„Anne Will“ zu Besuch beim US-Präsident - „Trump hat einen wunden Punkt getroffen“

Angela Merkel oder Emmanuel Macron - wer hatte mehr Erfolg bei Donald Trump? Darüber wurde bei „Anne Will“ in ganz neuen Tönen diskutiert. Die Meinung über Trump scheint sich radikal geändert zu haben

Dieter Kempf, Jürgen Trittin und Peter Altmeier bei Anne Will / Screenshot ARD-Mediathek
Anzeige

Autoreninfo

Chiara Thies ist freie Journalistin und Vorsitzende bei next media makers.

So erreichen Sie Chiara Thies:

Anzeige

Seit einem Jahr und drei Monaten ist Donald Trump US-Präsident. Während anfangs Wetten abgeschlossen wurden, wie lange er sich im Amt wird halten können, waren bei Anne Wills Talkshow gestern völlig neue Töne zu hören. Es ging um neue Umgangsweisen mit dem Präsidenten und eigene – deutsche – Fehler in der Vergangenheit. In der Runde waren Peter Altmaier, Wirtschaftsminister, Jürgen Trittin, Grünenpolitiker, Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Christine Hoffmann, Spiegel-Journalistin und John Kornblum, der frühere deutsche US-Botschafter, zu Gast.

Gleich zu Beginn der Sendung spricht Altmaier von einer einseitigen Entscheidung bei den Strafzöllen. Wir als Europäer könnten das nicht ändern. Aber es stehen „mehr als Zölle auf dem Spiel“: das transatlantische Verhältnis. Jürgen Trittin macht ebenfalls eine Krise wie lange nicht mehr aus. Abgesehen von der damals weit verbreiteten Annahme, dass Trump niemals zum Präsidenten gewählt werden würde, seien drei Fehler passiert. Der Erste war die Vorstelllung, man könne Trump im Amt einhegen. Das man ihn besänftigen könne war der zweite Fehler. Der Dritte war der Irrglauben, Donald Trump würde seine Wahlversprechen nicht umsetzen. Jetzt stünden wir „an der Schwelle eines nuklearen Wettrüstens.“ Allein die Steuerreform des Präsidenten sei ein Anschlag auf die Gleichberechtigung. Altmaier ergänzt sofort, er würde das in die neuen Verhandlungen aufnehmen.

Merkel, die meist respektierte Politikerin der Welt?

Schon am Anfang zeigt sich die Stärke der Moderatorin Anne Wills an diesem Abend. Sie fragt nach, lässt nicht locker, stellt Fragen gegebenenfalls erneut, wenn sie keine richtige Antwort erhalten hat. Auch Altmaier und Trittin gehen immer wieder aufeinander ein. Sie versuchen den Anderen in die Ecke zu drängen, fragen nach, wieso an bestimmten Stellen politisch noch nichts geschehen ist. Das macht das Gespräch interessant und verleiht den Aussagen eine besondere Bedeutung.

Christine Hoffmann vom Spiegel kommt auf das Thema der Sendung zu sprechen. Emmanuel Macron oder Angela Merkel – wer hat bei Trump mehr erreicht? Man wisse nicht, ob überhaupt einer von beiden etwas erreicht habe. Den narzisstischen Präsidenten habe man lange unterschätzt, in der naiven Annahme, dass er zu beeinflussen sei. Merkels Mitbringsel, eine Karte von Trumps deutschen Vorfahren, sei viel zu spät gekommen. Auch Macron habe sich an den US-Präsidenten geradezu rangeschmissen. John Kornblum erkennt, dass man gerade erst lerne, mit diesem Präsidenten umzugehen. Die Besuche der beiden europäischen Staatsoberhäupter wertet er jedoch positiv. Erst kam mit Macron, der „Mitnarzisst“, und dann Merkel, die meist respektierte Politikerin der Welt. 

Wer schützt Europa?

Dieter Kempf fasst die möglichen Konsequenzen der Strafzölle in einfachen Worten zusammen: „America first ist nur America only!“ Für Altmaier werde ebenfalls nicht mit Waffen, sondern Dekreten geschossen. Jürgen Trittin sieht im Angriff die neue Verteidigung. Seit China mit Gegenzöllen reagiert hat, fänden zwischen den Ländern muntere Verhandlungen statt. Der Grünen-Politiker mahnt ebenfalls an: „Trump hat einen wunden Punkt getroffen.“ Durch zu geringe Binnennachfrage in Europa, gäbe es keinen Handelsausgleich. Wir müssten erstmal unsere eigenen Hausaufgaben erledigen. Der Wirtschaftsminister widerspricht, aber er wolle da nicht streiten. „Doch!“, schallt es ihm aus der Runde entgegen.

Und das ist das wirklich Spannende an dieser Talkshow, um jede Meinung wird gekämpft. Mal sind sich die Gesprächspartner einig, dann streiten sie sich wieder. Aber in jedem Disput werden die Probleme der amerikanisch-europäischen beziehungsweise deutschen Beziehungen deutlicher. Probleme, für die früher – so schien es – allein Donald Trump verantwortlich gemacht wurde. Etwas hat sich im Tonfall gegenüber dem amerikanischen Präsidenten geändert: Er wird jetzt ernst genommen.

John Kornblum analysiert, dass China der neue erste Handelspartner Europas werden wird. Aber hier hätten die Europäer ihre außenpolitische Sicherheitsstrategie vergessen. Wer schütze sie, wenn die USA nicht mehr da sind? Jürgen Trittin will transnationale Beziehungen, „wie wir es gewohnt sind.“ Und das klingt dann doch sehr naiv. Kornblum entgegnet, dass Deutschlands Handelsüberschuss schon lange als unfair empfunden werde. Jetzt, 25 Jahre später, nimmt Trump das nicht mehr hin und erreicht mit Härte mehr als jeder Präsident vor ihm. Hoffmann erkennt das an, jedoch nur kurzfristig. Auf lange Sicht werde sich davon nichts auszahlen.

Es bleibt spannend

Dieter Kempf mahnt ebenfalls an, dass man mit Strafzöllen keine Wirtschaft entwickeln könne. Statt zum Präsidenten suche er momentan die Nähe zu den Gouverneuren der US-Bundesstaaten. Der ehemalige US-Botschafter sieht genau darin ein Problem, denn: „Für Trump ist Egopflege Respekt.“ Die Führungsrolle liege noch immer bei Merkel, obwohl die Franzosen in Washington das Gegenteil erzählen würden. Die EU müsse strategischer auf die USA zugehen. Jürgen Trittin sieht das kritischer. Für ihn ist das große Problem das mögliche Aufkündigen des Irandeals. Denn was passiert dann? Der Iran wird Uran anreichern und mit ihm seine Nachbarn Saudi-Arabien und Ägypten. Für dieses Szenario hätten wir in Deutschland noch keine Antworten gefunden. Da die Amerikaner in diesem Bündnis den Konsens verlassen hätten, bräuchten wir neue Partner wie Russland oder China.

Auch die ehemalige Iran-Korrespondentin Christine Hoffmann stellt fest, dass sich die EU in eine Position zwischen den USA und Iran manövriert haben. Und das obwohl der Iran nicht mit sich wird verhandeln lassen. „Die USA sind unser Freund“, sagt Altmaier. Das gelte unabhängig davon wer Präsident ist, denn wenn es brenzlig werde, sei auf das Land Verlass. Kornblum ergänzt, die negative Haltung gegenüber dem Abkommen speise sich aus dem Verhalten des Iran gegenüber Israel. Trittin wirft ein: „Wieso gilt das nicht für Saudi-Arabien?“ Das sei laut Kornblum jedoch eine dumme Frage, Obama habe das Abkommen nicht gut genug verkauft. Donald Trump gehe deswegen jetzt dagegen vor. Einig wird sich die Runde nicht mehr. Und so darf man gespannt sein, wie Trump in einem weiteren Jahr beurteilt werden wird. 

Anzeige