Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu - Genie auf Abruf

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat durch den Friedensschluss mit Bahrain, den Emiraten und Sudan eine Glanzleistung vollbracht – und steht dennoch in der Kritik.

Netanjahu: Wie lange noch in einer anderen Liga? / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Mareike Enghusen berichtet als freie Journalistin über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Nahen Osten, vornehmlich aus Israel, Jordanien und den Palästinensergebieten. Sie hat Politik- und Nahostwissenschaften studiert und ihre journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule absolviert.

So erreichen Sie Mareike Enghusen:

Anzeige

Für Benjamin Netanjahu war es nicht nur ein persönlicher Sieg, sondern auch der Triumph eines Weltbilds. „Ich sage den arabischen und muslimischen Staatsführern: Frieden mit Israel lohnt sich für euch, weil Israel stark ist“, rief Israels Ministerpräsident nach der Verkündung des Friedensschlusses mit den Vereinigten Arabischen Emiraten. Als wollten sie ihm recht geben, folgten nur Wochen später Bahrain und Sudan. Deutlich schwang in Netanjahus Worten die Lehre des frühen Zionisten Zeev Jabotinsky mit, der er seit jungen Jahren anhängt: Erst, wenn die Araber begreifen, dass sie Israel militärisch nicht besiegen können, werden sie bereit sein, Frieden zu schließen. Ein scharfer Widerspruch zum Mantra der israelischen und europäischen Linken, der einzige Weg zum Frieden zwischen Israelis und Arabern führe über einen palästinensischen Staat.

Die Aussöhnung mit der arabischen Welt ist ein Projekt, das Netanjahu seit langem vorantreibt, nicht als Erster, aber mit besonderer Verve und Willen. Dass er die drei Friedensschlüsse als historische Errungenschaften feiert, mag innenpolitischem Kalkül folgen, ist deshalb aber nicht unberechtigt. In der Tat tragen sie enorme Symbolkraft. Die drei „Neins“ – Nein zu Frieden mit Israel, Nein zu Verhandlungen, Nein zu Anerkennung –, einst von der Arabischen Liga ausgerechnet im Sudan verkündet, gelten nicht mehr. Der palästinensische Kampf um einen eigenen Staat dient nicht mehr als propagandistischer Kitt, der die arabische Welt zumindest rhetorisch zusammenhält. Dass es Netanjahu und US-Präsident Donald Trump waren, die die Abkommen besiegelten, mag deren zahlreichen Kritikern nicht schmecken, ändert aber nichts an dem historischen Gewicht der Ereignisse.

Was am Nimbus kratzt

Doch trotz der diplomatischen Trophäen steht Netanjahu daheim unter Druck. Gewiss, seine Anhänger feiern ihn wie üblich als politisches Genie. Viele andere Israelis aber, die mit den gesundheitlichen, ökonomischen oder sozialen Folgen der Covid-19-Pandemie kämpfen, lassen sich von der Aussicht auf Direktflüge nach Dubai nicht begeistern. Nach einer anfangs entschiedenen Reaktion auf das Virus blamierte sich Netanjahus Regierung mit chaotischer Planung und widersprüchlichen Entscheidungen, während die Infektionszahlen in dramatische Höhen stiegen. Ein zweiter Lockdown im Herbst, von Netanjahu entgegen den Empfehlungen zahlreicher Experten durchgesetzt, verschärfte die ökonomische Misere in einem Land, dessen soziales Sicherheitsnetz weit loser geknüpft ist als etwa das deutsche. Viele Israelis machen den Premier persönlich für die Lage verantwortlich: Weniger als ein Drittel äußert in Umfragen noch Vertrauen in sein Pandemiemanagement.

Dazu kommen die Korruptionsvorwürfe, deretwegen sich Netanjahu vor Gericht verantworten muss. Zwar dürfte sich der Prozess noch Jahre hinziehen, doch die Fotos von ihm im kargen Saal des Jerusalemer Bezirksgerichts kratzen am Nimbus des stilbewussten Premiers, der schon früh in seiner Karriere die Kunst der medialen Selbstdarstellung perfektionierte.

Aus all diesen Gründen sind es nicht nur eingefleischte Linke, die seit Monaten jedes Wochenende zu Tausenden vor dem Sitz des Ministerpräsidenten sowie in der feinen Küstenstadt Caesarea vor seiner Privatresidenz nach seinem Rücktritt rufen. Und auch, wenn Netanjahu vorgibt, die Proteste nicht ernst zu nehmen, so sollen sie ihm in Wahrheit gehörig auf die Nerven gehen – ihm und seiner Frau Sarah, der ein übergroßer Einfluss auf ihn zugeschrieben wird. Der Versuch seiner Likud-Partei, die Proteste im Rahmen der Corona-Maßnahmen zu verbieten, spricht für sich.

Gemeinsamkeiten mit Trump

Netanjahu, der in Israel mit einiger Berechtigung als größtes politisches Talent seiner Generation gilt, steht innenpolitisch unter Druck wie lange nicht. Einer jüngeren Umfrage zufolge wünschen sich über die Hälfte der Wahlberechtigten seinen Rückzug aus der Politik. Seine Likud-Partei ist seit Beginn der Corona-Krise in den Umfragen um mehrere Mandate abgesackt, während ihr die rechte Yemina-Partei gefährlich nahekommt. Manche Analysten haben deren Vorsitzenden Naftali Bennett, einen smarten Hightechunternehmer, bereits zum Premierministerkandidaten erkoren.

Doch der Krise fehlt die Wucht, Netanjahu zu stürzen. Die Proteste mögen in Größe und Ausdauer beeindrucken, aber ihre Wirkung beschränkt sich auf Symbolik. Eine Revolte im eigenen Lager ist ebenfalls nicht zu erwarten: Netanjahu hat parteiinterne Rivalen stets rechtzeitig abgedrängt. „Netanjahu – eine andere Liga“ stand im vergangenen Wahlkampf auf den Likud-Plakaten unter einem Bild von ihm und Trump. Es ist ein Slogan, den seine treuesten Anhänger aus ganzem Herzen vertreten – und von ihnen gibt es immer noch genug.

Die Parallelen, die zwischen Netanjahu und Trump gezogen werden, sind oft überzogen. Zwar nutzen beide intensiv soziale Medien, lieben grandiose Inszenierungen und scheuen nicht vor demagogischer Rhetorik zurück. Doch Netanjahu ist, anders als Trump, hochintelligent, vielseitig gebildet und verfolgt eine konsistente Ideologie. Was die beiden tatsächlich gemeinsam haben, ist die unerschütterliche Treue ihrer Anhänger: Kein Skandal, kein Fehltritt scheint daran etwas ändern zu können. In der Korruptionsanklage gegen Netanjahu sehen seine Unterstützer nichts als eine Verschwörung aus Justiz und Medien, Ränkespiele einer verbitterten linken Elite, die den Kampf um die Meinungshoheit im Land seit langem verloren hat.

Wird es mit Biden wieder angespannter?

Die meisten seiner jüngsten diplomatischen Erfolge hat Netanjahu Trump zu verdanken, der ihm und seiner Wählerbasis eine Reihe lang gehegter Wünsche erfüllte: neben dem dreifachen Friedensschluss die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem, den Ausstieg der Vereinigten Staaten aus dem Atomabkommen mit dem Iran, die Anerkennung der Golanhöhen als israelisches Staatsgebiet, den einmalig israelfreundlichen Plan für Frieden mit den Palästinensern. 

Viele Analysten vermuten, dass Joe Biden als neuer US-Präsident Netanjahu zum Nachteil gereichen wird, schließlich war dessen Beziehung zu Präsident Barack Obama, dem Biden als Vize diente, legendär angespannt: Netanjahu trat vor dem US-Kongress auf, um Obamas Atomverhandlungen mit dem Iran zu attackieren, und belehrte den Präsidenten vor laufender Kamera, was dieser für einen unverzeihlichen Affront gehalten haben soll.

Allerdings gilt Netanjahus Verhältnis zu Biden als entspannter. Gewiss wird ein US-Präsident Biden seine Israelpolitik wieder näher an die konventionellen Koordinaten rücken, sich etwa für Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern einsetzen. Doch mehr als Ermahnungen, die umstrittene Siedlungspolitik in den Palästinensergebieten zu ändern, dürfte Netanjahu kaum zu befürchten haben.

Innenpolitisch ist Netanjahu erstmal sicher

Wahrscheinlich wird Biden, anders als Trump, kein grünes Licht für die Annexion von Siedlungen im Westjordanland geben, die Netanjahu im letzten Wahlkampf seiner rechten Basis versprach. Doch das könnte ihm sogar in die Hände spielen. Denn eine Annexion würde die Annäherung an weitere arabische Staaten erschweren und die jüngsten Friedensabkommen gefährden. So könnte ein weniger zugewandter US-Präsident Netanjahu eine bequeme Ausrede gegenüber annexionswilligen Siedlern liefern und zugleich die Chance bieten, erneut als furchtloser Beschützer israelischer Interessen auf der Weltbühne zu glänzen.

Trotz der innenpolitischen Krise droht seiner Macht auf absehbare Zeit keine Gefahr. Naftali Bennett mag von rechts erstarken, doch für eine Front gegen Netanjahu und den Likud reicht es nicht. Israels Linke wiederum hat schon lange keine Mehrheit mehr. Die stolze Arbeitspartei, die das Land in den ersten Jahrzehnten dominierte, droht bei den nächsten Wahlen an der 3,25-Prozent-Hürde zu scheitern. 

Das liegt zum einen an demografischen Trends: Seit Jahrzehnten wachsen die rechtsgerichteten und religiösen Bevölkerungsgruppen weit schneller als die Säkularen, die politisch eher nach links tendieren. Zudem hat die Friedensvision der Linken, die mit den Oslo-­Abkommen zur Einleitung eines israelisch-palästinensischen Friedensprozesses Anfang der Neunziger ihren Höhepunkt erreichte, ihre Strahlkraft verloren: Die zweite Intifada mit ihren Selbstmordattentaten sowie jahrelange ergebnislose Verhandlungsrunden haben die Hoffnung vieler Israelis auf einen Frieden mit den Palästinensern enttäuscht.

Eine neue Ära im Nahen Osten

Gerade jährte sich die Ermordung des ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin, der die Oslo-­Verträge unterschrieb, zum 25. Mal. Netanjahu, damals Oppositionsführer, gehörte zu denjenigen, die von Anfang an gegen Oslo stritten. „Gebt ihnen keine Waffen“, lautete der Slogan der Rechten, frei nach einem alten israelischen Lied. 

25 Jahre später nimmt Netanjahu in Kauf, dass die USA den Vereinigten Arabischen Emiraten nach deren Friedensschluss mit Israel nun F-35-Kampfjets verkaufen wollen. „Eine neue Ära“ im Nahen Osten sei angebrochen, sagte er kürzlich. Zumindest darin dürften ihm alle zustimmen, seine Freunde wie seine Feinde. Und er selbst hat einigen Anteil daran, dass sie beginnt.

Diesen Text finden Sie in der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

Jetzt Ausgabe kaufen

 

 

Anzeige