Wie Trump die Medien mit seinem Narrativ der „Wahlmanipulation" narrte - Man muss nicht jeden Aufreger übernehmen

Donald Trump schafft es in die Nachrichten. Immer und immer wieder. Dabei drückt er jedes Mal sein Narrativ in die öffentliche Debatte – zuletzt das von einer angeblichen „Wahlmanipulation“. Warum Journalisten aufhören sollten, über jedes Stöckchen zu springen.

Donald Trump führt Journalisten am Nasenring herum / dpa
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Autoreninfo

Sebastian Callies ist Kommunikationsberater und Autor des Buchs „Deutungshoheit - Die Muster der Meinungsmacher“ (BusinessVillage)

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Noch während die Auszählung läuft, gibt sich Trump via Twitter siegesgewiss, ruft sich wenig später auf der Bühne selbst zum Sieger aus und fabuliert von einem Wahlbetrug. Er weiß: Medien und Publikum werden sich auf dieses skandalöse Verhalten stürzen. So versucht er, sich offensiv die Deutungshoheit über das Geschehen zu sichern. Wie immer.

Trump twittert und treibt Journalisten und Mediennutzer vor sich her. In ihrer Empörung tragen viele genau zu der Desinformation bei, die sie eigentlich verhindern wollen. Selbst die Tagesschau meldete „Trump zur Präsidentenwahl: Wir haben gewonnen“. In den Tickern der großen Nachrichtensender tauchen plötzlich die Wörter „Wahlmanipulation“ und „Wahlbetrug“ auf.

Als Nachricht getarnt, schleicht sich so Trumps Deutung in die Wohnzimmer der Welt. Auch wenn viele Redaktionen diesmal reagieren und ihre Headlines später anpassen – und mancher Sender sogar richtigerweise die Übertragung von Trumps Rede abbricht: Die Behauptung ist ausgesprochen und millionenfach verbreitet. „Da könnte ja etwas dran sein“, wird sich so mancher seiner Fans denken. Trump strickt bereits an der Legende des unbesiegten Verlierers und seiner Opferrolle, und diese wird in seiner Nische wohl auch hängenbleiben.

Wie sich Narrative verbreiten

 Dass das überhaupt möglich ist, liegt an der enormen Geschwindigkeit, die die sozialen Medien auf die Journalisten ausüben. Der Instant-Welt, in der alles jetzt und sofort verfügbar sein muss, kann sich niemand entziehen. Hektische Betriebsamkeit während des Wahltags ist unvermeidlich, doch Zeit für Reflexion muss sein.

Die Verantwortung der Berichterstatter vor Ort ist groß. Ihre News werden im Nu von anderen Medien kopiert, umgeschrieben und sofort auf die eigene Seite gepackt. Sie kommen in die sozialen Netzwerke, wo sie von Usern sofort und noch zugespitzter geteilt werden. Selbst Stichworte verselbständigen sich und verwandeln sich in eine Version der Wahrheit.

User brauchen Fakten statt Betroffenheit 

Wir brauchen daher mehr Meinungskompetenz. Auf Seiten der Journalisten, die vielleicht lieber erst einmal gar nicht, nicht live oder öfter leicht zeitverzögert berichten sollten, und Empörung – so berechtigt sie sein mag – erst einmal hinten anstellen. Wo steht geschrieben, dass man die Pressekonferenz eines Kandidaten vor Abschluss einer Auszählung live zeigen muss? User brauchen heute Korrektheit und Einordnung, Fakten statt Betroffenheit. Das unterscheidet Journalisten von Influencern.

Der derzeitige Trend zur Haltungsberichterstattung wirkt dabei kontraproduktiv, weil er die Debatten anheizt und Nachrichten und Meinungen kaum noch trennt. Und so das Gegenteil von dem erreicht, was er eigentlich zu beabsichtigen scheint. Trumps Tweets erzeugen seit jeher den Anschein von Relevanz – selbst bevor er Präsident war, weil sie so drastisch, unverschämt und punktgenau formuliert sind. Inhaltlich sind sie dünn, glaubwürdig nur selten, ein Berichtsanlass trotzdem immer. Erstaunlich, dass sich diese Masche über die Jahre immer noch nicht abgenutzt hat.

Ein Wandel im Nutzerverhalten

Mehr Meinungskompetenz brauchen aber auch wir Nutzer, die wir Tweets von Prominenten weniger als Nachrichten, sondern als Eigenwerbung verstehen müssen – und uns daher in deren Verbreitung und Kommentierung zurückhalten sollten. Der Kampf gegen einen rohen Meinungsmacher wie Trump hätte über die Jahre hinweg nach folgender Weisheit geführt werden können: „Nicht genannt soll er werden.“

Es wäre wirksam gewesen, seine Provokationen zu ignorieren und stattdessen über konkrete Themen zu sprechen. Seit jeher schreien Revolutionäre „Nieder mit dem König.“ Doch damit kommt der Herrscher ja erst Recht wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Das erklärt auch, wie Trump diese enorme Zahl absoluter Stimmen gewinnen konnte.

Die US-Wahlen als Übung

Ganz gleich, wie die Wahl nun ausgeht: Donald Trump wird über die sozialen Medien weiter mitreden. Ob er die Deutungshoheit dann ohne Amt beanspruchen kann, wird vor allem an einem Journalismus liegen, der nicht jeden Aufreger in seine Tickermeldungen übernimmt.

Und an einem Publikum, das nicht alles glauben darf, was ihm Prominente und Politiker über ihre eigenen sozialen Kanäle oder Live-Übertragungen auftischen. Dafür immerhin könnten die Wahlen in den USA eine gute Übung gewesen sein. Wenn auch lange nicht die letzte.

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