Atomwaffen-Verbotsvertrag - Die Illusion der atomwaffenfreien Welt

Der Atomwaffen-Verbotsvertrag, seit knapp drei Jahren in Kraft, verbietet schon die Drohung mit Kernwaffen. Die Unterzeichner sind allesamt Nicht-Nuklearstaaten. Der Vertrag ist nicht nur unrealistisch, er ignoriert auch, dass eine Welt ohne Atomwaffen nicht unbedingt sicherer wäre.

Die Unterzeichner des Atomwaffen-Verbotsvertrags treffen sich seit Montag im UN-Hauptquartier in New York / dpa
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Karl-Heinz Kamp war Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin.

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In dieser Woche treffen sich zum zweiten Mal die Unterzeichner des sogenannten Atomwaffen-Verbotsvertrags (AVV) in New York. Der Vertrag, der im Rahmen der Vereinten Nationen erarbeitet wurde, ist seit Januar 2021 in Kraft und verbietet die Produktion und den Besitz von Kernwaffen sowie die Androhung ihres Einsatzes. Damit entwertet der Vertrag aber die Grundidee der nuklearen Abschreckung, die ja Kriege dadurch zu verhindern sucht, indem sie einem potentiellen Angreifer mit der Gefahr nuklearer Vergeltung droht und ihn mit einem inakzeptabel hohen Schaden konfrontiert. Agiert der Aggressor rational, so erkennt er, dass die erwartbaren Kosten jeden erhofften Nutzen eines Angriffs übersteigen, und verzichtet auf den Waffeneinsatz. So konstruiert dieser Gedanke auch scheint, so hat er doch dafür gesorgt, dass aus dem Kalten Krieg kein heißer wurde, und hat auch heute noch seine Berechtigung.

Kein Wunder also, dass keiner der mittlerweile neun Nuklearstaaten (China, Frankreich, Großbritannien, Indien, Israel, Nordkorea, Pakistan, Russland, USA) diesen Vertrag unterzeichnet hat. Ebenso wenig ist ein Mitglied der Nato dem Vertrag beigetreten, und von der EU haben nur Irland, Malta und Österreich unterschrieben – nicht gerade politische Schwergewichte.

In Deutschland tat sich die Ampel-Regierung mit dem Vertrag besonders schwer, kollidierte doch die rot-grüne atomare Abrüstungstradition mit den Erfordernissen der nuklearen Abschreckung gegenüber einem aggressiven Russland. Im Koalitionsvertrag hatte man sich darauf verständigt, an den Treffen der Vertragsstaaten als Beobachter teilzunehmen, was zu heftiger Kritik der Nato-Verbündeten führte. Mit der Zeitenwende legte die Bundesregierung aber ein klares Bekenntnis zur nuklearen Abschreckung ab und kaufte das F-35-Kampfflugzeug als Träger für die in Deutschland stationierten amerikanischen Atomwaffen. Um es sich mit der grünen Basis nicht gänzlich zu verscherzen, schickt das Auswärtige Amt nun einen Unterabteilungsleiter nach New York – die protokollarisch niedrigste Form der Teilnahme. Man hat offenbar verstanden, dass der Vertrag angesichts Moskaus atomarer Drohungen, Irans Streben nach Kernwaffen oder Chinas und Nordkoreas nuklearer Aufrüstung eine Farce ist.

Was die Unterzeichner ignorieren, ist, dass die Nuklearmächte ihre Kernwaffen schlicht nicht abschaffen wollen

Um nicht missverstanden zu werden, das Ziel nuklearer Abrüstung ist jede Mühe wert und der Wunsch nach einer Welt mit deutlich weniger Kernwaffen ist allzu verständlich. Die Grenze zwischen politischem Ziel und Träumerei liegt aber in dem Unterschied zwischen Abrüstung und Abschaffung. Der Umstand, dass US-Präsident Obama schon 2009 von einer Welt ohne Kernwaffen träumte, macht die Idee nicht realistischer.

Was die Unterzeichner des Verbotsvertrages – allesamt Nicht-Nuklearstaaten – nämlich ignorieren, ist, dass die Nuklearmächte ihre Kernwaffen schlicht nicht abschaffen wollen. Ob man es versteht oder nicht: Diese Länder messen ihrem atomaren Potenzial einen gewaltigen sicherheitspolitischen Nutzen bei, der sich mit Schutz, Sicherheit, Abschreckung oder auch Status umschreiben lässt. Gerade für Russland erweisen sich die eigenen Kernwaffen derzeit als unschätzbar, verhindern sie doch, dass der Westen zugunsten der Ukraine militärisch eingreift oder auch nur weitreichende Waffen liefert, mit denen Kiew russischen Territorium erreichen könnte. Die russische nukleare Abschreckung hat somit den Angriff auf die Ukraine erst möglich gemacht und sichert ihn weiterhin ab.

Selbst der Gedanke der nuklearen Abrüstung ist in Ländern wie China, Indien oder Pakistan kaum zu vermitteln, weil dem Streben nach kleineren Arsenalen kein eigener Wert beigemessen wird. Warum, fragt man in Islamabad oder Neu Delhi, soll man Waffen verschrotten, auf deren Beschaffung man unglaublich viel Mühe und gewaltige Mittel verwendet hat?

Das Wissen um den Bau von Kernwaffen ist dennoch in der Welt

Mehr noch, denkt man die Idee der Abschaffung aller Kernwaffen konsequent zu Ende, so ist nicht einmal gesichert, dass eine atomwaffenfreie Welt wirklich eine stabilere wäre. Nimmt man für einen kurzen Moment an, alle Kernwaffenstaaten würden auf Nuklearwaffen verzichten und hätten ihre gesamten Bestände nachweisbar vernichtet – das Wissen um den Bau von Kernwaffen wäre dennoch in der Welt und ließe sich auch nicht mehr aus den Köpfen tilgen. Der nukleare Geist ist sozusagen aus der Flasche und kann auch nicht wieder hineingezwungen werden. Nimmt man hinzu, dass radioaktives Material weltweit in großen Mengen vorhanden ist, weil es etwa zur Energiegewinnung genutzt wird, so stellt sich die Frage, wie viele Tage oder Wochen es in einer Krise eigentlich dauern würde, bis dass ein technisch entwickelter Staat wieder eine oder mehrere Kernwaffen produziert hätte. Die Versuchung ist gewaltig, wäre doch derjenige, der in einem Konflikt als erster wieder über Atomwaffen verfügt, der Einäugige unter den Blinden. Wenn dadurch aber jede ernsthafte Krise in einem Wettlauf um die Bombe mündet, dann wäre für die internationale Sicherheit und Stabilität nur wenig gewonnen.

Nun könnte man die Idee der atomwaffenfreien Welt als frommen Wunsch einiger Gutgläubiger abtun und das Treffen in New York schulterzuckend zur Kenntnis nehmen, wären da nicht zwei gefährliche Konsequenzen. Zum einen untergräbt die Illusion völliger nuklearer Abrüstung die öffentliche Zustimmung zur Idee der nuklearen Abschreckung, ein Konzept, dass trotz immanenter Schwächen und Widersprüche in Zeiten eines revanchistischen Russlands und eines aggressiven Chinas bitter nötig ist.

Zum anderen schwächt die Entwicklung unrealistischer Vertragswerke die Vereinten Nationen selbst – und das in einer Zeit, in der der Iran einen Vorsitz im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen innehat und die Idee der „Weltgemeinschaft“ immer mehr zur Posse verkommt.

Die Reisekosten für den Konferenzbeobachter in New York hätte sich die Bundesregierung auch sparen können.

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