Proteste in Belarus - Putin scheint die Gefahr zu spüren

Bei den Protesten in Belarus ist die EU politisch praktisch chancenlos. Nun ist Alexander Lukaschenko zu Wladimir Putin gefahren – und mit praktisch leeren Händen zurückgekommen. Warum das eine gute Nachricht für die Protestbewegung ist.

„Wieviel Blut braucht es noch?“ Ein Demonstrant hält in Minsk ein Plakat mit Lukaschenkos Konterfei hoch / picture alliance
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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1,5 Milliarden US-Dollar, so viel ist Alexander Lukaschenko dem russischen Präsidenten Wladimir Putin noch wert. Ist das viel? Nein, ist es nicht. Die Kreditzusage nach dem Treffen von Putin und Lukaschenko ist das Mindeste, was Moskau für den Diktator des Nachbarlandes tun kann, das bis dato der engste Verbündete Russlands ist, ein Land, mit dem auf dem Papier sogar eine Staatenunion besteht.

Aber wer am Montag die Bilder aus Sotschi gesehen hat, auf denen Lukaschenko wie ein bettelndes Kind auf Putin einredete, während dieser mit einem Gesichtsausdruck lauschte, der genervte Abwesenheit signalisierte, der muss verstehen: Der Kreml hängt nicht am belarussischen Langzeitherrscher.

Lukaschenkos Pendelkurs zwischen Brüssel und Moskau

Jahrelang hatte Lukaschenko das immer gleiche Spiel gespielt: In Richtung Brüssel lächeln und ein paar Gefangene freilassen, um wirtschaftliche und politische Räume zu eröffnen, dann wieder nach Moskau eilen, um die unverbrüchliche Blutsbrüderschaft der Belarussen und Russen zu untermauern – aber auch hier immer verbunden mit der Bitte um finanzielle Hilfen, meist in Form verbilligter Rohstoffe. Moskau hat diese Bettelei satt.

Hat Moskau aber einen Plan B? Noch im Frühsommer war der zu erkennen: Mit Wiktor Babariko ging ein Kandidat mit guten Aussichten ins Rennen, der zwanzig Jahre lang die Belgazprombank geleitet hatte, an der der russische Staatskonzern Gazprom die Mehrheit hält. Babariko gab sich europäisch, modern, offen für moderne Kunst und Musik, aber eine Abwendung von Moskau stand in seinen Äußerungen nie zur Debatte. Das belarussische Staatsfernsehen machte ihn gar zum Agenten Moskaus, wofür es jedoch keine Belege gibt. Aber Lukaschenko ließ Babariko im Juni ins Gefängnis werfen und verbaute damit seinen zivilisierten Abgang. Seit einer Woche sitzt nun auch Maria Kolesnikowa, Babarikos ehemalige Wahlkampfleiterin, im Gefängnis. Sie wird verdächtigt, eine Machtergreifung geplant zu haben.

Der EU fehlen die Hebel

Ja, Putin gratulierte Lukaschenko am Tag nach der Wahl zum Sieg, aber alles andere wäre ein offener Affront gegen ihn gewesen. Seitdem hält er sich weitgehend bedeckt. Gestern in Sotschi war es Putin, der Lukaschenko zum Dialog mit seinem Volk aufforderte – der Diktator selbst sprach nicht davon. Putin wies darauf hin, dass sich keine äußeren Kräfte in die belarussischen Angelegenheiten einmischen sollten, was natürlich zynisch ist. Er hatte zuvor öffentlich erklärt, dass Russland seinen Verpflichtungen im Rahmen der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit nachkommen werde. Letztere ist eine Nato-artige Organisation, bestehend aus mehreren postsowjetischen Ländern, die von Russland aufgrund seiner Größe dominiert wird.

Putin signalisiert Europa: Haltet Euch raus! Aber der EU sind die Hände ohnehin gebunden. Selbst die Sanktionen gegen Lukaschenkos Umfeld konnten noch nicht umgesetzt werden, weil Zypern sich bislang sperrt. Die Zyprioten wollen im Gegenzug EU-Sanktionen gegen die Türkei erzwingen. So bleibt vorerst nur das demonstrative Abwenden von Lukaschenko: Kein EU-Land erkennt ihn nach den jüngsten Wahlen als legitimen Präsidenten an.

Wie lange stützt Moskau Lukaschenko?

Putin scheint die Gefahr zu spüren, dass ihm die Situation in Belarus ähnlich entgleiten könnte wie 2013/2014 in der Ukraine: Dort stützte Moskau seinen Kandidaten Wiktor Janukowitsch bis zum bitteren Ende – und verlor am Ende ein ganzes Land, das vorher zumindest bedingt zu Moskaus Einflusssphäre gehört hatte. Rückblickend war das Vorgehen Moskaus in der Ukraine ein einziges Fiasko.

Für die Menschen in Belarus ist das eine halbwegs gute Nachricht. Sie stehen zwar immer noch einem Präsidenten und einem Machtapparat gegenüber, der jeden Dialog ablehnt, der stattdessen fast alle Mitglieder des Koordinationsrates der Opposition ins Gefängnis geworfen hat, der seinem Volk mit der Kalaschnikow in der Hand entgegentritt. Aber seit dem gestrigen Tag wissen sie immerhin, dass Putin Lukaschenko nach 26 Jahren an der Macht für entbehrlich hält.

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