die doppelte Gefahr, die jetzt für Elizabeth II. in der andauernden Brexit-Krise auf sie lauert: Es geht um den Zusammenhalt des Königreichs, um ihre Neutralität in politischen Dingen – eine Zurückhaltung, welche die Queen mit geradezu religiöser Inbrunst praktiziert. Sich nicht einzumischen in die Grabenkämpfe der Politik, ist das Geheimnis ihres Charismas: Sie steht über allen Parteiungen, und wo oder wenn sie auftritt, tut sie es „als Fokus für nationale Identität, Einheit und Stolz“, wie es die Website der Monarchie beschreibt.

Soll diese kostbare Neutralität im Feuer der Brexit-Kontroverse Schaden nehmen? Der Siedepunkt naht, dank der Regierung Boris Johnsons, einer Koalition aus Tories und zehn Abgeordneten der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP), die zusammen gerade noch über eine Stimme Mehrheit verfügen. Ausgerechnet in dieser prekären Lage versucht der neue Premierminister sein Steckenpferd durchzupeitschen: den Auszug aus der EU bis zum 31.Oktober, und zwar ohne Abkommen – einen No-Deal-Brexit.

Misstrauensvotum – und dann?

Der Aufstand des Parlaments dagegen ist programmiert, denn es gibt im Unterhaus für den „No Deal“ keine Mehrheit. Ergo: Die Regierung von Boris Johnson würde über einen Misstrauensantrag stürzen. Was dann? Was kommt dann auf die Königin zu?

Für die Queen geht es beim Brexit um mehr als um die künftigen Beziehungen Großbritanniens zur EU, sie muss um den Zusammenhalt des Königreichs selbst bangen. Die Schotten hatten zwei Jahre vor dem EU-Referendum ein Plebiszit über ihre Zugehörigkeit zum United Kingdom abgehalten, das zwar mit 55 zu 45 Prozent für die britische Union ausging, aber unter der Voraussetzung, dass die Insel in der EU bleiben würde: ein Wunsch, den zwei Drittel der Schotten 2016 bestätigten. Entsprechend groß ist jetzt ihr Unmut gegen die in den Brexit verliebte Zentrale in Westminster. Der Ruf nach einem zweiten Unabhängigkeitsreferendum wächst.

Eingedenk dieser Gefahren erhebt Elizabeth II. immer häufiger warnende Worte, wie ein zeitgenössisches Orakel. Schon beim Rücktritt David Camerons nach dem verlorenen EU-Referendum von 2016 äußerte sie, laut einer in der Sunday Times bekannt gewordenen Indiskretion, ihre „Enttäuschung über die politische Klasse“ und deren „Unfähigkeit zu regieren“. Am 25. Januar dieses Jahres legte sie vor einer Frauenvereinigung auf ihrem Landsitz Sandringham den Finger in die Wunde: „Während wir nach neuen Antworten in der Moderne suchen, habe ich für meinen Teil immer das alte probate Rezept befolgt: gut voneinander zu sprechen, unterschiedliche Ansichten zu respektieren, sich zusammenzufinden bei der Suche nach Gemeinsamkeiten und nie das übergreifende Bild aus den Augen zu verlieren.“

Den Brexit verhindern

Mehr als solche verschlüsselten Botschaften stehen der Monarchin nicht zu, will sie die eiserne Regel der Nichteinmischung einhalten. Den Brexit verhindern? Unmöglich, mag ihr Boris Johnson auch ein Gräuel sein. Aber schon Schiedsrichter zu spielen in einem parlamentarischen Patt, würde ihr eine peinliche politische Rolle aufbürden. Die käme aber auf sie zu, falls Johnson, wie angekündigt, nach einem verlorenen Misstrauensvotum nicht, wie üblich, zurücktreten, sondern stattdessen eine Unterhauswahl, also Neuwahlen, anberaumen würde – um bis dahin im Amt zu bleiben, also über das EU-Austrittsdatum 31.Oktober hinaus.

Das wäre ein Schlag gegen den traditionellen Usus, wonach binnen 14 Tagen nach einem verlorenen Misstrauensvotum dem Staatsoberhaupt eine Alternativregierung vorgeschlagen werden muss, mit einem von der Queen zu bestätigenden Premier. Andernfalls kämen Neuwahlen infrage – aber auf keinen Fall dürfte der gestürzte Regierungschef die Geschäfte bis dahin weiterführen, gar einen No-Deal-Brexit durchboxen. Der Finanzminister des Labour-Schattenkabinetts, John McDonnell, hat vorsorglich angemerkt, er werde nach einem erfolgreichen Misstrauensvotum gegen die Downing Street seinen Parteichef Jeremy Corbyn in den Buckingham Palast schicken, zur Approbation durch die Queen.

Dass der Altsozialist Corbyn eine Regierungsmehrheit hinter sich versammeln könnte, entspringt freilich reinster Labour-Illusion. Elizabeth II. in der Verfassungsfalle: Den Brexit kann sie nicht verhindern, aber die Verletzung ihrer Friedenspflicht der Nichteinmischung womöglich auch nicht. Was die Briten sich 2016 mit dem EU-Referendum angetan haben, wird von Woche zu Woche beängstigend deutlicher.

Thomas Kielingers soeben erschienene Biografie heißt: „Die Königin. Elisabeth I. und der Kampf um England" (C.H. Beck).

Anzeige