Internationale Presseschau zur Europawahl 2019 - Ein schwerer Schlag für das proeuropäische Lager

Die Europawahl hat die Weichen neu gestellt. Konservative und Sozialdemokraten sind nun auf die Grünen oder Liberalen angewiesen. Vor allem in Frankreich und Italien haben die Rechtspopulisten dazugewonnen. Die Proeuropäer blicken schweren Zeiten entgegen, schreibt die internationale Presse

Manfred Webers Chancen auf eine Mehrheit stehen laut dem Schweizer „Tages-Anzeiger“ eher gering / picture alliance
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De Morgen (Belgien)

Die Euroskeptiker werden immer stärker, aber der Handstreich blieb aus. Salvini und Le Pen haben in ihren Ländern gewonnen, aber das bringt die Kräfteverhältnisse im Europäischen Parlament nicht wirklich durcheinander.

Washington Post (USA)

Die Rechtsaußen haben vor allem in Italien gesiegt, wo die Lega-Partei von Innenminister Salvini stärkste Kraft wurde. Viele potenzielle Partner Salvinis heimsten in anderen Ländern aber nur kleine Wahlgewinne ein – wenn überhaupt. Sie sind nicht stark genug, um das EU-Parlament zu blockieren.

New York Times (USA)

Die Ergebnisse zeigen: Der Kampf zwischen Pro-Europäern und denen, die weniger Gemeinsamkeit in der EU wollen, wird härter. Populisten und Nationalisten werden versuchen, die Pläne der Pro-Europäer zu blockieren. Sie fordern mehr Macht für die Nationalstaaten und weniger für die Brüsseler Bürokratie, die sie für elitär halten. Aber die EU-Gegner sind im Parlament zersplittert und uneinig. Stärkere Wirkungen entfalten diese Rechtsaußen- und Populisten-Führer in ihren Heimatländern – vor allem in Frankreich und Italien.

Tages-Anzeiger (Schweiz)

Die geschrumpften Konservativen und Sozialdemokraten brauchen die Grünen oder die Liberalen als Mehrheitsbeschaffer. Dies wird es schwieriger machen, in Zukunft Mehrheiten zu finden. Das wird sich schon in den nächsten Tagen zeigen, wenn es um das Schicksal der Spitzenkandidaten bei der Europawahl geht. Die Konservativen bleiben zwar trotz Verlusten Nummer eins. Deren Kandidat Weber hat aber kaum Chancen, im neuen EU-Parlament eine Mehrheit zu bekommen und den Anspruch auch gegenüber den Staats- und Regierungschefs durchsetzen zu können.

Financial Times (Großbritannien)

Die vorläufigen Ergebnisse bestätigen das Ende der Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Blöcke, die seit 1979 das Parlament beherrschten. An ihre Stelle tritt ein in sich gespaltener Pro-EU-Block aus bis zu vier Parteien.

Rzeczpospolita (Polen)

Bislang wurden die drei wichtigsten Posten in der EU – die Präsidenten der Kommission, des Europäischen Rates und des EU-Parlaments – von EVP-Politikern besetzt, und die EU-Außenbeauftragte war Sozialistin. Christdemokraten und Sozialisten verlieren nun die Mehrheit im Europaparlament. Jetzt beginnt ein kompliziertes Spiel unter Teilnahme radikalerer Gruppierungen von links und rechts. Nach der Europawahl droht eine Lähmung, die den Widerstand gegen die europäische Integration weiter anheizen könnte. Die EU wird deshalb wohl nicht zerfallen, aber sie wird noch schwächer werden und noch weniger Bedeutung haben in einer von den USA und China dominierten Welt

De Volkskrant (Niederlande)

Dies ist ein schwerer Schlag für das proeuropäische Lager. Macron hielt im Kampf gegen den von Salvini und Le Pen verkörperten Nationalismus und Populismus die Fahne hoch. Aber die vom französischen Präsidenten so propagierte „'Wiedergeburt' Europas scheint vor allem in seinem eigenen Land eine schwierige Geburt zu werden.“

La Croix (Frankreich)

Dieses Ergebnis führt nicht zu einer institutionellen Krise in Frankreich. Schon bei der Europawahl 2014 lag die Liste der extremen Rechten vorn – wirklich geändert hat sich dadurch nichts. Dennoch sind die Ergebnisse ein ernsthafter Rückschlag für Macron. Der Staatschef, der an seinem Kurs festhält, muss über die geplanten Reformen der Arbeitslosenversicherung und der Renten noch einmal nachdenken.

La Repubblica (Italien)

Mehr als die Hälfte der 430 Millionen Wahlberechtigten ist an die Urnen gegangen. Darunter waren viele Junge Menschen. Wenn Europa heute gerettet ist, ist das auch und vor allem deren Verdienst.

The Guardian (Großbritannien) 

Es ergibt Sinn, dass die zwei großen Gruppen Sitze verloren haben – mehr als 90 Abgeordnete nach vorläufigen Zählungen – und, erstmals in der Geschichte, ihre gemeinsame Mehrheit. (...) Das Ergebnis wird ein Parlament sein, das so fragmentiert ist wie nie zuvor. Und das „Weniger Europa“-Lager aus Nationalisten, Souveränisten und Euroskeptikern, selbst gespalten durch große Unterschiede bei Ideologie und Politik, spiegelt diese Zerrissenheit wider. Das bedeutet, dass die Art von direkten Mehrheiten, die früher im Parlament erreicht wurden, um die EU-Gesetzgebung voranzubringen, unwahrscheinlicher sind. Spontane, gruppenübergreifende Koalitionen werden üblicher werden, was wahrscheinlich Entscheidungsfindungen in heiklen Fragen erschweren wird, etwa beim nächsten EU-Haushaltsbeschluss, Grenzkontrollen oder Klimaschutzmaßnahmen.

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