Biden, Merkel und Macron auf der Sicherheitskonferenz - „Amerika ist zurück!“

Der neue US-Präsident, die Bundeskanzlerin und Frankreichs Staatschef machen bei der Sicherheitskonferenz in München deutlich: Europa und Amerika sind wieder Partner, und die Nato ist noch längst nicht tot. Es war ein überfälliges Bekenntnis – mit klaren Ansagen gegenüber China und Russland. Beginnt jetzt ein neues Kapitel?

Joe Biden am Freitag während seines Auftritts für die Münchener Sicherheitskonferenz / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Das war zwar „nur“ eine virtuelle Sonderausgabe der Münchener Sicherheitskonferenz (MSC). Aber was dieses Jahr auf den Bildschirmen im Tagungszentrum dieses transatlantischen Klassentreffens zu sehen und zu hören war, dürfte von historischem Format gewesen sein. Denn es ging den nacheinander auftretenden Staats- und Regierungschefs der Vereinigten Staaten, Deutschlands und Frankreichs um nicht mehr und nicht weniger als eine Neugründung des „Westens“ nach der Ära Trump sowie vor dem Hintergrund einer andauernden Corona-Pandemie – und nicht zuletzt angesichts eines sich ausweitenden Konflikts mit China und Russland.

Mag sein, dass an diesem Freitag in München von Joe Biden, Angela Merkel und Emmanuel Macron nur folgenlose Reden gehalten wurden. Doch wer ihre Auftritte verfolgt hat, wer ihre Worte hat nachklingen lassen, kommt um den Eindruck kaum umhin: Da ging es diesmal ums Ganze. Um nicht mehr und nicht weniger als um ein Aufbegehren der transatlantischen Partner gegen die Herausforderungen dieser Zeit – seien sie wirtschaftlicher, strategischer, militärischer oder systemischer Natur. Man hat offenbar, nachdem Donald Trump vier Jahre lang eine irrlichternde Außenpolitik betrieben und so insbesondere China und Russland darin bestärkt hat, die Schwächen der USA und Europas auszunutzen, endlich zu neuem Selbstvertrauen, zu einem neuen Kampfeswillen zurückgefunden.

Demokratie ist kein Auslaufmodell

Das war auch höchste Zeit, und jetzt muss sich beweisen, dass es sich nicht nur um Floskeln gehandelt hat, wenn etwa Biden sein Statement auf der MSC mit der Feststellung einleitete, „Amerika ist zurück, das transatlantische Bündnis ist zurück!“ Wobei beides zusammen die „starke Grundlage unserer gemeinsamen Sicherheit“ bilde. Die Vereinigten Staaten seien zu einhundert Prozent für die Nato engagiert und stünden auch unverbrüchlich zu Artikel 5 des Nato-Vertrags, wonach ein bewaffneter Angriff gegen einen Nato-Partner als Angriff gegen alle andern angesehen werden wird. Genau dieser Kernbestand des Verteidigungspakts war von Trump einst ausdrücklich in Zweifel gezogen worden.

Biden sprach davon, nicht vorschnell das Engagement in Afghanistan zu beenden und vor allem auch den Abzug amerikanischer Truppen aus Deutschland zu widerrufen. Die USA müssten sich erneuern, um ihren Gegnern wieder aus einer Position der Stärke heraus zu begegnen, dabei setze man auch auf die europäischen Partner. „Wir befinden uns an einer Wegscheide“, sagte Biden, die westlichen Demokratien seien jetzt in der Pflicht zu beweisen, dass ihre politischen Modelle und ihre Werte keine Auslaufmodelle seien. 

Insbesondere der diesbezügliche Wettbewerb mit China werde sich als „intensiv“ erweisen; aber auch gegenüber Russland stellte der neue US-Präsident eine klarere Position als bisher in Aussicht. Russlands Präsident Putin trachte danach, westliche Regierungen unter anderem durch Cyber-Angriffe zu schwächen. Im selben Atemzug erklärte Biden seine Unterstützung für eine Souveränität der Ukraine und kündigte an, sich jenen entgegenzustellen, die Monopole und Unterdrückung beförderten. „Wir können das Rennen um die Zukunft gewinnen, aber nur mit bewährten Partnerschaften, mit Innovation, Verteilungsgerechtigkeit und Regelbasiertheit.“ 

Selbstbewusstsein statt Abgesang

Auch die Corona-Pandemie lasse sich nur wirksam in einer globalen Vorgehensweise bekämpfen; nicht zuletzt müsse dem Klimawandel als einer „existentiellen Bedrohung“ mit aller Kraft entgegengewirkt werden. Die wohl stärksten Worte setze Biden am Schluss seiner Ansprache: Man könne es sich nicht erlauben, so der amerikanische Präsident, sich seine eigene Zukunft durch mangelndes Selbstvertrauen zu verbauen. Damit traf er einen Punkt, der tatsächlich von zentraler Bedeutung ist: Das auch von der Politik immer wieder gesungene Lied vom Abstieg des Westens als womöglich selbsterfüllende Prophezeiung.

Während Biden sein selbstbewusstes Statement stehend am Pult absolvierte, tat die Bundeskanzlerin das sitzend – was entsprechend weniger dynamisch wirkte und auch nicht von der Art ihres Vortrags kompensiert wurde. Jedenfalls kündigte auch die Bundeskanzlerin an, jetzt die Kräfte neu zu bündeln – die Zeichen für Multilateralismus stünden besser als noch vor zwei Jahren. Das Bekenntnis Bidens zu einer Wiederaufnahme internationaler Verpflichtungen – von der Weltgesundheitsorganisation über „New Start“ bis hin zum Pariser Klimaschutzabkommen – sei ernst gemeint. Und erfordere deshalb auch konkrete Anstrengungen auf deutscher Seite. 

Merkel nannte das Zwei-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben, zu dem sie weiterhin stehe (auch, wenn man erst die 1,5-Prozent-Marke erreicht habe). Die Kanzlerin bekannte sich auch zu einer europäischen Verteidigungspolitik in Ergänzung zur Nato, wohl wissend, dass auch mit Biden die Zeiten vorbei sind, als man die Probleme vor der eigenen Haustür den Amerikanern überlassen konnte: Libyen, Afghanistan, Syrien, ja ganz Afrika, das alles seien Regionen von strategischer Bedeutung für Europa. Anders gesagt: Wenn die Europäer sich nicht selbst darum kümmern, tut es keiner (außer eben China, Russland oder die Türkei).

Klare Kante gegenüber Putin

Mit Blick auf Russland klang Merkel alles andere als zuversichtlich; in der Ukraine-Frage etwa seien keine Fortschritte erkennbar. Es brauche deswegen eine „transatlantische Russland-Agenda“ und eben nicht nur Kooperation. Auch eine gemeinsame Agenda gegen China sei vonnöten, um diesem Land, das „an globaler Schlagkraft gewonnen“ habe, etwas entgegensetzen zu können. Dass China derzeit insbesondere die Corona-Pandemie nutzt, um auch in Europa seinen Einfluss auszubauen, ist kein Geheimnis. Merkel formulierte das ex negativo so: „Wir wollen überzeugen anstatt andere Länder in Abhängigkeit zu bringen.“

Emmanuel Macron schließlich, als Dritter in der Reihe, stimmte in das Hohelied auf den neuen Multilateralismus mit ein. Dieser sei allerdings kein Selbstzweck, sondern müsse sich als effektiv und nützlich erweisen. Gleich zweimal betonte Frankreichs Staatspräsident diese Anforderung – offenbar in der klaren Erkenntnis, dass Multilateralismus keineswegs von allen Bürgern als etwas Positives wahrgenommen wird. Da hat wohl jemand seine Lektion von Trump gelernt.

Im Gegensatz zu Merkel sprach sich Macron ausdrücklich für einen „Dialog mit Russland“ aus, stimmte mit der Bundeskanzlerin jedoch darin überein, dass Europa sich künftig mehr um seine eigene Sicherheit kümmern müsse. Stichwort: Syrien, Libyen, Afrika. Immerhin, so Macron, habe Frankreich das Zwei-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben bereits erreicht. Es gehe aber auch um den Erhalt der „Freiheit der Souveränität im Cyberraum“, sagte Frankreichs Präsident und erwähnte in dem Zusammenhang das Land Australien. Dort hat man sich bekanntlich gerade mit dem Tech-Giganten Facebook angelegt, und Macron klang nicht so, als wolle er seinerseits einer ähnlichen Auseinandersetzung aus dem Weg gehen.

Kurzum: Die zwei wichtigsten Führungsfiguren der EU und der amerikanische Präsident haben bei der Sicherheitskonferenz klar Flagge gezeigt. Und zwar gemeinsam, mit gemeinsamen Zielen. Jetzt fehlt nur noch die Umsetzung.

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