Auswärtiges Amt - Wenn die Welt nicht mehr zum Weltbild passt

Trump, Brexit, Flüchtlingswelle – das Auswärtige Amt wurde von allen politischen Entwicklungen der jüngsten Zeit überrascht. Viele Beamte scheinen den Kontakt zur Wirklichkeit verloren zu haben

Frank-Walter Steinmeier und das Auswärtige Amt haben so gut wie jede außenpolitische Entwicklung verschlafen / picture alliance
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Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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In einer Welt mit immer neuen Konflikten ist Voraussicht Gold wert. Wer weiß, in welcher Region sie eskalieren, in welchem Politikbereich sich Interessengegensätze verhärten oder aufweichen, welche Regierung in Schwierigkeiten gerät und wo sich neue außenwirtschaftliche Chancen eröffnen, ist unverkennbar im Vorteil. An der Einschätzung politischer Entwicklungen sind Unternehmen und Staaten gleichermaßen interessiert. Wenn sie klug sind, investieren sie deshalb in diese Voraussicht. Was nicht heißt, dass sie nicht ab und an von Ereignissen überrascht werden.

Eigentlich jede Entwicklung verschlafen

Das Auswärtige Amt sei, so sagt der Leiter des Planungsstabes, Thomas Bagger, dreimal von wichtigen Entwicklungen überrascht worden. „Von Russland auf der Krim und in der Ost-Ukraine, von Ebola und dann vom Islamischen Staat, den niemand auf dem Schirm hatte.“ Die Antwort auf die Frage „Was tun wir eigentlich dagegen?“ sei dann gewesen, ein Referat für Frühwarnung und Szenarioplanung einzurichten.

Diese Aufzählung ist allerdings schmeichelhaft. Denn auch vom Arabischen Frühling, dem militärischen Eingreifen in Libyen, der Flüchtlingswelle, der militärischen Intervention Russlands und der Türkei in Syrien und den staatsstreichartigen Reaktionen auf den Putsch in der Türkei ist das Auswärtige Amt überrascht worden. Also in der jüngsten Zeit eigentlich immer.

Kein Austausch von Informationen

Denn es geht noch weiter. Auch von der Wahl Donald Trumps zum amerikanischen Präsidenten wurde man überrumpelt. Hätten seine Berater Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ansonsten den republikanischen Kandidaten einen „Hassprediger“ nennen lassen, der einen „Brandsatz“ an die amerikanische Gesellschaft legt? Das ist eine Sprache, die sonst im Zusammenhang mit Terrorismus genutzt wird. Auch der Brexit, die wichtigste Entwicklung für die Europäische Union in diesem Jahrzehnt, kam für das Auswärtige Amt überraschend.

Gerade das letzte Beispiel zeigt, dass innerhalb der EU wenig Wert auf den Austausch von Informationen gelegt wird. Auch wenn nun die außen- und sicherheitspolitische Integration verstärkt werden soll, so ist der Brexit selbst ein Beleg dafür, dass es nicht gelingt, Wissen zu teilen. Oder waren alle wirklich so unwissend? Auch das Heraufziehen des Arabischen Frühlings wurde beispielsweise von der französischen Diplomatie nicht so verstanden, dass man davon hätte profitieren können. Und im Vorfeld des Krieges gegen Libyen hatten Frankreich, Großbritannien und Deutschland sogar konträre Interessen. Das ist keine gute Grundlage, um sensible Informationen zu teilen.

An der Fachkompetenz kann es nicht liegen

Sicherlich kann nicht erwartet werden, dass Entwicklungen im feinen Raster vorhergesehen werden können. Dafür sind die Verhältnisse zu komplex. Zu viele unterschiedliche Interessen von Staaten und Unternehmen spielen eine Rolle, als dass eine Konfliktrichtung sicher zu prognostizieren wäre. Politische Stabilität entpuppt sich immer häufiger als Illusion. Die Voraussicht wird da zum wichtigen Instrument der Diplomatie, um Handlungsspielräume zu eröffnen.

Warum das nicht genutzt wird, hat verschiedene Gründe. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass dort kluge, gut ausgebildete und erfahrene Fachleute zusammenarbeiten, dass sie über ein enormes Fachwissen verfügen und mehrere Regionen der Welt intensiv kennengelernt haben. An der Kompetenz der Beteiligten kann es nicht liegen, die steht außer Frage.

Konformität des Denkens

Politische Analyse aber erfordert eine Offenheit, die für Bürokratien nur schwer zu ertragen ist. Die Arbeit in einem Ministerium fördert, dass die Beschäftigten denselben Blick auf die Welt ausbilden, gleich denken und ein gemeinsames Weltbild haben. Meistens ist es das der politischen Führung. Das hat gute hausinterne Gründe. Denn Konformität des Denkens erleichtert die arbeitsteilige Zusammenarbeit. Man versteht sich. Das kann den Blick auf die Welt aber derart einschränken, als würde man sie nur durch eine Brille sehen, etwa die Brille multilateraler Zusammenarbeit in internationalen Institutionen und der daraus resultierenden sozialisierenden Effekte auf Staaten.

Der frühere US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat einmal lapidar gesagt: „Wer nur einen Hammer hat, für den ist alles ein Nagel.“ Analog gilt: Wer nur diesen einen Blick auf die Welt hat, für den ist alles ein Problem multilateraler Kooperation. Blöd ist nur, wenn das andere Regierungen nicht so sehen. Wenn sich ihr Handeln – derzeit sind das Russland und die Türkei, bald vielleicht die USA – anders gestaltet, dann ist es für eine Macht mit internationalem Gestaltungsanspruch ungenügend zu sagen: „Pech für die Welt“.

Auch in Universitäten werden politikwissenschaftliche Theorien, die andere Weltsichten begründen, manchmal als Ideologie abgetan. Das ist ärgerlich. In Regierungsverantwortung aber ist es gefährlich. Denn dann versteht man die Welt nicht mehr und kann auch nicht vorausschauen, weil es an den nötigen Analyseinstrumenten mangelt. Wenn die Welt nicht mehr zur Weltsicht passt, gilt es entweder die Konformität des Denkens aufzubrechen oder sich weiter überraschen zu lassen. Es sei denn, man kann die Welt nach eigenem Willen prägen. Die Bundesregierung kann das mangels Ressourcen nicht.

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