Britischer Außenminister Boris Johnson - Der Buhmann in Brüssel

Die EU-Außenminister schimpfen laut über ihren künftigen britischen Amtskollegen Boris Johnson. Doch die Chefs halten sich zurück – sie fürchten einen Teufelskreis beim Brexit

Journalist, Bürgermeister, Wahlkämpfer und jetzt Außenminister Großbritanniens: Boris Johnson / picture alliance
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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Als die Briten für den Brexit stimmten, da fackelte die Europäische Union nicht lange: Binnen weniger Stunden legten Jean-Claude Juncker, Donald Tusk und Martin Schulz, die Präsidenten der drei großen EU-Institutionen, eine Stellungnahme vor. Nun müsse alles ganz schnell gehen, forderten sie.

Doch seit die neue Brexit-Regierung steht, herrscht Funkstille in Brüssel. Juncker und Tusk gratulierten der britischen Premierministerin Theresa May routinemäßig zu ihrem neuen Amt. Doch zum neuen Außenminister Boris Johnson fiel den EU-Granden nichts ein. Jedenfalls nichts, das druckreif wäre.

Denn sie dürften sich schon ihren Teil gedacht haben zu dieser provozierenden Nominierung. „Patrioten gehen nicht, wenn die Lage schwierig wird“, hatte Juncker nach Johnsons Rückzug bei den britischen Tories kritisiert. Von „Ratten, die das sinkende Schiff verpassen“, sprach Liberalen-Chef Guy Verhofstadt.

Die „Ratte“ ist wieder da

Nun ist die „Ratte“ wieder da, und den meisten EU-Politikern hat es die Sprache verschlagen. „Zuerst dachte ich, es sei ein Scherz“, brachte die Fraktionschefin der Grünen, Rebecca Harms, schließlich hervor. „Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll.“ Verantwortungslosigkeit dürfe nicht belohnt werden.

Von Verantwortung spricht auch Parlamentspräsident Schulz, ein SPD-Politiker. Die neue Regierung in London dürfe nicht nur an nationale und Parteiinteressen denken, denn das schade ganz Europa. Vielmehr gehe es darum, diesen gefährlichen „Teufelskreis“ zu durchbrechen und schnell zu verhandeln.

Allerdings ist dieser Teufelskreis kaum noch aufzuhalten. Ausgerechnet Deutschland und Frankreich, die größten EU-Länder, überschlugen sich mit Einladungen an May. Kanzlerin Angela Merkel und Präsident François Hollande luden die neue britische Premierministerin ein und betonten die bilaterale Freundschaft.

Verhandlungen nur in London, Berlin und Paris

Damit ist klar, wie die Brexit-Verhandlungen laufen werden: Zwischen den „großen Drei“ in London, Berlin und Paris – und nicht allein in Brüssel, wie die EU-Chefs noch Ende Juni gefordert hatten. Zumindest informelle Sondierungen dürfte es zwischen den drei nationalen Hauptstädten geben, bevor die offiziellen Verhandlungen in der EU-Hauptstadt beginnen.

Der Buhmann Johnson dürfte dabei keine große Rolle spielen. Denn nicht er, sondern der bisher weitgehend unbekannte Tory-Politiker David Davis wird als „Mister Brexit“ den Ausstieg aus der EU managen. Davis hat nicht so eine große Klappe wie Johnson, der früher einmal als Journalist in Brüssel gearbeitet hat.

Schon damals, in den 90er Jahren, habe er sich in „EU-Bashing“ geübt, erinnern sich ehemalige Kollegen. „Das EU-Headquarter wird in die Luft gesprengt“, lautete einer seiner reißerischen Titel für den „Daily Telegraph“. Die Geschichte hatte einen wahren Kern – das Hauptgebäude der EU-Kommission war asbestverseucht und musste saniert werden. Doch gesprengt wurde gar nichts. Nur Johnsons Ruf litt unter dieser wilden Story.

Theresa May bekommt eine Schonfrist

Und das fällt nun auf May zurück, die neue Regierungschefin. Auch sie könne es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, fürchten viele in Brüssel. Sie könnte versuchen, den nun fälligen Austrittsantrag zu verschleppen und den Briten zu erzählen, sie könnten beides haben: den Brexit und den kostenlosen und ungehinderten Zugang zum EU-Binnenmarkt.

Doch noch sagt dies niemand offen. Noch genießt May eine Schonfrist. Auch deshalb konzentriert sich die Kritik nun auf Johnson. Vor allem seine künftigen Amtskollegen vom Diplomatie-Ressort ziehen kräftig vom Leder: „Er hat die Briten heftig angelogen“, sagte Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault.

Sein deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier (SPD) nannte keine Namen, sagte aber: „Nachdem verantwortungslose Politiker das Land erst in den Brexit gelockt haben, um sich dann, als die Entscheidung feststand, aus dem Staub zu machen, die Verantwortung nicht zu übernehmen, stattdessen Cricket spielen zu gehen – ich finde das, ehrlich gesagt, ungeheuerlich.“

Mal sehen, ob sich Steinmeier am kommenden Montag noch an diese harschen Worte erinnert. Dann wird Johnson nämlich zu seinem ersten Außenminister-Treffen in Brüssel erwartet. Vielleicht lässt er sich aber auch vertreten. Genauso hat er es ja auch nach dem Brexit gemacht. Die „Brexiteers“ sind nicht zu fassen –  und genau das macht sie so gefährlich für die Rest-EU.

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