Brexit - Das Brüsseler Comeback der Brexit-Zombies

Während Theresa May in Berlin und Paris um einen weiteren Aufschub für das Brexit-Datum wirbt, fürchten die Brexiteers in der Heimat, dass ihr Albtraum wahr wird und sie an den Europawahlen teilnehmen müssen. Im bizarren Gezerre um den Brexit öffnet sich eine neue Front

Audienz bei der Kanzlerin: Das Brexit-Drama nimmt kein Ende / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

So erreichen Sie Tessa Szyszkowitz:

Anzeige

Daniel Hannan ist seit 17 Jahren britischer Abgeordneter im Europäischen Parlament. Der englische Konservative war eine der lautesten Stimmen für den Brexit. „Mit dem Brexit-Referendum am 23. Juni 2016 erreichte er sein Ziel, den eigenen Job abzuschaffen“, heißt es zufrieden auf Hannans Webseite. Doch stimmt das? „Daniel wird bei den Europäischen Wahlen im Mai wieder antreten“, heißt es am Dienstag in seinem Büro in Brüssel. 

Das Brexit-Chaos treibt absurde Blüten. Die britische Premierministerin Theresa May kam am Dienstag nach Berlin, um Angela Merkel zu bitten, ihr noch eine Verlängerung des Austrittsdatums zuzugestehen. May will den Artikel 50, die Ausstiegsklausel des EU-Vertrages, nur bis zum 30. Juni verlängern. Doch sowohl Merkel als auch der ebenfalls am Dienstag umworbene Emmanuel Macron in Paris halten wenig von kleinen Verschiebungen ohne Grund. 

In der Brexit-Sackgasse 

Die Briten stecken in der Brexit-Sackgasse und brauchen mehr Zeit als ein paar Wochen, um einen klaren Plan zu fassen. Die Idee von EU-Ratspräsident Donald Tusk – eine flexible Verlängerung um ein Jahr, eine sogenannte „Flextention“ – gewinnt deshalb immer mehr Freunde in der EU. Großbritannien könnte dann innerhalb der Frist jederzeit austreten, wenn sich in Regierung und Parlament eine Mehrheit für einen konkreten Ausstiegsplan finden sollte. 

Das Absurde: Wenn sie nicht doch noch am kommenden Freitag ohne Deal aus der EU austreten, werden die Briten an den EU-Parlamentswahlen Ende Mai 2019 teilnehmen müssen. Obwohl dies für die meisten in der britischen Politelite bisher undenkbar war, sind die Vorbereitungen bereits angelaufen. Am Montag wurden die Tories per Brief aufgefordert, ihre Kandidatur für das europäische Parlament bekanntzugeben, damit bis zur Deadline am 24. April eine Liste erstellt werden kann.  

Außenseiter im EU-Parlament

Für Theresa May eröffnet sich damit eine neue Front. Denn wofür oder wogegen sollen die konservativen Kandidaten, die bisher auf Brexit eingestellt waren, bei den EU-Wahlen kämpfen? „Wenn wir gezwungen werden, noch länger zu bleiben, dann sollten wir unseren Einfluss dazu nutzen, möglichst schwierig zu sein“, tweetete Tory-Rechtsaußen Jacob Rees-Mogg kampflustig. 

Den Konservativen, die von David Cameron 2009 aus ihrer politischen Heimat in der EU, der Europäischen Volkspartei, herausgebrochen wurden, um EU-Skeptiker wie Rees-Mogg zu befrieden, fehlt es allerdings bereits jetzt an Einfluss. Sie sitzen schon marginalisiert mit der polnischen Partei PiS in der EU-skeptischen Fraktion ECR, den „Europäischen Konservativen und Reformern“. Bei den Mai-Wahlen droht den Tories ein politisches Debakel.

Zurückgekehrt, um zu gehen

Einer, dessen Wiedereinzug ins Europäische Parlament größtes Erstaunen auslösen dürfte, ist Nigel Farage. Der ehemalige Chef der EU-feindlichen United Kingdom Independence Party UKIP hält seit Juni 2016 triumphale Abschiedsreden im Plenum der ihm so verhassten Institution. Da UKIP ins rechtsnationalistische Eck abgedriftet ist, hat Farage sich im Dezember abgespalten und die Brexit-Partei gegründet. Auf deren Liste will er nun ins EU-Parlament zurückkehren. Die europäischen Wahlen werden im Vereinigten Königreich auf Parteilisten mit Verhältniswahlrecht bestritten. In der polarisierten Stimmung in Britannien stehen die Chancen der Galionsfigur der harten Brexiteers gut. 

Seine Kollegen könnten sich bei der konstituierenden Sitzung Anfang Juli wohl schwer entscheiden, ob Hohngelächter oder Trauertränen angesagt wären, wenn Nigel Farage wieder mit selbstbewusstem Grinsen seinen Platz einnehmen sollte. Wofür der Brexit-Mann sein Mandat verwenden will? „Die Brexitpartei kämpft für Vertrauen und Demokratie und dafür, das Ergebnis des EU-Referendums zu ehren“, sagt ein Sprecher. Farage selbst habe kein Interesse daran, mit ausländischen Medien zu sprechen, heißt es in seinem Büro. Unklar bleibt, wie man das Brexit-Votum noch würdigen kann, wenn weder britische Regierung noch Parlament sich auf den versprochenen Austritt einigen können. 

Auftrieb für Pro-Europäer

Was die wütenden und enttäuschten Brexit-Fans für Verrat an ihrer Sache halten, sehen die britischen Proeuropäer dagegen als Chance. Das Brexitdrama bringt nicht nur Farage auf die Palme, es hat auch die bisher größten prouropäischen Demonstrationen in der britischen Geschichte hervorgebracht. Eine Million Menschen gingen am 23. März für einen Verbleib in der EU auf die Straße. Sechs Millionen haben eine Petition unterschrieben, wonach der Brexit abgesagt werden soll. In Umfragen gibt es eine Mehrheit für den Verbleib in der EU. 

Manche britische EU-Abgeordnete freuen sich ostentativ über die unverhoffte Teilnahme an den EP-Wahlen. Labour-Abgeordneter Richard Corbett gibt bereits stolz seine Kandidatur bekannt. Der 64-jährige führt die Labour-Fraktion im Europäischen Parlament. „Ein Brexit ohne Abkommen wäre die wahre Katastrophe für uns, die Teilnahme an den EP-Wahlen ist im Vergleich dazu vielleicht unbequem, doch das sollten selbst Brexiteers in Kauf nehmen, wenn wir dafür Zeit bekommen, einen Deal auszuhandeln, der für die Mehrheit akzeptabel ist.“ 

„Theresa May, dein Brexit-Deal ist eben Mist!“

Der anstehende Wahlkampf für das Europäische Parlament droht, ein Zombieball der Brexiteere und Proeuropäer zu werden, die zur Wiederkehr gezwungen werden. Die britische Teilnahme ist bizarr, weil die Zukunft Großbritanniens in der EU völlig unklar ist. Gerade diese fortgeführte Debatte, die mit aller Härte und exzentrischen Politikergesten geführt werden wird, könnte allerdings auch dazu beitragen, die Lage der Nation zu klären. 

Sollte Theresa May am Mittwoch in Brüssel angeboten bekommen, noch bis zu einem Jahr länger mit dem Brexit zu warten, dann fürchtet man in London Unruhen. Die Wut der Brexiteers könnte sich wie schon am abgesagten Brexit-Tag, dem 29. März, in Schlägereien mit der Polizei entladen. Richard Corbett sieht auch das gelassen. Er stellt sich schon ganz in Wahlkampfstimmung vor das Parlament in Westminster zu den proeuropäischen Demonstranten und singt aus vollem Hals im Chor mit: „Theresa May, dein Brexit-Deal ist eben Mist!“

Anzeige